Grippe-Saison
Die Infektionswelle rollt: Droht im Altlandkreis Wasserburg ein Engpass bei Medikamenten?
Husten, Schnupfen, Corona: Die winterliche Infektionswelle ist da. Müssen sich Bürger Sorgen machen, dass es wieder zu Engpässen bei den Arzneimitteln kommt? Einblicke in den Kampf der Apotheken um Schmerz- und Fiebermittel – und welche Rolle TikTok-Trends bei den Engpässen spielen.
Wasserburg/Edling/Haag/Gars – Aktuell würden die Apotheken Schwierigkeiten haben, bestimmte Arzneimittel anzubieten, sagt Christina Mayerhofer, Leiterin von drei Apotheken in Haag und Gars. „Wir können derzeit etwa 310 Medikamente gar nicht nachbestellen und wissen nicht, wann die betreffenden Arzneimittel wieder lieferbar sind“, bedauert sie. Außerdem seien noch 100 Kontingentartikel, also Produkte, die die Apotheken zugeteilt bekämen, nicht lieferbar.
Betroffen sind unterschiedliche Medikamente
Betroffen davon seien laut Mayerhofer unterschiedliche Medikamenten-Gruppen. „Es zieht sich durch von Antibiotika über Impfstoffe, Schmerz- und Augen-Arzneimittel bis zu Blutdruck-, Krebs- und Zuckermedikamenten sowie Psychopharmaka“, sagt die Inhaberin der Haager Grafschaft- und Löwen- sowie der Garser Sankt-Ulrich-Apotheke. Der Fokus des Mangels liege in diesem Herbst aber auf den antibiotischen Stoffen.
Auch Jutta Beckmann, Inhaberin der Johannes-Apotheke in Edling, bestätigt den Mangel an Antibiotika-Wirkstoffen. „Durch die Pandemie ist bei vielen Menschen das Immunsystem weiterhin geschwächt. Dadurch werden gerade in der Grippe-Saison viele krank. Die Nachfrage ist demnach sehr hoch“, sagte die 60-Jährige.
Vielschichtige Gründe für Engpässe
Dass ein Engpass im Bereich der Medikamenten-Versorgung entstehe, gehe auf vielfältige Gründe zurück. „Teilweise gibt es Probleme in der Lieferkette“, erklärt Mayerhofer. Die Ausgangsstoffe für bestimmte Antibiotika würden beispielsweise nur in China und von wenigen Firmen produziert werden. „Wenn es dort zu Ausfällen kommt, ist der ganze Weltmarkt betroffen“, so die Apothekerin. Aber auch Trends, gesetzt in den sozialen Medien, seien Auslöser für Engpässe. So habe es zur Volksfestzeit einen Mangel an Elektrolyt-Lösungen geben, da jene gegen den „Kater“ am nächsten Tag helfen sollten und vermehrt gekauft worden seien. Gleiches passiere derzeit mit verschiedenen Diabetes-Medikamenten. Auf TikTok und Instagram seien Videos zu sehen, in denen erzählt werde, die Arzneimittel würden beim Abnehmen helfen.
Das sei sowohl für Patienten als auch für die Apotheken frustrierend, meint Mayerhofer. Sie versuche deswegen, für alle Belange ihrer Kunden Lösungen zu finden. „Ich kann intern auf drei Warenlager zurückgreifen und habe darüber hinaus ein großes Netzwerk aus anderen Apotheken. Wir nutzen wirklich viele Kanäle“, so die Inhaberin von drei Filialen.
Zwickmühle für Apotheker
Auch Beckmann betont, dass sie ihr Lager aufstocke. „Das ist aber risikobehaftet. Wenn ein Medikament auf dem Markt verfügbar ist, dann kaufe ich es. Sollte dann zum Zeitpunkt einer Infektionswelle jedoch auch ein günstigeres Präparat vorhanden sein, kann es sein, dass ich auf den anderen Produkten sitzen bleibe, weil ich das Günstigere zuerst ausgeben muss“, erklärt die Besitzerin der Johannes-Apotheke in Edling. Würde sie dennoch das teurere Äquivalent an den Kunden geben, könne es sein, dass sie den Fixbetrag der Krankenkasse nicht bekomme.
Anders als Mayerhofer und Beckmann schätzt Tobias Schlosser, Inhaber der Sankt Jakobs Apotheke in Wasserburg, die Versorgungslage an Medikamenten ein. In diesem Herbst sei die Verfügbarkeit wesentlich besser als im vergangenen. „Kinderarzneimittel sind erhältlich“, betont Schlosser. Er habe mehrere Großhändler. „Auch außerhalb Bayerns strecken wir unsere Fühler nach Lieferanten aus“, so der Inhaber der Sankt Jakobs-Apotheke. Für Schlosser komme es auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Patient, Arzt und Apotheke an. Es seien genügend Ausweichpräparate vorhanden. Er räumt jedoch ein, dass es letztendlich von der Art der Infektionswelle abhänge, wie sich die Versorgungslage entwickle, und darauf ankomme, wie die Großhändler aufgestellt seien.
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Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Medikamenten-Herstellern
„Seit 2007 schließen Krankenkassen mit Arzneimittelherstellern Rabattverträge ab. In einem Rabattvertrag gewährt ein Pharmahersteller einer Krankenkasse einen Rabatt auf den Herstellerabgabepreis für ein Medikament oder auch ein ganzes Sortiment. Im Gegenzug sichert die Krankenkasse zu, dass alle ihre Versicherten im Normalfall künftig nur dieses Präparat erhalten“, erklärt die Arbeitsgemeinschaft der Berufsvertretung Deutscher Apotheker (ABDA).
„Der Apotheker muss also bei der Arzneimittelabgabe zunächst das richtige Rabattarzneimittel identifizieren. Gibt er ohne triftige Begründung das Präparat des falschen Herstellers ab, droht ihm eine Retaxation. Das bedeutet, dass die Krankenkasse wegen einer Vertragsverletzung die Einkaufskosten für das Arzneimittel nicht erstattet und sein Honorar einbehält, obwohl der Patient versorgt wurde. Mittlerweile haben die über 100 Krankenkassen mehr als 27.000 Rabattverträge abgeschlossen“, so die ABDA.
Erleichterungen in der Ausgabe von Kinderarzneimitteln?
Am 19. Oktober stimmte laut Angaben der ABDA der Bundestag einer Erleichterung beim Austausch von Kinderarzneimitteln zu. Apothekern sollen in der Ausgabe von Medikamenten für Kindern mehr Entscheidungsbefugnisse bekommen, wie Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände betont. „Jedoch sind die Lösung des Gesundheitsministeriums unpraktikabel“, so Overwiening.
Apotheken sei es nun nur erlaubt, ein anderes Medikamenten-Präparat auszugeben, wenn das von einer Rabattierung betroffene Arzneimittel auf einer „Dringlichkeitsliste“ des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte stehe. „Und wenn es die Liste dann gibt, werden die Apothekenteams vor jedem Austausch und vor jeder Herstellung eines Arzneimittels (Rezeptur) auf der Internetseite des Bundesinstitutes recherchieren müssen, ob sie die neuen Austauschfreiheiten überhaupt anwenden dürfen“, kritisiert die Präsidentin der ABDA.
Weitere Forderungen
Im November rief die ABDA in ganz Deutschland zu Protestaktionen auf. Weiter fordert die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, dass sich das „Fixum“ von derzeit 8,35 Euro auf 12 Euro erhöht. Bei jedem verschreibungspflichtigen Medikament bekomme die Apotheke diesen Fixbetrag, der seit zehn Jahren nicht erhöht worden sei, wie Christina Mayerhofer, Leiterin von drei Apotheken in Haag und Gars, und Jutta Beckmann, Leiterin der Johannes-Apotheke in Edling ,erklären.
Ohne eine Erhöhung des „Fixums“ könne auch der Lohn in den Apotheken nicht an die jetzigen Lebenskosten angepasst werden, da sich sonst die Apotheke nicht mehr finanziere. „Die derzeitige in den Tarifverträgen festgelegte Bezahlung für Mitarbeiter wird der Verantwortung und Tätigkeit nicht gerecht“ betont Beckmann. Das bestätigt auch Mayerhofer. „Die Apotheke ist ein wirklich schöner und wichtiger Arbeitsplatz, der eine entsprechende Honorierung verdient.“
