Wenn Rente und Minijob nicht zum Leben reichen
„Der Supergau“: Kolbermoorerin gerät durch gestiegene Heizkosten in finanzielle Notlage
Martina Ziegler ist verzweifelt. Die Nebenkosten für ihre Mietwohnung in Kolbermoor haben sich mehr als verdoppelt. Und das, obwohl sie im Winter gefroren hat. Zahlen kann sie die Rechnung aus eigener Kraft nicht, denn sie lebt am Existenzminimum. Doch wer kann ihr helfen?
Kolbermoor – „Menschen in meiner Lage trifft die Energiepolitik extrem hart, doch leider werden wir nicht gesehen.“ Martina Ziegler ist enttäuscht von der Politik. 27 Jahre arbeitete sie in der Altenpflege: „Ich war Hände, Augen und Ohren für die mir anvertrauten Bewohner und habe mich gern für sie aufgeopfert“, erinnert sie sich an die Zeit. Doch „Augen auf bei der Berufswahl“ habe man ihr im Nachhinein oft gesagt, erzählt sie. „Als Altenpflegerin bekommt man nicht viel. Hätte ich in meinem Berufsleben mehr verdient, hätte ich heute wahrscheinlich auch eine höhere Rente.“
56-Jährige hat schwere Krebserkrankung überlebt
Für Martina Ziegler endete das Berufsleben schon mit 50 Jahren. Sie erkrankte an Schleimhautkrebs: „Seitdem bin ich nicht mehr dieselbe“, sagt sie. Zwar ist die Krankheit überstanden, doch sie hat ihr die Kraft geraubt. „Chemo- und Strahlentherapie sind wie eine Atombombe für den Körper“, beschreibt sie. Nicht nur, dass sich ihr Gewicht auf die Hälfte reduzierte. Auch die Kräfte sind geschwunden. Sie ist schnell erschöpft. Alle Zähne sind ausgefallen. „Zum Glück hat mein Vater die Zuzahlungen für den Zahnarzt übernommen“, ist sie dankbar. Die extreme Mundtrockenheit erschwert ihr das Kauen, Schlucken und Sprechen. Der Geschmackssinn ist für immer verloren. Sie braucht ein Hörgerät. Eine chronische Lungenkrankheit erschwert ihr das Atmen.
Nach Krebs muss EU-Rente zum Leben reichen
Seit 2017 bezieht die 56-Jährige volle Erwerbsminderungsrente, doch leben kann sie davon mehr schlecht als recht. „Meine EU-Rente beträgt aktuell 1219,93 Euro Brutto, nach Abzug der Beiträge sind es noch 1081,53 Euro Netto“, legt sie ohne Scheu ihre finanzielle Situation offen. Allein 704,40 Euro gehen für die Miete ab. Bleiben 377, 13 Euro für gestiegene Kosten für Strom und Leben. „Man kann förmlich wöchentlich mitverfolgen, wie die Preise für Nahrungsmittel steigen.“ Ganz zu schweigen von den Medikamenten. „Ich brauche eine spezielle Creme für meine Haut, um die Beschwerden zu lindern. Die Krankenkasse zahlt das frei verkäufliche Medikament nicht. Die 20-Gramm-Tube kostet inzwischen mehr als zehn statt bisher sieben Euro“, beschreibt sie die Preissteigerung in allen Bereichen.
„Will mich nicht wie ein Schmarotzer fühlen“
Martina Ziegler versucht, aus der aussichtslosen Situation mit einem Minijob zu entfliehen. „Obwohl ich gesundheitlich sehr angeschlagen bin, will ich mich nicht wie ein Schmarotzer fühlen. Also gehe ich zweimal pro Woche putzen. Die Arbeit kann ich mir so einteilen, wie es meine Kräfte erlauben.“ Doch auch mit dem monatlichen Plus von 450 Euro kann sie mit der Preisspirale nicht mithalten. „Eigentlich sollte auch für die Teilnahme am sozialen Leben noch etwas Geld übrigbleiben. Doch das ist ein Drahtseilakt.“ Kann sie zehn Euro pro Monat zurücklegen, ist sie glücklich.
Nebenkostenabrechnung hat sich mehr als verdoppelt
Urlaubsreisen sind für Martina nur möglich, wenn ihr Vater oder die Geschwister sie dazu einladen. An ein Auto ist gar nicht zu denken. „Und jetzt kam meine Betriebskostenabrechnung. Das ist der Supergau“, macht sie klar. Auch wenn sie im Winter sparsam war, nicht in allen Zimmern heizte, bei einer Raumtemperatur von 20 Grad Celsius trotz Jacke und Decke oft gefroren hat, sind ihre Nebenkosten explodiert. 2500 Euro betragen sie für das vergangene Abrechnungsjahr – darunter sind allein 1700 Euro für Heizöl. 1800 Euro hat Martina wie immer monatlich im Voraus gezahlt. „Bisher hatte ich Nachzahlungen von 200 bis 300 Euro“, sagt sie. „Jetzt sind es 708 Euro.“ Ihre mühsam ersparten 120 Euro reichen da nicht weit.
Menschen am Existenzminimum
„Ich will nicht jammern“, sagt sie. „Immerhin habe ich den Krebs überlebt. Aber ich will darauf aufmerksam machen, dass es viele Menschen gibt, die mit einer kleinen Rente am Existenzminimum leben und nicht wissen, wie sie die gestiegenen Energiekosten zahlen sollen.“
Martina Ziegler wandte sich ans Kolbermoorer Sozialamt, doch einen Anspruch auf Grundsicherung hat sie nicht. „Als Single“, so erklärt Johannes Wimmer vom Kolbermoorer Sozialamt, „errechnet sich der gesetzlich definierte, monatliche Bedarf aus der tatsächlichen Miete und dem Regelsatz von 502 Euro. Das wären also 1206,04 Euro Bedarf im Monat.
Mit ihrer EU-Rente und dem Mini-Job kommt Martina Ziegler auf ein monatliches Einkommen von 1531,53 Euro, liegt damit also 300 Euro über dem Bedarf und hat keinen Anspruch auf Grundsicherung. Ohne ihren Minijob aber hätte sie Anspruch auf Grundsicherung und Wohngeld.
Härtefallhilfe ist nur für Eigentümer
Auch die „Härtefallhilfe für Privathaushalte wegen stark gestiegener Energiekosten“ kann sie nicht beantragen. Sie hat sich ausführlich informiert. „Antragsberechtigt sind nur die Betreiber einer Heizungsanlage“, kritisiert sie. Das Bundeswirtschaftsministerium dazu: „Wenn die Mieter ihre Heizkosten an den Vermieter zahlen, kann auch nur der Vermieter die Härtefallhilfen beantragen.“
Am Beispiel eines Mehrfamilienhauses, das mit einer Öl-Zentralheizung beheizt wird, so wie bei Martina Ziegler, wird erklärt: „Das Öl wird durch den Vermieter eingekauft. Der Vermieter ist somit auch Betreiber der Feuerstätte, und nur er kann den Antrag auf Härtefallhilfen stellen.“ Martina Ziegler ist außen vor, doch: „Soll ich jetzt meinen Vermieter bitten, dass er den Antrag für mich stellt und zig Formulare ausfüllt? Er ist doch nicht mein Betreuer. Es ist doch mein Problem, dass ich ein geringes Einkommen habe. Und nicht seins.“
Doch auch wenn der Vermieter von Martina Ziegler die Härtefallhilfen beantragen und gegebenenfalls erhalten würde, wäre ihr für den Moment nicht geholfen, denn: „Die ausbezahlten Härtefallhilfen müssen Vermieter an die Mieter weiterleiten. Dies erfolgt in der Regel in der nächsten Heizkostenabrechnung“, heißt es vom Bundeswirtschaftsministeriums.
Entmutigt vom Gesetzesdschungel
„Das heißt, dass die Menschen, die wie ich am Existenzminimum leben, keine Hilfe bekommen“, ist die 56-Jährige entmutigt. Also fasste sie den Entschluss, sich Gehör zu verschaffen. „Für all die Menschen, denen es genauso geht wie mir, und für die sich keiner interessiert.“
Zuerst wandte sie sich an den Kreisverband Rosenheim von Bündnis 90/Die Grünen. In einem zweiseitigen Brief wird ihr erläutert, dass es für Wohngeldempfänger „in der vergangenen Heizsaison einen Heizkostenzuschuss“ gegeben habe. Wohngeld empfängt Martina Ziegler nicht. Doch die EU-Rentnerin könne auch bei „Jobcenter oder Sozialamt einen Antrag auf Zuschuss stellen“, so der Tipp des Grünen-Kreisverbandes. Dafür reiche ein formloser Antrag per Mail.
Jobcenter springt nur für Erwerbsfähige ein
Ganz so einfach sei es nicht, informiert das Jobcenter für den Landkreis Rosenheim auf Nachfrage der OVB-Heimatzeitungen. Richtig sei, dass Menschen, die durch die gestiegenen Ausgaben für das Heizen in finanzielle Not geraten, auch für nur einen Monat finanzielle Unterstützung in Form von Bürgergeld erhalten können. Und zwar für den Monat, in dem ihr finanzielles Limit durch die Heizkosten überschritten wird.
Für Martina Ziegler sei das Jobcenter allerdings nicht zuständig, denn es betreut nur jene Menschen, die grundsätzlich erwerbsfähig sind. Als Empfängerin einer Erwerbsminderungsrente, so der Rat des Jobcenters, müsse sich die 56-Jährige an die örtliche Sozialhilfeverwaltung wenden und dort Einmalleistungen beantragen.
Zwar hat sie wie erklärt mit ihrer EU-Rente und dem Minijob monatlich 300 Euro mehr Einkommen als ihren gesetzlich definierten Bedarf. „Allerdings erhöht sich durch die Nebenkostenabrechnung der monatliche Bedarf, den sie mit ihrem Einkommen nicht mehr decken kann“, erläutert Johannes Wimmer vom Sozialamt Kolbermoor.
Einmaliger Anspruch auf Grundsicherung
Geht man von ihrem „Bedarf“ von 1200 Euro im Monat aus und addiert die 708 Euro Nachzahlungen für Nebenkosten hinzu, erreicht Martina Ziegler im Mai einen erhöhten Bedarf von 2008 Euro. Ihr monatliches Einkommen liegt bei 1531,53 Euro. In diesem Fall besteht auch beim Sozialamt die Möglichkeit, einmalige Hilfe aus der Grundsicherung zu beantragen.