Mehrwertsteuererhöhung und Preisexplosion
„Solidarisieren uns mit Protesten der Landwirte“: Warum Milliarden-Loch Wirten auf den Magen schlägt
Mehr als 600 oberbayerische Wirte stehen vor dem Aus: Sie können die Steuererhöhungen und Preisexplosionen nicht mehr schultern. „Die Riesen-Fehlentscheidung der Politik wird auf unseren Schultern ausgetragen“, kritisiert Theresa Albrecht, Dehoga-Kreisvorsitzende von Rosenheim. Die Leidtragenden sind die Gäste.
Landkreis Rosenheim – Jetzt ist Schluss! Nicht nur die Bauern haben es satt und gehen auf die Straße. Auch die Wirte sind frustriert. „Wir waren die ersten, die geopfert wurden, als im November das 60-Milliarden-Euro-Loch auftauchte“, sagt Theresa Albrecht, Dehoga-Vorsitzende im Landkreis Rosenheim und Chefin des Hotels zur Post in Rohrdorf. Die Verlängerung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für die Gastronomie war plötzlich kein Thema mehr. Gleich danach ging es den Bauern ans Eingemachte. „Das Grundproblem ist, dass Menschen Politik machen, die von Wirtschaft keine Ahnung haben. Wir Gastronomen sind frustriert, weil wir Praktiker mit unseren Warnungen nicht gehört wurden, diese Riesenfehlentscheidung der Politik aber auf unseren Schultern ausgetragen wird.“
„Der Staat holt sich überall mehr Geld“
Etwa 400 Betriebe sind im Landkreis Rosenheim im Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) organisiert. „Wir solidarisieren uns mit den Protesten der Landwirte. Sie haben ein scharfes Schwert, können mit ihren Traktoren die Infrastruktur lahmlegen“, sagt Rainer Lechner, stellvertretender Vorsitzender des Dehoga-Kreisverbandes Rosenheim mit Blick auf die Aktionswoche vom 8. bis 15. Januar.
Lechner ist Inhaber des Aschbacher Hofes in Feldkirchen-Westerham und kritisiert: „Die Steuerpolitik der Bundesregierung führt zu einer Preisexplosion im Alltag der Menschen. Alles wird teurer. Überall werden die Daumenschrauben angezogen, überall holt sich der Staat mehr Geld. Darunter leidet die Wirtschaft. Das spüren wir mittelständischen Unternehmen. Die Leidtragenden sind vor allem die Verbraucher.“
Umsatz der Gastronomie weit unter Vor-Corona-Niveau
„Die Gastronomie hat nach wie vor mit den Schwierigkeiten am Markt zu kämpfen“, berichtet Thomas Quiram, Dehoga-Regionalgeschäftsführer für Oberbayern. „Auch wenn sich die Gästezahlen bundesweit wieder positiv entwickeln, ist der reale Umsatz der Gastronomie in den ersten drei Quartalen 2023 um zwölf Prozent gegenüber 2019 – also vor Corona – gesunken.“ Deutschlandweit haben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes innerhalb von zwei Jahren (2020/21) bereits 36.000 Restaurants und Hotels aufgegeben.
15 Prozent aller Wirte gelangen an den Rand des Ruins
In Oberbayern hat der Dehoga circa 4.100 Mitgliedsbetriebe. „Eine Umfrage hat im Dezember ergeben, dass 61 Prozent – also etwa 2500 Betriebe – mit harten Auswirkungen der Mehrwertsteuererhöhung rechnen und 15,3 Prozent (615) sogar davon ausgehen, dass sie an den Rand des Ruins gelangen“, so Quiram.
In 24 der 27 EU-Mitgliedsstaaten fällt in der Gastronomie ein verminderter Mehrwertsteuersatz an. „Die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent stellt im europäischen Vergleich eine Schwächung des Standortes Deutschlands dar“, macht Quiram klar. „Das werden vor allem unsere Betriebe in den Grenzregionen deutlich zu spüren bekommen.“
Preisexplosion in vielen Bereichen
„Welche Bedeutung unsere Branche in der Bundespolitik hat, haben wir ja gesehen“, kritisiert Lechner. Trotz der Warnungen vor einer Pleitewelle in der Gastronomie wurde die Mehrwertsteuer am 1. Januar wieder angehoben. „Der Staat holt sich vom Umsatz der Wirte also wieder zwölf Prozent mehr.“ Gleichzeitig steigen die Einkaufspreise für Lebensmittel, müssen eine um zwölf Prozent steigende Mehrwertsteuer für Gas, die Erhöhung der Netzentgelte, die Steigerung der CO2-Abgaben und eine Verteuerung der Kosten für Gebäudeinstandhaltung von den Unternehmen geschultert werden. Lkw-Maut und CO2-Aufschlag verteuern die Transportkosten. Die Ausgaben fürs Personal nehmen zu: Die Mindestlöhne wurden auf 12,41 Euro angehoben, parallel dazu müssen nun die Gehälter angepasst werden.
90 Prozent geben Steuererhöhung an Gäste weiter
„90 Prozent unserer befragten Mitgliedsbetriebe müssen die Steuererhöhung an die Gäste weitergeben, um zu überleben. 70 Prozent wollen bei den Investitionen sparen, was wiederum Auswirkungen auf die Wirtschaft haben wird“, verdeutlicht Quiram die Folgen der Preisspirale. „Um diese Kostensteigerungen abzufedern, müssten wir unsere Gerichte um etwa 16 Prozent verteuern“, schätzt Lechner, der Inhaber des Aschbacher Hofes. Theresa Albrecht hat in ihrem Hotel zur Post seit zwei Jahren die Preise nicht erhöht. „Wenn ich alle Mehrkosten eins zu eins an den Verbraucher weiterreichen wollte, müsste ich die Speisen um 30 Prozent verteuern“, hat sie berechnet. „Aber das machen wir natürlich nicht, weil sich unsere Gäste das nicht leisten können.“ Schon jetzt bleiben in den Wirtshäusern viele Besucher weg, denn „die Menschen gehen viel selektiver aus“, wie der Inhaber des Aschbacher Hofes beobachtet hat.
Weitere Umsatzverluste sind vorprogrammiert
Mit neuen Kostensteigerungen sind zusätzliche Kunden- und Umsatzverluste vorprogrammiert, stehen weitere Existenzen auf dem Spiel. „Der Dehoga geht davon aus, dass 15.000 Betriebe die Preis- und Steuersteigerungen nicht überleben werden“, sagt Quiram. Dies werde nicht gleich im Januar 2024 passieren, aber im Laufe der nächsten Monate würden sicherlich Wirtschaften schließen und dies vermutlich häufiger auf dem Land als in den touristischen Zentren. „Ein bedeutender Teil unserer bayerischen Wirtshauskultur wird mit den Herausforderungen des Jahres 2024 zu kämpfen haben.“
Die größten Herausforderungen für Gastronomen
Die fünf größten Herausforderungen für die Gastronomen sind nach einer Umfrage unter den 4100 Mitgliedsbetrieben des Dehoga Oberbayern:
85 Prozent: Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Speisen seit 1. Januar 2024
79 Prozent: steigende Kosten bei Lebensmitteln und Getränken
78 Prozent: steigende Personalkosten
76 Prozent: steigende Energiekosten
71 Prozent: zunehmende Bürokratie
„Wir können nicht rationalisieren oder unsere Produktion ins Ausland verlegen. Unsere Wertschöpfung liegt zu 90 Prozent in der Region. Hier werden unsere Zutaten produziert, hier leben die Menschen, die bei uns arbeiten und einkehren“, macht Lechner die Nachhaltigkeit regionaler Gastwirtschaft klar. Deshalb müsse sich die Politik entscheiden, ob sie auf billige Nahrungsmittel wie Fast Food setze oder mit einer vielfältigen und traditionsreichen Gastronomie lebenswerte ländliche Räume erhalten wolle.
Wirte stehen an der Seite der Bauern
„Der Dehoga steht an der Seite der bayerischen Bauern. Sie sind ein bedeutender und sehr wichtiger Partner für uns, weil sie unseren Betrieben regionale und nachhaltige Produkte liefern“, unterstützt Thomas Quiram die Forderung der Bauern nach Entlastungen statt Steuererhöhungen. „Verteuert der Staat die Produktionsbedingungen für unsere Bauern, so werden letztlich auch die Beschaffungspreise für die Gastronomie steigen, und diese müssen an den Gast weitergegeben werden. Das werden wir nicht gutheißen.“
Auch Essen in Kitas und Schulen wird teurer
Die Bauern kämpfen weiter. Und auch der Dehoga kämpft weiter: „Wir setzen uns auch dafür ein, dass Essen steuerlich gleich behandelt wird, unabhängig von der Art der Zubereitung und vom Verzehrort“, betont Quiram. „Deshalb kämpfen wir weiter für die Rückkehr zur sieben Prozent Mehrwertsteuer und gegen die Steuerungerechtigkeit in Deutschland.“ Für Take-Away-Speisen und Lieferdienste gilt schon immer ein ermäßigter Steuersatz von sieben Prozent. „Alles, was viel Rest- und Plastikmüll produziert, wird steuerlich gefördert“, macht Theresa Albrecht klar. Die Mehrwertsteuer auf Speisen in Restaurants, Gaststätten, Wirtschaften, Kitas, Schulen, Krankenhäusern, Pflegeheimen und Betriebskantinen aber beträgt 19 Prozent. „Dabei wäre es doch eine gute Lösung, alle gleich zu behandeln und beispielsweise eine Mehrwertsteuer von zehn Prozent einzuführen“, schlägt die Dehoga-Kreisvorsitzende vor.
Wie grüne Bundesregierung die Umwelt belastet
„Das Steuerprinzip der Ampelregierung unter Beteiligung der Grünen ist für unsere Mitgliedsbetriebe nicht verständlich“, macht Quiram klar. „Eine Partei, die nach eigenem Bekunden für eine Energiewende, Umweltschutz und Nachhaltigkeit stehen will, fördert es steuerlich, wenn ich mir von einem Lieferdienst das Essen nach Hause bringen lasse, was zu einer Belastung der Umwelt durch zusätzlichen Straßenverkehr und Verpackungen führt.“
