Ist die Hürde wirklich unüberwindbar?
Gen-Zwilling für kleinen Martin (3) aus Bruckmühl gesucht: Familie hofft auf Anruf aus München
Der kleine Martin (3) aus Bruckmühl leidet an einem extrem seltenen Gendefekt. Doch zwei weitere Fälle soll es in München geben. Mit den Familien dieser Kinder würden sich Martins Eltern gerne austauschen. Nur: der Datenschutz steht zwischen ihnen. Sie hoffen, dass Leser weiterhelfen können (s.Foto).
Bruckmühl – Der kleine Martin aus Bruckmühl ist ein Kämpfer. In den dreieinhalb Jahren seines Lebens hat er Krankenhäuser schon viel zu oft von innen gesehen. Mehrfach musste seine Familie bereits um das Leben des Dreijährigen bangen. „Angefangen hat alles, als Martin 15 Monate alt war“, berichtet seine Mutter Manuela Reitberger. Seither hat die Familie vieles durchgemacht: Krampfanfälle, Bewusstlosigkeit, Nulllinie – also keine messbare elektrische Herzaktion mehr –, Helikopter-Flug, immer wieder Klinikaufenthalte. So, wie im Moment wieder für mehrere Wochen in der Schön Klinik Vogtareuth.
Schon die Schwangerschaft war nicht leicht für Mutter und Kind. Aufgrund plötzlich einsetzender Blutungen kam Manuela Reitberger am Muttertag 2021 mit dem Rettungswagen in die Klinik, wo sie 14 Wochen liegend verbringen musste, um eine Frühgeburt zu vermeiden. Dennoch kam Martin am 18. Juli sechs Wochen zu früh zur Welt, 43 Zentimeter groß und 1970 Gramm leicht. Kam zunächst auf die Intensivstation, Mitte August ging es nach Hause.
Zunächst keine Auffälligkeiten
„Alles lief in geordneten Bahnen“, berichtet die heute 42-Jährige. Bis auf eine Kopfverformung, die mit einer ein Jahr dauernden Helmbehandlung behoben werden konnte, habe es zunächst keinerlei Auffälligkeiten gegeben. Dass Martin Hilfe benötigte, um das Umdrehen, Krabbeln und Gehen zu erlernen, sei bei Kindern, die als Frühchen geboren werden, nicht ungewöhnlich.
Der Schock im Oktober 2022
Umso größer der Schock im Oktober 2022, als die Familie für eine Einladung in Nürnberg weilte. Abends im Hotel bekam der damals 15 Monate alte Martin Fieber. „Dabei dachten wir uns noch nichts. Als das Fieber nachts auf 40 Grad stieg, Martin weinte und die Zäpfchen nicht halfen, googelten wir nach der nächsten Kinderklinik, machten uns sofort auf den Weg“, schildert Martins Mutter. „Ich bin gefahren. Mein Mann war bei Martin. Auf einmal schreit er mich an, ich solle schneller fahren. Martin hatte das Bewusstsein verloren.“
Mit Ankunft in der Notaufnahme begann das Kind zu krampfen. „Bis zu vier Ärzte standen an seinem Bett, kämpften bis in die Morgenstunden um Martins Leben. Doch plötzlich war die Nulllinie erreicht.“ Manuela Reitberger ist außer sich: „Ich hatte so eine Wut in mir, so eine Angst, dass wir ihn verlieren. Er lag da wie tot. Die Ärzte sagten uns, wenn er jetzt nicht kommt, müssen wir ihn gehen lassen. Ich habe Martin weinend angeschrien, dass er sich jetzt nicht einfach davonmachen kann.“ Und tatsächlich: ihr kleiner Kämpfer kam zurück. Später erfuhren die Eltern, dass er an einer Influenza A erkrankt gewesen war, was womöglich die Fieberkrämpfe ausgelöst hatte.
Der Rettungshubschrauber musste kommen
Doch dabei sollte es nicht bleiben. Nach zwei Monaten ohne Vorkommnisse der nächste Fieberkrampf, diesmal zu Hause. Notruf. „Wenn man so einen kleinen Menschen sieht – wie die Rettungskräfte alles tun und man sich als Mama so hilflos fühlt – das ist grauenvoll“, beschreibt Manuela Reitberger die Situation. Dankbar erinnert sie sich an Dominik, den Rettungsdienstfahrer, ein Freund ihres Mannes, der den Eltern in all der Hektik um sie herum alles erklärte. Auch, dass ein Rettungshubschrauber benötigt werde.
In 7 Minuten von Bruckmühl nach Harlaching
Die Feuerwehr sperrt die Straße rund um die OMV-Tankstelle, wo der Hubschrauber schließlich landet. Als Ziele seien auch Frankfurt oder Nürnberg im Gespräch gewesen. „Als der Heli-Arzt sagte, mit diesem Patienten fliegt er nicht länger als zehn Minuten, weil er nicht weiß, was in der Luft passiert, wurde mir schlecht.“ Schließlich hob der Hubschrauber mit dem verkabelten Martin und seiner Mutter ab: „In circa sieben Minuten waren wir in München-Harlaching.“ Im Aufzug des Klinikums begann Martin zu krampfen, wieder begann das Warten vor der Intensivstation, wieder konnte das Kind, das sich diesmal mit dem RSV-Virus angesteckt hatte, stabilisiert werden.
Endlich wenigstens die Diagnose
Nach einem weiteren Anfall ließ die Familie auf Anraten einer Kinderärztin Tests im Medizinisch Genetischen Zentrum München (MGZ) durchführen: Ergebnis: Entwicklungsverzögerung, eine sogenannte RORB-gen-assoziierte Epilepsie mit hoher Statusneigung. „Es nennt sich Mikrodeletion 22q11.23 – das ist sehr selten und kaum erforscht. Jetzt wissen wir also, dass wir dieses Gen haben. Aber wo uns diese Reise hin führt: keine Ahnung. Damals hieß es, es gebe keine weiteren Fälle in Deutschland.“
„Man ist so hilflos“
Die Familie, zu der auch Martins ältere Schwester Vanessa gehört, hofft weiter. Doch am Karfreitag 2023 erneut hohes Fieber und der vierte Krampfanfall. Hausärztin, Sanitäter, Kindernotarzt: das ganze Schlafzimmer zuhause voller Hektik. Diesmal musste Martin sogar intubiert und in Narkose gesetzt werden. Wieder Klinik, wieder Intensivstation. „Das ist das Schlimmste, wenn man den kleinen Zwerg an einer Beatmungsmaschine sieht – man ist so hilflos“, beschreibt Manuela Reitberger das Bangen um das Leben ihres Sohnes. Auch, als er plötzlich zu würgen beginnt: Panik. Doch die Ärztin sagt: „Martin kommt zu sich.“ Der kleine Kämpfer holt von sich aus wieder Luft, der Beatmungsschlauch wird entfernt. „Martin schaute uns an, also ob er fragen wollte, wo bin ich jetzt schon wieder?“ Laborergebnisse ergaben: er litt an Lungenentzündung.
Mit vielen Absagen zu kämpfen
Martin bekommt Frühförderung, Krankengymnastik, Heilpädagogik, Reittherapie, Medikamente. Vieles davon zahlt die Familie selbst. „Wir bekommen nur Absagen von der Krankenkasse. Pflegegradeinstufung wurde abgelehnt, laut Gutachten kann Martin ja alles. Das Problem sitzt im Kopf, das ist es, was keiner versteht. Martin braucht immer mehr Hilfe oder Unterstützung.“ (Mittlerweile hat er Pflegegrad 3 = Schwere Beeinträchtigung der Selbstständigkeit, Anmerkung der Redaktion).
November 2023. Anfall 6 mit einer Dauer von 30 Minuten der bislang kürzeste von allen, aber heftig. Wo ist ein Intensivbett verfügbar? Der Helikopter ist gerade anderweitig im Einsatz. Der Notarzt entscheidet, per Auto nach München zu fahren. „Die Fahrt bei Schneeregen mitten in der Nacht war unglaublich. Die Notarztfahrerin hat uns mit Blaulicht und Sirene den Weg freigemacht. Innerhalb von 18 Minuten waren wir in München, 50 Kilometer von unserem Zuhause entfernt“, so Manuela Reitberger. Wieder Intensivstation, wieder Infekt, rechte Hand anhaltend in Krampfhaltung, auch motorisch fällt Martin zurück.
Ein neues Medikament wirkt: „Er nimmt uns auf einmal ganz anders wahr, fängt wieder zu sprechen an“, freuen sich die Eltern und seine große Schwester. Es folgen eine Reha in Vogtareuth, und noch ein Besuch im MGZ. Die Eltern erfahren: Es gibt in Deutschland doch weitere Patienten mit dem selben Gen. Zwei Betroffene sollen in München leben und etwas älter als Martin sein. „Wir würden gerne Kontakt aufnehmen und uns mit den Familien austauschen. Auch um uns auf das einstellen zu können, was noch auf uns zukommt bei den nächsten Entwicklungsschritten. Wir möchten gern wissen, wo unsere Reise hingeht“, sagen Martins Eltern.
Weitere Betroffene bitte melden
Martin (3) aus Bruckmühl leidet an dem Gendefekt Mikrodeletion 22q11.23. Seine Eltern haben erfahren, dass es wohl in München zwei Buben gibt, die ebenfalls betroffen sind. „Wir würden uns gerne mit den Eltern austauschen, um eine Vorstellung zu bekommen, wo unsere Reise hingeht, wenn Martin älter wird“, sagt Manuela Reitberger, die derzeit mit ihrem Sohn in der Schön Klinik Vogtareuth ist. Wer hier helfen kann, kann sich der Einfachheit halber zwecks Kontaktaufnahme an redaktion@mangfall-bote.de wenden, Telefon 08061/370010.
Jedoch: Der Datenschutz macht dies bislang unmöglich. „Das ist der Grund, warum wir uns letzten Endes für den Schritt an die Öffentlichkeit entschieden haben“, sagt Manuela Reitberger, bei der man merkt, woher der kleine Martin seinen Kampfgeist haben dürfte. Sie will einfach nichts unversucht lassen, wenn es um ihren kleinen Sonnenschein geht. „Egal, wie hart und schmerzhaft so vieles für ihn ist, er verliert sein Lächeln nicht“, bewundert sie, wie tapfer der kleine Mann durch sein Leben geht.
Wobei das Thema Gehen das neue Sorgenthema für die Eltern ist: „Im August 2024 haben wir bemerkt, dass Martin schnell erschöpft ist und kaum gehen möchte. Er sitzt lieber in seinem Bollerwagen.“ Neue Medikamente werden ausprobiert, Martin bleibt fast ein Jahr lang anfallfrei, doch eine Reduzierung der Medikamentenreduzierung sorgt noch einmal für einen Rückfall.
Wegen des Nachlassens der Beinmuskulatur befinden sich Mutter und Sohn derzeit wieder für mehrere Wochen in der Schön Klinik Vogtareuth. Die Untersuchungen laufen. „Wir möchten einfach wissen, wie die Fachleute mit der Krankheit umgehen und welche Therapien sie vorschlagen, um diese in den Griff zu bekommen. Meine Angst ist, dass die Behinderung vom Kopf her weiter steigen könnte. Wir haben ja schon 80 Prozent Behinderung.“ Während dieser Zeit kümmert sich Papa Markus daheim in den Zeiten außerhalb seiner Arbeit um den barrierefreien Ausbau des Zuhauses. „Familienleben gibt es bei uns nicht mehr“, sagt Manuela Reitberger, die mit Martin in den Kliniken bleibt und in besseren Zeiten ihrem Beruf nachgeht.
