Nach 41 Jahren im Dienst
Wenn der Aiblinger Direktor a.D. von den Hügeln der Toskana grüßt: Michael Beer geht in Ruhestand
Zum letzten Mal wird Direktor Michael Beer am Freitag (26. Juli) die Türen „seines“ Gymnasiums Bad Aibling schließen. Ein Gespräch über die größten Herausforderungen, seine persönlichen „Top 3“ der vergangenen Jahre und wo der künftige Ruheständler den ersten Schultag heuer verbringen wird.
Bad Aibling – 41 Dienstjahre liegen hinter ihm. Mehr als die Hälfte davon hat er in der Schulleitung des Gymnasiums Bad Aibling verbracht, die vergangenen 13 als dessen Direktor. Nach den großen Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Schule in diesem Jahr und zuletzt zu seinem Abschied nimmt Michael Beer nun endgültig den Hut und geht in den Ruhestand.
Herr Beer, im Sommer 2011 saßen wir hier zum Interview anlässlich Ihres Antritts als Direktor des Gymnasiums Bad Aibling. Heute ist Ihr letzter Tag an dieser Schule und in Ihrem Berufsleben. Mit welchem Gefühl werden Sie das Gebäude heute verlassen?
Michael Beer: Es wird ein Gefühl der Ambivalenz sein. Auf der einen Seite verlasse ich eine Schule, die mir in insgesamt 26 Jahren in unvorstellbarem Maße ans Herzen gewachsen und mein zweites Zuhause geworden ist, in der ich eine wunderbare Zeit verbringen und Tausende von spannenden Begegnungen mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen genießen durfte, und die mir eine nicht mehr überschaubare Anzahl an bereichernden Erlebnissen ermöglicht hat. Auf der anderen Seite muss es nach insgesamt 41 Dienstjahren und mit Überschreiten der Altersgrenze von 66 auch mal gut sein. Und auch wenn ich keinerlei „Amtsmüdigkeit“ verspüre, freue ich mich auf viele neue Freiheiten und Möglichkeiten im „Ruhestand“. Es ist ja auch besser zu gehen, solange man noch nicht hinauskomplimentiert wird …
Welche 3 Schlagworte würden Sie als charakteristisch für die vergangenen 13 Jahre wählen?
Beer: Unvorhersehbar, aufregend, glücklich.
Welche Situationen zählten zu den herausforderndsten?
Beer: Neben den großen Herausforderungen wie Pandemie mit Lockdown und Fluchtbewegung mit Sporthallenbelegung sind es Situationen im Alltag, die plötzlich hereinbrechen, wie etwa persönliche Tragödien in den Familien der Schülerinnen, der Schüler oder der Lehrkräfte, bei denen man lediglich sprachlos sein Mitgefühl und seine Anteilnahme äußern und die Bereitschaft zur Unterstützung und zum Auffangen signalisieren kann.
Und welche zu denen, an die Sie sich am liebsten erinnern? Gab es vielleicht „das eine“ Highlight?
Beer: Ich bin ohne Übertreibung an jedem einzelnen Tag mit großer Freude und Dankbarkeit in diese Schule gegangen, insofern werde ich mich sehr gerne an die vielen Begegnungen mit „meinen“ Schülerinnen und Schülern, aber auch den Lehrkräften oder Eltern erinnern. Daneben gab es noch die Glanzlichter der Musicals, der Konzerte, der Theateraufführungen, aber auch die europäischen Begegnungen im Rahmen von Erasmus+, etwa in Portugal, Italien, Ungarn, Spanien oder Frankreich. Es gibt auch nicht nur „das eine“ Highlight, aber es gibt „TOP 3“, nämlich die Verabschiedungsfeierlichkeiten, die mir mein Kollegium und meine Schülerschaft in den letzten zwei Wochen bereitet haben, die 50-Jahr-Feier im März 2024 und das Erlebnis, als mir im Brüsseler EU-Parlament die Europa-Medaille der EVP-Fraktion überreicht wurde.
In welchem Bereich hat sich aus Ihrer Sicht in den vergangenen 13 Jahren am meisten verändert – zum Guten und zum weniger Guten?
Beer: In den vergangenen 13 Jahren hat sich die Digitalisierung rasant und massiv an den Schulen ausgebreitet und ist heute nicht mehr wegzudenken. Ob das nun zum Guten oder zum weniger Guten führte, hängt ganz vom Standpunkt des Betrachters ab. Jedenfalls werden wir in Zukunft noch viel mehr Digitalisierung im Alltag und im Berufsleben haben, sodass die Schule gar nicht umhin kann, digitale Inhalte und Prozesse zu vermitteln, wollen wir unsere Kinder zukunftsfähig machen. Im Unterrichtsalltag hat sich vieles gewandelt, weg von der reinen Wissens- und hin zur Kompetenzvermittlung. In einer Zeit, in der das gesamte Wissen der Welt über das Smartphone jederzeit und an praktisch jedem Ort zugänglich ist, verschiebt sich der Fokus. Statt ein „WAS?“ zu lernen, ist es wichtiger, den Schwerpunkt auf ein „WIE?“ und ein „WOZU?“ zu legen.
Weniger gut ist auf jeden Fall, dass viele Kinder immer noch an den Auswirkungen der Schulschließungen während der Pandemie leiden, weil sie beim Home-Schooling durch das Raster gefallen sind. Das ist jammerschade, aber noch immer stellen wir große Lücken aus diesen Jahren und seelische Folgeschäden fest.
Sekundärtugenden fördern – ein Thema, das Ihnen schon damals sehr unter den Nägeln brannte. Waren Sie und das Kollegium hier erfolgreich und wenn ja, wie ist das gelungen? Wenn nein, woran ist das gescheitert?
Beer: Es wird mir immer wieder von Besuchern und Eltern bestätigt, dass die Atmosphäre am Aiblinger Gymnasium eine ganz besondere ist. Spürbar sind eine Verbundenheit aller Mitglieder der Schulgemeinschaft und ein respektvoller, wertschätzender Umgang miteinander. Das zu etablieren, scheint uns gelungen. Funktionieren konnte das allerdings nur durch ein persönliches Vorbild aller Beteiligten, Unterstützung lieferte wahrscheinlich auch das Motto des Jahresthemas „Respekt gewinnt!“ Und dazu kommt, dass wir als Schulleitung im Bereich Mobbing und Gewalt eine „Null Toleranz“-Strategie verfolgt haben. Das spricht sich unter Schülern und Schülerinnen schnell herum.
Wie sehen Sie das Gymnasium Bad Aibling für die Zukunft aufgestellt?
Beer: Ich sehe diese Schule als weltoffene und innovative Schule, an der nahezu jeder Schüler und jede Schülerin beziehungsweise jede Lehrkraft seinen oder ihren Platz finden, seine oder ihre Stärken ausspielen kann. Und mit dieser Mannigfaltigkeit ist das Gymnasium für die Zukunft trotz Klima, Krieg und Katastrophen und auch im Angesicht von KI gut aufgestellt.
Welches wäre Ihr dringendster Wunsch an die Bildungspolitik?
Beer: Die Bildungspolitik wäre gut beraten, nach den Verwerfungen der letzten Jahre und Jahrzehnte nun eine dringend notwendige Stabilisierungsphase zuzulassen. Darüber hinaus sollte man nicht weiter die Schule als Reparaturinstanz für alle gesellschaftlichen Fehlentwicklungen heranziehen, das kann sie nämlich nicht leisten. Und nicht zuletzt würde ich mir von der Politik, von einer Kultusministerin, aber auch von einem Ministerpräsidenten wünschen, endlich einmal mehr Wertschätzung für die Lehrkräfte vorzuleben und einzufordern. Die leisten nämlich in ihrer überwältigenden Mehrheit Tag für Tag einen hervorragenden Job und gestalten über die Heranwachsenden die Zukunft mit. Dafür aber werden sie in der Öffentlichkeit viel zu wenig geschätzt. In skandinavischen Ländern ist das anders…
Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger?
Beer: Ich wünsche ihm ein gutes Händchen bei allen Entscheidungen, die nötige Gelassenheit und das Bewusstsein, dass er nun Schulleiter der schönsten Schule ist, die man sich nur vorstellen kann!
Glauben Sie, das Sie etwas vermissen werden?
Beer: Ich werde die vielen Begegnungen und Gespräche mit Schülerinnen, Schülern, Lehrkräften und Eltern sehr vermissen, ganz besonders den täglichen Weg vom Parkplatz zur Schule, wenn ich morgens schon von strahlenden Schüleraugen mit einem „Hallo, Herr Beer!“ begrüßt wurde.
Wissen Sie schon, was Sie an Ihrem ersten Tag im Ruhestand tun werden?
Beer: Da werde ich mich erst einmal von den anstrengenden letzten Wochen erholen müssen und habe noch nichts vorgeplant. Aber ich weiß schon genau, wo ich am letzten Ferientag und am ersten Schultag des neuen Jahres sein werde: Auf einem für seine Küche berühmten Weingut in der Toskana, genauer gesagt im Chianti-Gebiet. Dann werde ich vom Pool aus über die Hügel blicken und an das Gymnasium Bad Aibling zurückdenken.
Nach einem Berufsleben in und für die Schule – was wird nun für Sie in den Fokus rücken? Worauf freuen Sie sich am meisten?
Beer: Ich werde jetzt hoffentlich Zeit für Hobbies haben, um zu lesen, endlich richtig Italienisch zu lernen und ganz viel zu reisen. Natürlich auch, um künftig mehr Zeit für meine Familie zu haben, die in den letzten 13 Jahren doch immer wieder zurückstecken musste. Und ganz besonders schön finde ich die Aussicht, nach über 40 Jahren künftig nicht mehr kurz vor 6 Uhr aufstehen zu müssen…