Feldkirchen-Westerham
Neue Ortsmitte für 13,2 Millionen Euro: Steuerzahler muss für jahrelangen Streit bluten
Die neue Ortsmitte von Feldkirchen-Westerham könnte längst fertig sein: Doch seit elf Jahren wird darüber gestritten. Zwei Millionen Euro hat das Projekt schon geschluckt. Jetzt sind die Baukosten explodiert und um vier Millionen Euro gestiegen. Und wieder wird im Rat vor allem eines – gestritten.
Feldkirchen-Westerham – Eine besser Aufenthaltsqualität in ihrer Ortsmitte wünschen sich die Feldkirchener schon lange. Seit elf Jahren wird über den Dorfplatz und sein neues Ensemble in unterschiedlich besetzten Gemeinderäten diskutiert: Die Beschlüsse waren zum Großteil einstimmig. Der Siegerentwurf des städtebaulichen Wettbewerbs wurde mit 16:6-Stimmen auf den Weg gebracht. Trotzdem passierte nichts. In einer digitalen Bürgerversammlung mit 250 Teilnehmern im Februar 2022 war die Botschaft der Bürger eindeutig: Das Projekt „Dorfplatzgestaltung“ soll sofort umgesetzt, die Beruhigung der Staatsstraße parallel dazu vorangetrieben werden.
Bürger fordern: „Projekt sofort umsetzen“
Das Projekt beinhaltet die Generalsanierung der Bücherei, den Neubau eines Gebäudes im Norden mit Mittelbau sowie die Neugestaltung der Freiflächen. Ziele sind die Zukunftssicherung der Bücherei, die Schaffung von Räumen für die Volkshochschule und von öffentlichen Toiletten im Ortszentrum. Auch der Dorfplatz soll neu gestaltet werden: mit einem ebenerdigen Wasserbrunnen, Grünflächen, Erlebnisspielplatz und Bistro.
Gemeinderat diskutiert Detailplanungen
Nun war das Projekt wieder Thema im Gemeinderat. Diesmal ging es um konkretisierte Detailplanungen. Und wieder waren es vor allem die bekannten Bedenkenträger, die ihre Zweifel am Projekt äußerten.
Bürgermeister Johannes Zistl (OLV) stellte drei Varianten einer „grünen Scholle“ zur Entsiegelung des Dorfplatzes vor, um das Brainstorming im Rat anzuregen. Ziel ist es, das Grün, das durch den Anbau verloren geht, zu ersetzen. „Die Planung ist alt. Heute kommt der Grünflächenplanung eine ganz andere Bedeutung zu“, erklärte er.
Ist „grüne Scholle“ doch zu grün?
Die Meinungen im Rat gingen weit auseinander. Carolin Günzl (Grüne) und Georg Meixner (OLV) begrüßten das Projekt, um den Dorfplatz zu beleben und mit mehr Grün nicht nur ein klimakühlendes Element, sondern auch eine höhere Aufenthaltsqualität für alle Altersgruppen zu schaffen.
Zweite Bürgermeisterin Christiane Noisternig (CSU) schlug vor, die Ideen der Landschafts- und der ISEK-Planer zu verschmelzen und vorab keine Entscheidung zu treffen. Zugleich möchte sie an der Gestaltung eines „klaren Platzes mit fast schon italienischem Ambiente“ festhalten. Auch Heinz Oesterle (SPD) mahnte an, den ISEK-Planern nicht vorzugreifen, „denn die haben wir ja nicht umsonst beauftragt“.
Vinzenz Schaberl (Parteifreie Wähler Gesamtgemeinde) wollte vor einer Entscheidung erst die Ausweichplätze für Veranstaltungen wie Christkindlmarkt oder Maibaumfest kennen, für die dann in der Ortsmitte möglicherweise kein Platz mehr wäre. Elisabeth Spielmann (Grüne) war es wichtig, dass der Dorfplatz zur Staatsstraße geöffnet bleibt und auch ein kleines Denkmal zur Identitätsstiftung einbezogen wird. Der Bürgermeister stellte den Beschlussvorschlag zur Dorfplatzentsiegelung zurück.
Bringt Kostenexplosion Projekt doch noch zu Fall?
Die größte Diskussion löste die Kostenexplosion aus. Die letzte Kostenschätzung aus dem Jahr 2021 lag bei 8,85 Millionen Euro. Seitdem sind Bau- und Energiekosten exorbitant gestiegen: Heute liegen die Kosten bei 13,22 Millionen Euro. „Das ist eine Steigerung um 50 Prozent. Hätten wir uns für das Projekt entschieden, wenn wir diese Größenordnung gekannt hätten?“, fragte Heinrich Gall (Grüne) kritisch nach.
Zwei Millionen Euro sind schon verbraucht
Bürgermeister Zistl erläuterte, dass neben der allgemeinen Inflation und Kostenexplosion mit den Detailplanungen auch unverzichtbare Bauleistungen hinzugekommen seien und machte klar: „Wenn wir das Projekt zum jetzigen Zeitpunkt abbrechen, würden wir zwei Millionen Euro für Planungsleistungen und offene Honorarverpflichtungen in den Sand setzen.“ Christiane Noisternig sprach diplomatisch aus, was in elf Jahren Diskussion alle erlebt haben: Sie erinnerte an „eine gewisse Verzögerungstaktik“ und kritisierte: „Unser Dorfplatz hätte längst zu ganz anderen Kosten gebaut sein können.“
Starke Einschränkungen durch Lärmschutz
Josef Kammerloher (Pro Bürger) stellte das Gesamtprojekt erneut in Frage: „Die Einschränkungen durch das Lärmschutzgutachten sind schlimmer als im Kurhaus Bad Aibling.“ Man könne keine Fenster öffnen, zudem sei die geplante Lüftung viel zu laut und störe bei Veranstaltungen. „Das wird beim laufenden Betrieb Probleme machen. Wo wird das Vhs-Theater spielen? 22 Uhr muss Ruhe sein. Ansonsten ist die Polizei da“, prophezeite Kammerloher.
Der Bürgermeister bestätigte, dass die Lärmschutzbestimmungen zwar enorm, Veranstaltungen aber trotzdem möglich seien. Er versicherte: „21.30 Uhr ist Ruhe. Und wenn das mit dem Vhs-Theater nicht möglich ist, finden wir eine Ausweichmöglichkeit.“
Gemeinde hofft auf Leben wie in der „Kulturmühle“
Zistl machte noch einmal klar, welcher Traum mit der neuen Ortsmitte verwirklicht werden soll. „Ähnlich der Bruckmühler Kulturmühle wollen wir Leben ins Ortszentrum bringen und die Aufenthaltsqualität verbessern.“ Deshalb werde im Bewegungsraum der Vhs auch eine versenkbare Bühne installiert.
Bei der Fachsimpelei über die geplante Lüftung konnte Vinzenz Schaberl beruhigen. Seine Erfahrungen als „Bauleiter“ der Kulturmühle Bruckmühl und aus ihrem boomenden Veranstaltungsbetrieb bestätigen: „Die Lüftung stört überhaupt nicht.“
Bergmüller will Café aus Projekt streichen
Umgeplant wurde auch das Café im Erdgeschoss des Vhs-Neubaus. Um einen sinnvollen Cafébetrieb zu ermöglichen, soll der Bereich der Küche auf übliche Standards erweitert werden. Dafür wurde auf zwei WC im Erdgeschoss verzichtet. „Das Gebäude ist barrierefrei, sodass die Besucher auch die WC im ersten Obergeschoss oder die öffentlichen WC benutzen können“, erläuterte Zistl.
Franz Bergmüller (Pro Bürger) stellte den Antrag, das Café aus dem Projekt zu streichen und damit Kosten von etwa einer Million Euro zu sparen: „Das ist keine Aufgabe der Gemeinde. Die Betriebsgröße halte ich für nicht praktikabel. Für solch ein Pseudocafé finden wir in der aktuellen Situation sowieso keinen Pächter.“ Der Antrag wurde mit 15:9 abgelehnt. Josef Kammerloher fügte hinzu, dass dem Gemeinderat Betreiberkonzepte und Pachtverträge für das Café vorgelegt werden sollten, um sicherzustellen, dass andere Wirtschaften damit nicht kaputtgemacht würden.
„Menschen nicht nur Angst machen“
Pankraz Schaberl (SPD) platzte irgendwann der Kragen: „Man sollte den Menschen mit seinen persönlichen Befindlichkeiten nicht immer nur Angst machen.“ Die neue Ortsmitte biete der Gemeinde mit Bücherei, Vhs, Tagescafé und Spielplatz eine „tolle Zukunft“. Das Café eröffne die Chance auf zusätzliche Angebote wie beispielsweise Tagesveranstaltungen. „Außerdem macht man bei Veranstaltungen die Fenster sowieso zu, weil der Lärm von draußen nervt“, stellte der erfahrene Theaterspieler klar.
Grünes Licht der Rechtsaufsichtsbehörde
Bürgermeister Johannes Zistl informierte darüber, dass er bei der Rechtsaufsichtsbehörde des Landkreises nachgefragt habe, ob eine Kommune Räume für ein Café vermieten dürfte und grünes Licht erhalten. Wie gut das funktioniere, zeige das Beispiel der Stadt Kolbermoor und des Restaurants „Milano“.
Neue Spielgeräte für Ortsmitte
Der Bürgermeister schlug vor, neue Spielgeräte für die Gestaltung der Ortsmitte anzuschaffen und die alten an anderen Standorten wiederzuverwenden. Der Rat begrüßte die Idee einstimmig.
Die Bücherei soll mit einer neuen Regalanlage ausgestattet werden. Die Kosten von etwa 115.000 Euro würde der Michaelsbund zu 25 Prozent fördern, informierte Kämmerin Jennifer Ziegelmann. Fördermittelanträge könnten aber erst bei Erwerb der Regalsysteme gestellt werden. Franz Bergmüller wollte die Entscheidung zurückstellen, bis ein Fördermittelbescheid im Haus wäre. Das lehnte der Rat ab (15:9) und stimmte (20:4) für den Kauf neuer Reaglsystems.
PV-Anlage auf dem Neubau
Neu ist auch die Installation einer PV-Anlage mit Speicher auf dem Dach des Vhs-Neubaus. Der Rat stimmte mit 23:1 zu. Eine Ausweitung der Anlage auf das bestehende Gebäude der Bücherei sei aufgrund des Denkmalschutzes nicht möglich, informierte Zistl.
Im Frühjahr sollen Arbeiten beginnen
Der Antrag von Josef Hupfauer (Freie Wähler Feldolling), die Diskussion nach einer reichlichen Stunde allmählich zu beenden. Ein „Ende der Rednerliste“ wurde von der Mehrheit des Gemeinderates (19:2) befürwortet.
Bürgermeister Zistl, der seit 12. März 2023 im Amt ist, räumte ein: „Wären wir schneller gewesen, hätten wir die eine oder andere Million sparen können.“ Der Rat stimmte trotz der Kostensteigerung um etwa 4,4 Millionen Euro mehrheitlich (16:8) für die neue Ortsmitte von Feldkirchen-Westerham. Die ersten Maßnahmen (Bachverrohung) sollen schon im November ausgeschrieben und voraussichtlich im Januar vergeben werden. Als Baubeginn hat die Verwaltung das Frühjahr (März oder April) im Blick. In der zweiten Jahreshälfte 2026 soll der Dorfplatz endlich fertig sein.

