Karlsruhe muss entscheiden
Hanna-Mordprozess: Wie die Verteidigung den Antrag auf Revision begründen will
Es war der komplizierteste Fall der vergangenen Jahre: Am 19. März 2024 wurde Sebastian T. im sogenannten Eiskeller-Prozess wegen Körperverletzung und Mord zu neun Jahren Haft verurteilt. Doch das ist nicht das letzte Wort: Mit der schriftlichen Urteilsbegründung beginnt eine neue Phase.
Rosenheim – Es war ein Prozess, der in Südostbayern seinesgleichen sucht. Über 20.000 Seiten stark waren die Ermittlungsakten im Mordfall Hanna, an 35 Verhandlungstagen ging es am Landgericht Traunstein um folgende Frage: Hat Sebastian T., damals 20, am frühen Morgen des 3. Oktober 2022, Hanna W. in Aschau attackiert und umgebracht? Am 19. März entschied das Gericht: Sebastian T. ist ein Mörder.
Aus sexuellen Motiven soll er die 23-Jährige angegriffen, dann über sein eigenes Tun erschrocken sein. Die bewusstlose Hanna warf er, um die Körperverletzung zu verdecken, in den Bärbach, wo sie ertrank. Mord! Sebastian T. wurde zu neun Jahren Jugendstrafe verurteilt. Die Verteidigung ist, was das Urteil und seine Begründung angeht, anderer Ansicht. Und hofft auf die Revision. Rechtsanwältin Regina Rick glaubt, dass es mindestens einen Grund dafür gibt.
Mit der Zustellung der Begründung beginnt nächste Phase
Den Antrag auf Revision hatte das Verteidiger-Gespann mit Regina Rick, Harald Baumgärtl und Dr. Markus Frank kurz nach dem Urteilsspruch gestellt. Nun geht das Nachspiel in seine nächste Phase: Am Mittwoch, 12. Juni, hat die 2. Jugendkammer die Arbeit an der Urteilsbegründung abgeschlossen. 289 Seiten ist sie stark.
Fast ein Vierteljahr ist seit dem Urteil vergangen, elf Wochen genau gesagt. Eine lange Frist, begründet durch den besonderen Umfang des Prozesses. Die Schrift ist bei den Prozessbeteiligten noch nicht angekommen, der Tag des Posteingangs ist entscheidend: Von da ab haben die Verteidiger einen Monat Zeit, ihren Antrag auf Revision zu begründen. Entscheiden wird der Bundesgerichtshof in Karlsruhe – wohl nicht vor dem nächsten Jahr.
Rick beruft sich auf Befangenheitsantrag
Worauf sich der Antrag genau beziehen, welche „Rügen“ er anführen wird? Noch kann das kein Verteidiger detailliert sagen, schließlich ist die schriftliche Begründung des Urteils für den Antrag nötig. Hinzugezogen wird, so viel ist mittlerweile bekannt, ein Revisions-Spezialist aus Hamburg, ein Anwalt, der spürt, wo zum Beispiel ein Verfahrensfehler einen Revisionsgrund liefern könnte. Derlei führte 2021 zur Wiederaufnahme des „Samerberg“-Prozesses – und zum Freispruch eines der beiden Angeklagten.
Regina Rick sagt aber, welcher Punkt wichtig werden könnte: Es geht um einen E-Mail-Austausch zwischen Richterin Jacqueline Aßbichler und Staatsanwalt Wolfgang Fiedler. Sie sollen sich in unzulässiger Form während des Prozesses über die Verurteilung von Sebastian T. ausgetauscht haben, fand Rick.
Die Münchner Anwältin reichte daraufhin am 20. Februar 2024 einen Ablehnungsantrag ein, den die erste Jugendkammer eine Woche später abschmetterte. Liegt darin ein Revisionsgrund? „Selbstverständlich werde ich diese Rüge erheben“, sagte Rick auf OVB-Anfrage. „Es ist der deutlichste Fall von Befangenheit, der mir je vorgekommen ist.“
Rechtlicher Hinweis oder unzulässige Nähe?
Hintergrund für den E-Mailwechsel war, dass Richterin Aßbichler im Zuge der Beweisaufnahme des Hanna-Prozesses einen in der Strafprozessordnung vorgeschriebenen „rechtlichen Hinweis“ vorbereitete, weil sich der mögliche Tatvorwurf in ihren Augen geändert hatte. Davon unterrichtete sie Staatsanwalt Fiedler per E-Mail. In den Augen von Regina Rick eine fragwürdige Unterhaltung, zumal sich Richterin und Staatsanwalt duzten und mit Vor- beziehungsweise Spitznamen anredeten.
Was wiederum im bayerischen Rechtswesen nicht unüblich sein dürfte: Spurwechsel zwischen Richter-Laufbahn und der Rolle des Anklägers sind im Freistaat nicht nur möglich, sondern durchaus gewünscht. Richter und Staatsanwälte sind daher häufig gut miteinander bekannt.