„Ich weiß nicht, wie das passiert ist“
Sexueller Missbrauch an Bub (9) im Zug: Kommt der Angeklagte auf Bewährung davon?
In einem Zug hat ein 32-Jähriger einen Neunjährigen am Oberschenkel und im Genitalbereich gestreichelt. Nach einer wirren Aussage und schließlich einem Geständnis gab es ein überraschendes Urteil.
Rosenheim – Die Geschichte, die der angeklagte Palästinenser dem Jugendschöffengericht auftischen wollte, war abenteuerlich. Angeblich war der Bewohner einer Asylunterkunft in Waldkraiburg auf einer Friedensdemo in München. Dort hatte der 32-jährige, laut seinen Angaben, eine Freundin getroffen, die sich auf einer Parkbank auf seinen Schoß gesetzt habe. Dabei sei es zum Samenerguss gekommen. Bei der Rückfahrt habe er den falschen Zug erwischt, deshalb sei er in Prien ausgestiegen, um anschließend wieder zurück nach München zu fahren.
Angeklagter wollte Neunjährigen „aufmuntern“
Im Zug habe er sich neben den Neunjährigen gesetzt, weil er nach dem Weg fragen wollte. Anschließend sei er sitzen geblieben und habe dem Buben beim Computerspielen zugeschaut. Dabei habe er dem Kind einen Klaps aufs Knie gegeben und ihm ein paar Mal in den Oberschenkel gezwickt, das sei ganz harmlos gewesen und in seiner Heimat nicht unüblich. „Ich wollte ihn aufmuntern, besser zu spielen“, sagte der Angeklagte.
„Ich frage doch keinen Neunjährigen, wenn ich mich verfahren habe und den Weg nicht kenne“, stellte Richter Marco Bühl fest. Und auch die Geschichte mit der Frau auf dem Schoß, mit der es ohne sexuelle Handlungen zum Samenerguss gekommen sei, sei unglaubhaft. „Eine absurdere Einlassung habe ich selten gehört“, betonte der Richter und riet dem Angeklagten, seine Aussage nochmals zu überdenken. Mit so einer wilden Pistolengeschichte, die nicht mit der Wirklichkeit zu tun habe, rede sich der Angeklagte um Kopf und Kragen. Die Chance auf eine Bewährungsstrafe sei bei einem werthaltigen Geständnis, das dem Jungen eine Aussage erspare, deutlich höher, riet der Richter.
32-Jähriger räumt Tatvorwurf ein: Bub im Genitalbereich gestreichelt
Nach Rücksprache mit dem 32-jährigen räumte Rechtsanwalt Kösterke, den Tatvorwurf für seinen Mandanten umfassend ein. Demnach hatte sich der Angeklagt in dem halb leeren Abteil zu dem Buben gesetzt, der mit seiner Familie unterwegs war, aber allein am Ende der Zweiersitzreihen saß, um dort an seinem Tablet zu spielen. Um nicht eingesehen zu sein, hatte der Angeklagte seine Jacke über die Rücklehne der beiden Sitze gehängt. Nach etwa zehn Minuten hat der Mann begonnen, den Buben am Oberschenkel zu streicheln, dann hat er ihn über der Kleidung am Genitalbereich gestreichelt und gekniffen. Dabei berührte er sich auch selbst im Genitalbereich.
Der Bub hat mehrfach versucht, die Hand wegzuschieben und aufzustehen, doch der Angeklagte hat sich davon nicht abhalten lassen. Nach einem zwischenzeitlichen Besuch auf der Toilette setzte er seine Berührungen im Genitalbereich fort. Auf Höhe Grafing konnte der Bub dann unter einem Vorwand zu seiner Familie und ihr den Vorfall berichten. Die Mutter verständigte daraufhin sofort die Polizei und am Ostbahnhof wurde der Angeklagte bereits von den Einsatzkräften festgenommen.
Überwachungskameras des Zugabteils und die Videoaufzeichnung der Aussage des Geschädigten, der vor Gericht nicht erneut aussagen musste, bestätigten den Tatvorwurf zweifelsfrei. Auf den Bildern der Überwachungskamera ist zu sehen, wie Familienmitglieder einige Male nach dem Buben schauen, jedoch offensichtlich keine Auffälligkeiten bemerkten. Die Mutter sagte vor dem Jugendschöffengericht, dass ihr Sohn den Vorfall bisher gut weggesteckt habe.
„Ich weiß nicht, wie das passiert ist“, sagte der Angeklagte und bat die Mutter um Entschuldigung. Ein Spurengutachten hatte die DNA des Buben und des Angeklagten auf der Hose des Neunjährigen und Spermaspuren in der Unterhose des Angeklagten nachgewiesen.
Geständnis nicht von Einsicht und Reue geprägt
Für Staatsanwältin Stock hatte der Angeklagte mehrfach angesetzt und den Buben über einen längeren Zeitraum im Genitalbereich berührt und ihm dabei auch Schmerzen zugefügt. Dabei habe er eine gewisse Penetranz und auch erhebliche kriminelle Energie an den Tag gelegt, in dem er mit seiner Jacke die Sicht auf sein Handeln behindert habe.
Das Geständnis sei nicht von Einsicht und Reue geprägt gewesen. Allerdings habe der Angeklagte keine Vorstrafen und selbst Traumatisches mit dem Verlust von Familienmitgliedern im Krieg in Gaza erlebt. Zu Gunsten des Angeklagten sei auch zu werten, dass beim Geschädigten keine psychischen Folgen festgestellt worden seien. Eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren sei zwingend notwendig und auch nicht zur Bewährung auszusetzen.
Richter: Neunjähriger habe sexuellen Bezug nicht realisiert
Verteidiger Kösterke wies darauf hin, dass das Geständnis dem Buben eine erneute Aussage vor Gericht erspart habe. Die Berührungen in der Öffentlichkeit und über der Hose sei für den Geschädigten unangenehm gewesen, hätten aber keine gravierenden Folgen gehabt. Eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sei ausreichend, plädierte der Verteidiger und verwies auf die knapp fünfmonatige Untersuchungshaft, in der der Angeklagte bereits den Strafvollzug kennengelernt habe.
Das Jugendschöffengericht schloss sich dem Strafmaß der Verteidigung an. Der Angeklagte habe den Buben im Genitalbereich berührt und auch fester zugegriffen. Parallel dazu habe er sich selbst gestreichelt. Zwischendurch sei er auf die Toilette gegangen. Der Spermafleck auf der Hose sei in München noch feucht gewesen. Man könne die Frage stellen, warum der Bub nicht eher gegangen sei? Aus seiner familienrechtlichen Erfahrung heraus sei er davon überzeugt, dass der Neunjährige den sexuellen Bezug nicht realisiert habe, weil er selbst noch nicht auf dem Entwicklungsstand sei. Er habe die Bedeutung der Handlungen nicht verstanden und lediglich abgewogen: „Weiter zocken und aushalten oder gehen“ und er habe sich fürs Zocken entschieden, so der Richter in seiner Urteilsbegründung.
Weitere Auflagen seien nicht sinnvoll, weil die Abklärung eines Therapiebedarfs an den Verständigungsproblemen und eine Geldauflage am fehlenden Einkommen scheitere. Somit wurde der 32-Jährige wegen sexuellen Missbrauchs des Neunjährigen zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt.