Erinnerungskultur in Kolbermoor
1942 im KZ Mauthausen zu Tode gequält: Jetzt erinnert ein Stolperstein an Mathias Stich
Ein Stolperstein wird am 11. Februar in Kolbermoor-Mitterhart verlegt. Damit soll an einen 34-jährigen Kolbermoorer erinnert werden, der 1942 im KZ Mauthausen zu Tode gequält wurde: Mathias Stich. Dessen Spuren wurden erst vor wenigen Jahren entdeckt.
Kolbermoor – Das Leben ist nicht nur Freude, es ist auch großes Leid. Deshalb muss und sollte Erinnerungskultur immer gelebt werden – auch an einem Faschingssonntag. Am 11. Februar lebt in Kolbermoor die Erinnerung an Mathias Stich wieder auf – einen jungen Mann, der nur 34 Jahre alt wurde und vor 82 Jahren im Außenlager Gusen des Konzentrationslagers Mauthausen an den Folgen von Unterernährung und Erschöpfung starb. Weil er Zeuge Jehovas war und sich dem Nazi-Regime widersetzte.
Spuren wurden erst vor wenigen Jahren entdeckt
Seine Spuren entdeckte Christoph Wilker aus Unterhaching. Der Historiker beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Verfolgung und dem Widerstand der Zeugen Jehovas im Dritten Reich. Im NS-Dokumentationszentrum München zeigte er 2019 eine Sonderausstellung zu diesem Thema.
„Jehovas Zeugen lehnten die Ideologie der Nazis und alle politisch motivierten Aktionen ab, darunter den Parteieintritt, den Eid auf Hitler und den Hitlergruß. Dadurch gerieten sie schon 1933 ins Visier der Gestapo“, erinnert Simon Bödecker, Regionaler Sprecher Bayern der Zeugen Jehovas, an das Schicksal seiner Glaubensbrüder: „Sie verweigerten bedingungslos menschenverachtende Hasstaten gegen ihre Mitmenschen, die sich in dieser Zeit besonders gegen Juden richteten. Sie verweigerten nach Kriegsausbruch 1939 auch den Dienst an der Waffe.“
Standhaft im Glauben bis in den Tod
Und sie widersetzten sich dem staatlichen Verbot ihrer Religionsausübung, das im April 1933, nur drei Monate nach der Machtergreifung Hitlers, verhängt wurde. „Viele Zeugen Jehovas, die damals noch Bibelforscher genannt wurden, haben trotz der Gefahren für ihr Leben nicht damit aufgehört, dem Neuen Testament zu folgen und zu verkündigen“, berichtet Christoph Wilker.
Einer von ihnen war der Zimmermann Mathias Stich. Er war erst 26 Jahre alt, als ihn das Amtsgericht Rosenheim am 15. September 1933 erstmals zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat verurteilte. Doch er ließ sich nicht beirren. Er verkündigte weiter und unterstützte seine Glaubensgemeinschaft. „Drei Jahre später, im September 1936, wurde der 29-Jährige erneut verhaftet“, berichtet der Historiker Wilker. Im Strafgefängnis Stadelheim verbüßte er ab dem 6. Oktober 1936 eine „Schutzhaft“, ehe er am 27. März 1937 vor dem Sondergericht München zu acht Monaten Gefängnis verurteilt wurde. „Am 26. Mai 1937 wurde Matthias Stich ins KZ Dachau deportiert, wo er fast zweieinhalb Jahre misshandelt wurde“, zeichnet der Historiker das Schicksal des jungen Mannes aus Mitterhart nach.
Spuren in den Arolsen Archiven
Leider gibt es keine Fotos von Mathias Stich. Doch in der Häftlingsdatei der Arolsen Archive, des weltweit größten Archivs über die Opfer und die Überlebenden des NS-Regimes in Bad Arolsen in Hessen, fand Wilker eine Häftlingskarteikarte: Diese beweist die Deportation von „Sch“ (Schutzhäftling) und „Bifo“ (Bibelforscher) Mathias Stich – Häftlingsnummer 12.230 – am 27. September 1939 aus dem KZ Dachau ins Konzentrationslager Mauthausen in Österreich.
Mehr als 90.000 Menschen wurden im KZ Mauthausen und seinen Außenlagern von August 1938 bis Mai 1945 ermordet. Die bestialischen Haftbedingungen beschreiben Bertrand Perz und Florian Freund in ihrem Buch „Konzentrationslager in Oberösterreich 1938 bis 1945“. Darin heißt es: „Die Häftlinge wurden bei der Arbeit in den Steinbrüchen zu Tode schikaniert, erschlagen, erschossen, in der Krankenstation ‚abgespritzt‘, das heißt mit einer Injektion ermordet, im Winter bei ‚Badeaktionen‘ zu Tode gebracht oder sie starben an den Folgen von Unterernährung und Erschöpfung.“
Mathias Stich starb am 24. Januar 1942
140 Zeugen Jehovas verloren im KZ Mauthausen ihr Leben – auch Mathias Stich aus Mitterhart. Am 19. August 1940 wurde er von Mauthausen ins Außenlager Gusen verlegt, wo er am 24. Januar 1942 verhungerte.
Mathias Stich wurde nur 34 Jahre alt. Mit dem „Raum der Namen“ und dem „Digitalen Gedenkbuch“ hat die Gedenkstätte Mauthausen ihm und all den anderen Toten des KZ Mauthausen und seiner Außenlager ein digitales Denkmal gesetzt. Nun bringen Historiker Christoph Wilker und die Initiative Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim mit dem Namen von Mathias Stich auch die Erinnerung an ihn in seine Heimatstadt zurück: Am 11. Februar wird für ihn ein Stolperstein verlegt.
Offen für Erinnerungskultur
Bis 1936 lebte Mathias Stich in Mitterhart 109/1/4, wie historische Unterlagen beweisen. Damals gehörte Mitterhart noch zu Pang. Heute ist es Teil der Stadt Kolbermoor. Hier wurden bereits im März 2020 zwei Stolpersteine verlegt. Sie befinden sich im Areal des neuen Rathauses, direkt vor der Stadtbibliothek und erinnern an die italienischen Zwangsarbeiter Fortunato und Fernanda Zanobini. „Die Stadt Kolbermoor ist sehr offen für die Erinnerungskultur, weshalb wir auch für Mathias Stich einen Ort der Erinnerung finden konnten“, betont Dr. Thomas Nowotny von der Initiative Erinnerungskultur – Stolpersteine für Rosenheim.
Größtes dezentrales Mahnmal der Welt
Da das Gebäude, in dem Mathias Stich einst lebte, nicht mehr vorhanden ist, bemühte sich die Stadtverwaltung gemeinsam mit der Initiative um einen Ort der Erinnerung in der Nähe seines letzten Wohnortes auf öffentlichem Grund. Der fand sich im Bereich von Gehrerstraße und Am Eglsee. Hier wird der Stolperstein am Sonntag, 11. Februar, um 11 Uhr, im Beisein von Gunter Demnig im Boden verankert. Zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt der Kölner Künstler seit 1996 Stolpersteine. Inzwischen schuf er mit mehr als 100.000 Stolpersteinen das größte dezentrale Mahnmal der Welt.
Auch in Haidholzen wird der Opfer gedacht
Zur feierlichen Erinnerung an den Kolbermoorer Zimmerer Mathias Stich am 11. Februar, um 11 Uhr, sind interessierte Bürger herzlich eingeladen. Der Historiker Christoph Wilker wird über das kurze Leben und lange Leiden von Mathias Stich berichten.
Zuvor werden um 10 Uhr bereits in Haidholzen in der Gemeinde Stephanskirchen zwei Stolpersteine verlegt. Dort befand sich 1945 das „U-Gebäude“ des KZ-Außenlagers Stephanskirchen. Stellvertretend für alle Inhaftierten soll an zwei junge Männer erinnert werden, die dort Anfang 1945 ermordet wurden: an Kusma Martschenko, geboren am 10. November 1918 in Schytomyr in der heutigen Ukraine und an Martin Sabozki, geboren am 25. Juni 1919 in Malgow in Polen. Sie mussten in Deutschland Zwangsarbeit verrichten und wurden kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 in Haidholzen ermordet.
