Helden der Lüfte? Rosenheimer Hagelpilot Georg Vogl im Gespräch
Hagelpiloten im Kampf gegen Gewitterwolken: „Zeitpunkt und Ort sind unsere Achillesferse.“
„Dass in Rosenheim das Herbstfest nur unter Wasser stand und nicht verhagelt wurde, war mit Sicherheit ein Erfolg der Impfung.“ Damit meint Georg Vogl, langjähriger Hagelpilot, nicht etwa eine Coronaimpfung, sondern den Einsatz der Hagelflieger während des verheerenden Gewitters vor einem Monat (26. August). Über den wohl Schwindel erregendsten Job in der Region:
Vogtareuth - „Wir erwarten einige Turbulenzen auf unserem Flug. Bitte begeben Sie sich unverzüglich auf ihren Sitzplatz und schnallen Sie sich an.“ - Was bei den meisten Passagieren an Board eines Linienfluges für kalten Schweiß auf der Stirn sorgt, ist für Georg Vogl Standard. Er ist Hagelpilot. Turbulenzen gehören dazu:
„Es ist nicht angenehm. Man gewöhnt sich mit der Zeit aber daran, vor allem gewöhnt man sich auch daran, dass man eigentlich nur links-rechts fliegt und immer Haken schlägt und nicht irgendwo einmal geradeaus fliegt.“ Während Georg Vogl, Leiter der zentralen Einsatzstelle für die Hagelabwehr im Raum Rosenheim von seinem Berufsalltag erzählt, klingt er sehr entspannt. Wir stehen im Hangar am Flugplatz Vogtareuth. Vogl zeigt uns die zwei Flugmaschinen der Hagelabwehr und erzählt vom Alltag eines Hagelpiloten. Wir werden schon beim Zuhören nervös:
„Keiner fliegt da mit fünf Kilometer Höhe in die Wolken rein. Das macht keinen Sinn. Das ist tödlich.“ Die Antwort auf unsere Frage, ob man denn mit dem Flugzeug wirklich in eine Gewitterzelle fliegen kann. Also nicht. Gut - das beruhigt ein bisschen. Aber wie funktioniert das dann mit der Hagelabwehr? Man müsse, so Vogl, vor dem Gewitter herfliegen, um das Silberiodid in die Wolke einzubringen: „Was wir bewirken wollen damit ist, dass wir Kondensationskeime und Eiskeime erzeugen. Silberiodid-Rauch, also die mikroskopisch feinen Partikel, wirken als Kondensationskeime und als Eiskeime.“
Hagelschäden sind im Alpenvorland keine Seltenheit. Durch die Staulage vor den Bergen entstehen in unserer Region die gefürchteten Gewitterwolken, wie auch zum Beispiel die Superzelle vor einem Monat (26. August) besonders häufig. In den sich auftürmenden, sogenannten Cumulonimbuswolken bilden sich die zerstörerischen Geschosse: Hagel entsteht durch aufsteigende warme Luft, die kondensiert und durch die starken Temperaturunterschiede in den Wolken gefriert. Bestehen starke Aufwinde, werden die Eiskristalle hin und her gewirbelt, wodurch sich immer mehr Eis an ihnen anreichert. Sie wachsen also stetig an.
Hagelflieger wollen Hagelkorngröße minimieren
Die Hagelkörner erreichen so oft eine Größe von mehreren Zentimetern und zerstören ganze Ernten, aber auch Auto- und Hausdächer. Dagegen schickt man die Hagelflieger in die Luft. Sie sollen, schon bevor Hagel überhaupt auf natürlichem Wege in der Wolke entsteht, mit Silberiodid künstlich Hagel erzeugen. Die Hoffnung: die Silberiodid-Teilchen sollen Wasser binden und gefrieren lassen. Damit werden die Hagelkörner dann zwar mehr, aber „wir wollen eigentlich sehr viele kleine Hagelkörner in der Wolke erzeugen anstelle weniger großer.“ So soll der Schaden geringer gehalten werden.
Ist Silberiodid giftig?
Zum Thema Schaden stellt sich vielen die Frage, ob denn nicht das Silberiodid auch schädlich für die Umwelt ist? Da kann Georg Vogl beruhigen: „Silberiodid ist ein grün, gelbliches Salz. Wenn Sie einen Suppenlöffel voll davon zu sich nehmen, haben Sie eine Schwermetallvergiftung. Ganz klar.“ Aber, so Vogl, in der verwendeten Konzentration sei es unbedenklich:
„Wir verwenden hier eine sechsprozentige Lösung. Pro Liter sind ungefähr fünfzig Gramm gelöst.“ In verbrannter Form sei es auch nicht UV-stabil und zerfalle in kürzester Zeit in seine Einzelbestandteile. Auch in Regionen, wo nie ein Hagelflieger unterwegs war, gäbe es, so Vogl weiter, genauso viel Anreicherungen im Boden wie bei uns, da es auch natürlich vorkommt: „Und ich strahle auch noch nicht“, ergänzt er schmunzelnd.
Es hagelt Kritik: Wirksamkeit von Hagelflügen umstritten
Bei der nächsten, eigentlich einfachen Frage scheiden sich dann allerdings die Geister: Funktioniert das mit der Hagelabwehr denn? Große Kritik am Einsatz von Hagelflugzeugen äußerte immer wieder, der aus Wetteransagen im Fernsehen bekannte Journalist, Jörg Kachelmann. Es gibt keine wissenschaftlich tragbaren Studien zu dem tatsächlichen Erfolg solcher Einsätze. Georg Vogl ist überzeugt, dass es funktioniert. Allerdings ist er auch realistisch bei der Einschätzung des Erfolges seiner Einsätze:
Die Anfänge des Geo-Engineerings
„Es wurde 1948 schon bewiesen, dass es möglich ist, mit Silberiodid-Rauch oder überhaupt mit Aerosolen die Wolkendynamik und die Wolkenphysik zu beeinflussen.“ Der Feldversuch fand allerdings in den USA im Zusammenhang mit der Erzeugung von Regen statt. Damals wurde Silberiodid in eine Schichtwolke, also nicht in eine Gewitterwolke, eingebracht: „Die Wissenschaftler damals haben das Monogramm des Wetterdienstes in die Wolke geimpft. Und aus diesem Bereich, der beimpft wurde, hat es dann geregnet. Ein schlagender Beweis.“
„Zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle“ - Die Krux beim Hagelflug
Befürworter und Gegner drehen sich im Kreis, denn: es kann weder die Wirksamkeit noch die Unwirksamkeit bewiesen werden. Gewitterwolken sind immer unterschiedlich, keine gleicht der anderen. Somit kann ein genauer Vergleich zwischen geimpfter und ungeimpfter Wolke nicht stattfinden. Trotzdem - Georg Vogl ist sicher: „Wenn ich zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle eine ausreichende Menge hineinbringe, dann wirkt es auch da. Vielleicht nicht zu hundert Prozent, aber selbst wenn ich nur fünfzig Prozent erreiche, habe ich schon gewonnen.“ Damit spricht er auch gleich das große Problem der Methode an:
„Das ist genau unsere Achillesferse, dass wir nie wissen, wann ist der richtige Zeitpunkt und wo ist der richtige Ort. Das ist reines Gespür, reines Feeling vom Piloten und Verdacht. Da liegt man auch mal daneben.“ Und er nennt auch gleich ein Beispiel für einen Einsatz, der aufgrund der Größe des Unwetters eine Herausforderung für die Piloten war: „Am 26. August war ich zu weit im Norden. Man hätte den Weg auch weiter nach Süden ausdehnen müssen und um das Ding herumfliegen.“
Das Gewitter vom 26. August: „Ausmaße immens“
An diesem Tag war die Gewitterzelle zu gewaltig: „Weil da die Ausmaße so immens sind, dass ich mit zwei Flugzeugen einfach nicht die Zeit habe. Da bräuchte ich zehn Flugzeuge, die müssten in einer Kette hintereinander das Ding abfliegen.“ Bei dem Einsatz - und während Georg Vogl erzählt, treibt es uns wieder den Schweiß ins Gesicht - mussten sie sogar kurzfristig umplanen und am Salzburger Flughafen landen:
„Wir sind dann vor dieser Zelle abgeflogen. Und spätestens ab der Inn-Linie war für mich klar, wir kommen nicht nach Vogtareuth zurück.“ Er sei dann in Salzburg gelandet, habe einen Kaffee getrunken und nach Abzug des Gewitters wieder zurück nach Vogtareuth zurückgeflogen. Vorher sei die Sicht zu schlecht gewesen, um sicher zurückzukommen.
Hagelflieger arbeiten mit der Universität Rosenheim zusammen
Georg Vogl ist einer von acht Hagelpiloten. Sie befliegen die Gebiete des Landkreises Rosenheim, Miesbach, Traunstein und 40 Gemeinden aus den Bezirken Kufstein und Kitzbühel. Finanziert wird das Ganze mit unterschiedlichem Anteil von den Landkreisen. Vogl selbst ist wohl der einzige verbeamtete Hagelpilot Deutschlands, wenn nicht weltweit. Mit 65 Jahren hat er nun eine Nachfolgerin für den Job des Leiters der zentralen Einsatzstelle gefunden. Und bereits seit einigen Jahren arbeiten die Hagelflieger auch mit der Universität Rosenheim zusammen. In dem Projekt RO-BERTA sollen Lösungen gefunden werden, um ihre Einsätze noch präziser fliegen zu können.
Und das gute ist: Jeder kann dabei mitmachen - mithilfe der extra dafür entwickelten App: Benutzer können den Hagelflieger am Himmel finden oder den Flugverlauf auf einer Karte anzeigen lassen. Zudem können Nutzer durch Wettermeldungen vor Ort die Hagelflieger unterstützten, um die Flüge besser auswerten und analysieren zu können. Über 10.000 Mal wurde sie bereits heruntergeladen. Sogar, so Vogl, der Deutsche Wetterdienst würde nun die Daten verwenden.
Haben Hagelflieger manchmal noch Angst?
Hat ein Hagelflieger wie Georg Vogl, der seit vielen Jahren im Einsatz ist, noch Angst beim Start? „Angst nicht. Nervosität ja, eine gewisse Anspannung. Also, wenn ich Schnupfen habe zum Beispiel. In dem Moment, wo ich im Flugzeug sitze, ist er weg. Wenn ich aussteige, kommt er zurück. Aber Angst nein, in dem Moment, wo ich Angst hätte vor dem Fliegen, würde ich am Boden bleiben.“ Es zieht ihn in die Lüfte, und so will er nicht ausschließen, auch nach der Übergabe seines Amtes an seine Nachfolgerin noch den ein oder anderen Einsatz zu fliegen „so lange es Spaß macht.“
