Offener Brief
„Als Politiker nicht mehr tragbar“: Rosenheimer kritisieren Aiwanger nach Flugblatt-Affäre
Die Diskussionen um ein antisemitisches Flugblatt, das in Hubert Aiwangers Schulranzen gefunden und von seinem Bruder verfasst worden sein soll, gehen weiter. Jetzt hat der Rosenheimer Thomas Nowotny einen Offenen Brief an Hubert Aiwanger verfasst - und ihn aufgefordert, sich der Diskussion zu stellen.
Rosenheim - Thomas Nowotny ist wütend. „So etwas Infames habe ich noch nie gelesen“, sagt der Sprecher der Initiative für Erinnerungskultur - Stolpersteine für Rosenheim. Am Freitagmorgen hat er von dem Flugblatt erfahren, das mit Hubert Aiwanger in Verbindung gebracht wird. Ein Lehrer hatte im Schuljahr 1987/88 ein antisemitisches Flugblatt im Ranzen des noch jungen Aiwangers gefunden. Während der Wirtschaftsminister den Vorwurf, der Verfasser des Blattes zu sein, noch am gleichen Tag von sich wies, gab er zu, dass einige davon in seinem Rucksack gefunden worden sind.
Forderung Nachdruck verleihen
„Es spielt für mich keine Rolle, ob er der Verfasser ist, oder nicht. Er hatte die Flugblätter in seiner Schultasche“, sagt Nowotny. Aus diesem Grund müsse der Wirtschaftsminister „dafür gerade stehen“. Um dieser Forderung mehr Nachdruck zu verleihen, hat er sich mit weiteren Mitgliedern der Nachkommensgruppe NS-Verfolgter zusammengetan. „Uns war von Anfang an klar, dass wir etwas machen müssen“, sagt Nowotny. Also hat er einen Offenen Brief verfasst, adressiert an Hubert Aiwanger persönlich.
In drei kurzen Absätzen fassen die Mitglieder zusammen, was der Inhalt des Flugblatts mit ihnen gemacht hat. „Dieses Pamphlet beleidigt und verletzt uns Angehörige von Opfern des Nationalsozialismus zutiefst, heute wie vor 35 Jahren“, heißt es. Aus diesem Grund fordern sie Hubert Aiwanger auf, sich der Diskussion zu stellen. „Wenn Sie einen Arsch in der Hose hätten, würden Sie sich bekennen: Jawohl, meine Familie und ich gehören zu denen, die anfällig sind für Antisemitismus. Und ich bin bereit, mich einer Diskussion über dieses peinliche Thema zu stellen.“
Flucht von Holland nach Frankreich
Eine Antwort hat die Nachkommensgruppe NS-Verfolgter bisher noch nicht erhalten. „Ich glaube auch nicht, dass da noch etwas kommt“, sagt Nowotny. Auch auf Anfragen unserer Zeitung reagierte Hubert Aiwanger bis Redaktionsschluss (Mittwoch, 30. August, 18 Uhr) nicht. Zum Unverständnis von Inge Kroll. Sie ist die Tochter eines politisch Verfolgten, der 1935 verraten wurde. Anschließend floh er über Holland nach Belgien und Frankreich und wurde 1940 an die Gestapo ausgeliefert. 1944 landetet er schließlich im Konzentrationslager in Dachau und wurde auf dem Todesmarsch nach Waakirchen befreit.
„Mir ist ein Schreck durch die Glieder gefahren, als ich von dem Flugblatt erfahren habe. Das hat wieder viel hochgebracht“, sagt Inge Kroll. Das Schreiben sei menschenverachtend und ist in ihren Augen kein „dummer Jungenstreich“. „In dem Alter weiß man, was man tut. Ich glaube auch nicht an die Erinnerungslücken“, sagt Kroll. Sie stört sich vor allem an der Tatsache, dass „Aiwanger seinen Bruder vorschickt“, anstatt sich selbst der Diskussion zu stellen. „Für mich ist er als Politiker nicht mehr tragbar“, ergänzt sie und weiter: „Als 52-jähriger Politiker sollte man Verantwortung übernehmen.“
Rufe nach Rücktritt werden lauter
Weil er das - zumindest im Moment - noch nicht zu tun scheint, gibt es auch für Thomas Nowotny nur eine richtige Reaktion. „Er sollte zurücktreten“, sagt er.
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