Ein Jahr nach Kriegs-Start
Viel Dankbarkeit und eine Hiobsbotschaft: So geht es einer ukrainischen Familie in Wasserburg
Millionen Ukrainer haben seit Kriegsbeginn ihr Heimatland verlassen. So auch Viktoriia Turanska mit ihrer Familie. Sie sind seit fast einem Jahr in Wasserburg. So geht es den Kriegsflüchtlingen heute - genau ein Jahr nach dem Angriff.
Wasserburg - Am 24. Februar jährt sich ein Datum, das traurig macht: Vor genau einem Jahr begann Russland mit seinem Angriff auf die Ukraine. Viele haben seitdem das Land verlassen, so auch Viktoriia Turanska, ihr Mann Valentyn Bondarenko, ihre beiden Söhne Stepan (8) und Kuzma (18 Monate) sowie die 73-jährige Großmutter Nina Turanska. Sie haben in Wasserburg eine Zuflucht gefunden.
Wir haben die Familie zuhause besucht. Wie geht es ihr, ein Jahr nach Kriegsbeginn? Wir treten ein in das kleine Haus, in der Küche werkelt schon die 39-jährige Viktoriia Turanska. Sie spricht mittlerweile schon sehr gut Deutsch, besucht fünf Mal in der Woche einen Sprachkurs an der Vhs, ebenso ihr Mann Valentyn Bondarenko. Ihr achtjähriger Sohn Stepan besucht die erste Klasse der Grundschule. Er ist ein kleiner Wirbelwind. Der Bub habe sich gut eingelebt, erzählt Viktoriia Turanska. Für Kuzma suchen sie momentan einen Krippenplatz, bis jetzt aber erfolglos. „Vielleicht bekommen wir was in Babensham“, hofft seine Mutter.
Die fünfköpfige Familie ist im März 2022 in der Flüchtlingsunterkunft in der Turnhalle der Anton-Heilingbrunner-Schule untergekommen. Dort lebten sie in einem kleinen, mit Planen unterteilten Raum, in dem sich drei Stockbetten befanden. Eine schwierige Situation - sollte man meinen. Doch Viktoriia Turanska sagt nur: „Es ist alles besser als Krieg und Bomben“. Die Bondarenkos/Turanskas hatten in der Ukraine eine Wohnung in Charkiw, ungefähr 20 Kilometer von der russischen Grenze entfernt. Eigentlich wollte das Ehepaar hier ein Haus in der Nähe bauen, das Grundstück hatten sie kurz zuvor erworben.
Bombeneinschläge, Schüsse, zerstörte Gebäude
Doch dann ging der Krieg los, die Russen marschierten ein. Bombeneinschläge, Schüsse, zerstörte Gebäude und Infrastruktur. Für die Familie bald Alltag. Es gab teilweise keinen Strom mehr, kein Wasser. Als dann auch noch Panzer in Charkiw einrückten, war für Viktoriia Turanska und Valentyn Bondarenko klar: Sie müssen die Ukraine verlassen.
Das Auto wurde mit dem Nötigsten vollgepackt und mit ihren beiden Söhnen und Oma Nina Turanska, Viktoriias Mutter, verließen sie die Ukraine. Ihrem Ehemann war die Ausreise nur gestattet, da Stepan eine Behinderung hat. Ansonsten wäre es dem 45-Jährigen nicht erlaubt gewesen, das Land zu verlassen.
Die Reise dauerte ungefähr zwei Wochen. Über mehrere Stationen - unter anderem bei Viktoriia Turanskas Tante und Schwester, die ebenfalls in der Ukraine leben - kamen sie in das Erstauffanglager in München. Über Rosenheim ging es dann weiter nach Wasserburg. Nach etwa zwei Monaten in der Behelfsunterkunft fanden sie ein Haus mit kleinem Garten - ein Glücksfall, wie die 39-jährige Mutter sagt.
Das Leben in Deutschland, insbesondere in Wasserburg, gefalle der Familie sehr gut. „Alle sind sehr nett zu uns, wir bekommen viel Unterstützung“, sagt die Ukrainerin. „Vor allem auch von Monika“. Sie deutet auf Monika Barthold-Rieger, Koordinatorin des Patenprojekts Asyl Wasserburg, die bei dem Besuch mit dabei ist. Barthold-Rieger wohnt in der Nachbarschaft und hilft, wo sie kann. Dafür sind Viktoria Turanska und Valentyn Bondarenko „unendlich dankbar“. „Wohnungssuche, Behördengänge, Krippenplatz: Sie organisiert alles“, so das Ehepaar.
Was den beiden positiv auffällt: „Überall grüßen sich die Leute auf der Straße. Das ist für uns sehr ungewohnt. In der Ukraine machen wir das nicht.“ Worüber sich die Familie besonders gefreut hat, war der Faschingszug in der Altstadt. „Das war sehr schön, all die bunten Kostüme“, schwärmt Viktoriia Turanska. Und auch das Frühlingsfest habe der Familie sehr gefallen - „ein tolles Erlebnis“.
Keine Nachrichten aus dem Heimatland
Ob sie wieder zurück in die Ukraine gehen, wissen sie noch nicht. „Es ist alles so unsicher. Jetzt ist ja noch Krieg. Keiner weiß, wie lange es noch dauert“, bedauert die 39-Jährige. Auch das bereits gekaufte Grundstück befinde sich unweit der russischen Grenze. Selbst wenn wieder Frieden einkehre, sei ihr die Nähe zu Russland zu unsicher. Und das Geschäft, das Viktoriia Turanska geführt hat, musste sie ebenfalls zurücklassen - so wie ihr ganzes Hab und Gut. Ob es noch da ist, wisse sie nicht. Auch nicht, ob ihre Wohnung noch stehe. „Es könnte sein, dass sie mittlerweile zerbombt ist. Wir bekommen von dort keine Nachrichten. Wir wissen gar nichts“, erklärt sie. Und dass, obwohl Viktoriias Vater, ihre Stiefmutter und ihre zwei Brüder noch dort leben. Aber nach der Wohnung schauen kann keiner, „das ist zu gefährlich“, erklärt sie.
Sollte sich aber die Möglichkeit ergeben und es werde der Familie erlaubt, dann würden sie gerne in Deutschland bleiben. „Das Leben hier ist einfach besser als in der Ukraine. Bei uns gibt es kaum Rente, wenig Kindergeld. 20 Euro im Monat bekommen Mütter für den Nachwuchs“, sagt Viktoriia Turanska. Das Ehepaar wolle unbedingt arbeiten, die 39-Jährige habe einen Magister in Jura und hoffe auf eine Anstellung in einer Anwaltskanzlei, „auch wenn ich nur als Gehilfin arbeiten kann“, sagt sie.
Hiobsbotschaft für die Familie
Sie müsse ihr Deutsch verbessern, auch ihr Mann sei sehr dahinter, die Sprache zu lernen. Die Ukrainerin liest außerhalb des Sprachkurses an der Vhs momentan ein Kinderbuch, um sich selbst etwas beizubringen. Zurzeit ist es der „Spuk im Murmelwald“. Sie schlägt das Buch auf, vieles ist unterstrichen und markiert. Viktoriia Turanska zeigt sich sehr engagiert und das merkt man auch, denn erst seit Oktober läuft der Integrationssprachkurs - und sie spricht relativ flüssig deutsch. Manchmal fehlt ihr das Vokabular, dann redet sie auf Ukrainisch in ihr Handy und wartet gespannt auf die Übersetzung.
Eine Hiobsbotschaft gibt es aber für die Familie: Das Haus, in dem sie wohnen, soll nächstes Jahr verkauft werden. Jetzt sind sie wieder auf der Suche nach einem neuen Heim, am besten etwas mit Garten, wünscht sich das Ehepaar.

