Nachfolger für eine Kolbermoorer Institution gesucht
„Irgendwann muss Schluss sein“: Abend-Bistro Grammophon schließt zum Jahresende
Im Kolbermoorer Abend-Bistro „Grammophon“ wurde jetzt zum letzten Mal Wiesenanstich gefeiert. Für Stefan und Christine Harster geht die Party zu Ende. Nach 35 Jahren schließen sie ihr Lokal und sagen der Gastronomie servus.
Kolbermoor – Es war die letzte Wiesenanstichparty, die jetzt im Kolbermoorer Grammophon stattfand. Das beliebte Lokal schließt zum Ende des Jahres, und Inhaber Stefan Harster sucht einen Nachfolger. „Aus Altersgründen“, sagt der 65-Jährige. Ab November ist er offiziell Rentner. „Dann ist Schluss.“ Er habe Wirtschaftskrisen, Euro-Umstellung, Corona-Krise und Krankheiten überstanden. „Irgendwann muss mal Schluss sein. Am besten dann, wenn es gut läuft.“
Der Schock sitzt tief bei den Fans. Ausgerechnet das Grammophon? Eine Institution für Kolbermoor, die mit Erinnerungen an tolle Abende verbunden ist. „Wir sind zur Eröffnungsparty hier reingeschneit und wurden trotzdem nicht rausgeschmissen“, erzählt Edi Stieb (64) lachend. Mit seinen einstigen Arbeits-Spezln Paul aus Kufstein, Stefan aus Bad Feilnbach und Salvatore aus Happing trifft er sich regelmäßig auf einen kulinarischen Ratsch. Immer in einem anderen Restaurant, zweimal im Jahr bei Stefan. Das Besondere am Grammophon? „Die Atmosphäre, die Menschen, das Essen – einfach alles.“
Fach von der Pike auf gelernt
Im Januar 1988 wurde das Abend-Bistro von Stefan Harster gegründet. Er hatte sein Fach von der Pike auf gelernt: Aufgewachsen in Kelheim an der Donau ging er für seine Ausbildung ins nahe Regensburg. Im Vier-Sterne-Hotel „Avia“ machte er seine Lehre, später war er Restaurantleiter im französischen Feinschmeckerlokal „La Cave“ im Parkhotel Maximilian, ehe er seine Serviermeisterprüfung in der Steigenberger-Hotelfachschule in Bad Reichenhall ablegte. 1982 verschlug es den Nieder- nach Oberbayern, genauer gesagt nach Rosenheim, wo er sechs Jahre als leitender Oberkellner im Parkhotel Crombach tätig und so beliebt war, dass er sich sagte: „Wenn die Leute sowieso alle zu mir wollen, kann ich mich auch selbstständig machen.“
Mit 30 Jahren in die Selbstständigkeit
Im Januar 1988 war es soweit: Im Alter von 30 Jahren gründete Stefan Harster das Abend-Bistro Grammophon in Kolbermoor. Zusammen mit seiner Frau Christine, die für den gemeinsamen Traum ihren Job als Schneidermeisterin bei einem großen Modehersteller aus der Region kündigte. „Anfangs haben wir an sieben Tagen pro Woche von 11 bis 2 Uhr geöffnet, dann an sechs Tagen und uns schließlich auf eine Fünf-Tage-Woche eingespielt“, erinnert sich Harster an den Start. „Hier konnte man auch nach der Wiesn noch spät in der Nacht reinkommen und wurde herzlich empfangen“, erzählt Edi Stieb und erinnert sich an Freitagabende, an denen sie wie Sardinen im Grammophon standen, so groß war der Andrang.
Über mehr als drei Jahrzehnte hat sich das Lokal zu einem beliebten Treffpunkt entwickelt. Aus Besuchern wurden Stammgäste, aus Stammgästen gute Freunde. So wie Edi. Mit ihm fährt Stefan Harster Touren mit dem Mountainbike. Mit anderen Freunden organisiert er Motorradreisen. Helmut, Sabine, Franziska, Mirko und die anderen Siedler der Karl-Rager-Straße fühlen sich bei Stefan und Christine wie daheim.
Herzliche Wirtsleute
Während des Corona-Lockdowns haben sie ihren Stammtisch ins Freie verlegt und „gebrettelt“, also ein Brett als „gesetzlichen Abstandhalter“ über den Gartenzaun geschoben, an dessen Enden ihr Bier platziert und ihr Essen im Grammophon bestellt, um den Harsters beim Überleben zu helfen. „Unser Sohn Gordon hat Bilder für sie gemalt, um ihnen Mut zu machen“, erzählen Franziska und Mirko Thieme. Eigentlich wollte Gordon auch die Party zu seinem 18. Geburtstag hier machen. „Da das nun leider nicht mehr geht, haben wir jetzt seinen 12. hier gefeiert.“ Die Herzlichkeit von Stefan und Christine werde ihnen fehlen: „Man kommt rein und ist daheim“, sagt Helmut Kaps. Doch sein Nachbar Mirko tröstet ihn: „Zum Glück wissen wir, wo er wohnt.“
Von der guten Küche – allen voran Ofenkartoffeln, Baguettes, Gourmet-Burger, üppige Salate, hausgemachte Suppen, saftige Steaks – schwärmen alle Gäste. „Und die Rippchen erst“, erinnert sich Mirko an den jüngsten Smoker-Abend. Doch es waren nicht allein die Schmankerl oder die gemütliche familiäre Wohnzimmer-Atmosphäre. Es war und ist vor allem die Mischung, die das Bistro im Herzen der Stadt zu etwas Besonderem macht. Und dazu gehören auch 32 Jahre (die Corona-Konzertlockdown-Zeit rausgerechnet), in denen „auf“ dem Kolbermoorer Grammophon Live-Konzerte renommierter Bands gespielt wurden.
Intensive Förderung regionaler Bands
1989 ging es los: Mit dem Konzert von „Jazzica“ zum Einjährigen des Abend-Bistros wurde die Idee geboren. „Erst haben wir nur ab und an mal ein Konzert organisiert, seit 20 Jahren regelmäßig“, erzählt Harster. Seither gab es so viele Auftritte, dass irgendwann keiner mehr mitgezählt hat. Doch an die Künstler erinnern sich alle noch gut: „Michi Dietmayr hat bei mir sein erstes Live-Konzert gegeben, auch der Keller Steff“, beschreibt er sein musikalisches Gespür. Und so lud er sie alle zum Wohnzimmer-Konzert ein: Julia Plank, Out of Rosenheim, Tres, Salsa Bruja, Just Duty Free, N-Joy, die Andi-Thon-Band, Karin Rabhansel, die Lifve Chords, Fritz und die Hulaboys, Susi Weiss, Red Stingray, Ronny Nash, Mercy Beats, die Hot Shot Blues Band, die Blue Note Blues Band, Stressless, Titatoma, Matching Ties, Souled Out, Closing Time, Brothers, Todo Mundo, die Bullit Band, Fräulein Rosmarie und Ihre Lieben, Ladies in Swing, Gladissima Soul, Trio Mio, Foitnrock, Dr. Phil & Phil, Chocolate Desaster oder das David Tixier-Trio.
Harster hat den organisatorischen Aufwand gern auf sich genommen. Er betrachtet seine Konzertreihe als Kulturförderung: Da es immer weniger Auftrittsmöglichkeiten gebe, seien die Bands froh, hier ein Podium zu finden. Die Nachwuchsbands schätzten vor allem die Möglichkeit, in persönlicher Wohnzimmer-Atmosphäre Erfahrungen mit Live-Auftritten zu sammeln. Und die alten Hasen testeten, ob ihr neues Programm beim Publikum ankommt.
Benefizkonzerte für die Nachbarschaftshilfe
Zweimal im Jahr rockt auch die Kolbermoorer „Partygang“ mit Nik Kannengießer, seiner Tochter Sarah und Bruder Dieter Kannengießer das Lokal. Und wie jedesmal war auch bei der letzten Wiesenanstichparty innerhalb weniger Minuten Stimmung im „Wohnzimmer“, sangen die Gäste mit, wurde unplugged mit Gitarre, Ukulele, Cajon und Stimme gefeiert. Die Partygang spielte wie immer ohne Gage und spendete die Einnahmen aus dem „Hut“ für die Arbeit der Nachbarschaftshilfe.
Bis zum Schluss bleibt alles „perfekt“
Doch wie geht es weiter? „Es macht nach wie vor Spaß und bleibt perfekt bis zum Schluss“, blickt Harster auf seine letzten vier Monate im Grammophon. Noch bis Ende des Jahres ist der Veranstaltungsplan voll: mit Karaoke-Shows, Stammtischen, privaten Feiern und Live-Konzerten. Am 18. November ist „Funky Reflection“ noch einmal da. „Eine Kolbermoorer Band, die vor zehn Jahren ihren ersten Auftritt bei uns hatte“, freut sich Harster über den Erfolg der jungen Musiker.
Am 30. Dezember wird ein letztes Mal Vor-Silvester-Party mit den Hulaboys gefeiert. Und danach ist wirklich Schluss. Zumindest für Stefan und Christine Harster. Ihre Kinder Sarah und Sebastian, die neben Schule, Ausbildung und Arbeit in der Gastwirtschaft immer halfen, führen das Lokal nicht weiter. „Auch wenn sie wie für die Gastronomie geboren und gern am Gast sind“, wie ihre Mutter sagt, haben sie ihre eigenen beruflichen Perspektiven gefunden. Deshalb wird nun ein Nachfolger gesucht.
Gastronomiefachmann als Nachfolger gesucht
„Wenn einer Gastronomie gut kann, findet er hier eine Grundlage und einen großen Kundenstamm“, ist sich Harster sicher. Doch bisher hat sich noch kein geeigneter Bewerber gemeldet: „Viele glauben, dass Gastronomie einfach und locker-flockig funktioniert. Doch man muss fachlich Ahnung haben, man muss gut kochen können und natürlich auch über Startkapital verfügen, um es zu schaffen“, beschreibt der Profi.
Ob ihm sein Grammophon fehlen wird? „Das kann ich heute noch nicht sagen“, gibt er zu, schließlich habe er sich vor einem Jahr ja auch noch nicht vorstellen können, dass er tatsächlich schon in Rente gehen wird. Was bleibt, sind die vielen schönen Erinnerungen: „An legendäre Faschingsparties mit Konfetti-Kanonen, an saftige Steaks vom Smoker, an den Besucheransturm beim Stadtfestival oder an einen Heiratsantrag beim Konzert der Partygang.“
Eine Institution verschwindet
„Ich finde es sehr traurig, dass das Grammophon schließt“, bedauert Nik Kannengießer das unausweichliche Ende. Harster sei über all die Jahre ein wichtiger Förderer der Kultur gewesen und habe die wenigen Bands, die es noch gebe, unterstützt. „Sehr ehrenwert finde ich auch, dass er die Nachbarschaftshilfe mit Benefizkonzerten unterstützt hat“, ergänzt Christian Poitsch, Stadtmarketing-Chef von Kolbermoor. Er gönne jedem seinen wohlverdienten Ruhestand, aber er weiß auch: „Wenn so eine Institution wie das Grammophon, so ein Ankerpunkt für Live-Konzerte wegbricht, ist das schmerzlich.“
„Wie sehr etwas fehlt, merkt man oft erst, wenn es nicht mehr da ist“, sagt Christian Poitsch. Doch die Stammgäste von Stefan und Christine Harster ahnen jetzt schon, was sie ab Januar vermissen werden. „Diese Beständigkeit“, sagt Alf Hutterer, der das Grammophon von Beginn an kennt. „Die Gastronomie im Allgemeinen ist von einem ständigen Kommen und Gehen geprägt. Bei Stefan und Christine fühlen wir uns einfach wohl, weil wir uns immer sicher sein konnten, dass wir auf herzliche Menschen und wirkliche Gastfreundschaft treffen, und dass wir uns auf Qualität verlassen können.“
Arbeit macht Spaß, aber „Freizeit ist schöner“
Trotzdem: „Stefan lebt auch nur einmal“, versteht Edi die Entscheidung seines Freundes, mit 66 Jahren der Gastronomie servus zu sagen. „Ich habe auch gern gearbeitet, aber Freizeit ist schöner“, berichtet er aus der Erfahrung des eigenen Vorruhestandes. Einfach mal ohne Termine in den Tag hinein zu leben, sich öfter auf dem Rad den Wind um die Nase wehen zu lassen – nach 50 Jahren in der Gastronomie sind das für Stefan Harster schöne Vorstellungen. Christine muss noch sechs Jahre arbeiten, will sich nochmal einen Job suchen und führt ihre Maßschneiderei weiter. „Auf uns warten jetzt andere schöne Aufgaben“, sagt Christine lächelnd und denkt dabei an ihre ersten beiden Enkel, die sich mit drei Jahren und 18 Monaten auf mehr Zeit mit Oma und Opa freuen.



