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„Das ist menschenverachtend“

Ex-Landgerichtspräsident nach mutmaßlichem Übergriff verurteilt: Ein Fall mit zwei Opfern?

Einzelrichter Stefan Vollath (hinten) verurteilte den Top-Juristen (vorne) am Mittwoch zu sechs Monaten Haft auf Bewährung.
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Einzelrichter Stefan Vollath (hinten) verurteilte den Top-Juristen (vorne) am 5. Juni zu sechs Monaten Haft auf Bewährung.

Nach dem Richterspruch: Eine 34-jährige Justizbeamtin in Traunstein leidet seit dem mutmaßlichen Übergriff durch ihren Chef unter psychischen Problemen. Der Ex-Landgerichtspräsident bestreitet die Vorwürfe und sieht sich als Opfer eines Komplotts. Wie geht es nun weiter?

Traunstein/München – Er hat eine fast 40-jährige steile und erfolgreiche Karriere bei der bayerischen Justiz hinter sich – sie hatte eine solche als Justizbeamtin noch vor sich. Er, das ist der ehemalige Traunsteiner Landgerichtspräsident, heute 66 – sie, das ist seine ehemalige Sekretärin im Präsidialbüro Traunstein, heute 34. Wegen sexueller Belästigung ist er jetzt am Mittwoch – wie ausführlich berichtet – vom Amtsgericht München zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Am Ende war seine Laufbahn aber schon vor zwei Jahren, weshalb er von „einem Fall, der in der bayerischen Justizgeschichte einmalig ist“, spricht. Handelt es sich hier um einen Fall mit zwei Opfern? Genau so sieht das der Anwalt des Juristen, Dr. Andreas von Mariassy.

Panikattacke, Depressionen: Die Beamtin leidet heute noch

Opfer eins: Das ist zweifelsohne die 34-jährige Beamtin. Von ihren Kolleginnen wegen ihres Fleißes und Einsatzes viel gelobt, und einmal sogar befördert, verlor nach jenem 21. September 2021, den Boden unter den Füßen. An jenem Tag soll sie gegen ihren Willen von ihrem Chef in dessen Büro bei einigen Gläsern Wein auf den Mund geküsst worden sein. Seither ging es mit ihr bergab. Sie leidet bis heute unter psychischen Problemen, hatte im Büro einmal sogar eine Panikattacke bekommen und sich auf der Toilette übergeben müssen. Sie wurde depressiv, litt an Schlafstörungen, trank immer mehr Alkohol. Folge: verschiedene stationäre Behandlungen. Sie ließ sich für ein Jahr beurlauben, wollte ihren Chef nicht mehr sehen und erstattete Anzeige. „Mit ihm weiterzuarbeiten, wäre einfach nicht gegangen“, sagte sie im Zeugenstand. Auch aktuell sei sie krankgeschrieben, nachdem sie versetzt wurde, „wo ich jetzt aber einen weiten Anfahrtsweg habe“.

Der verurteilte Ex-Landgerichtspräsident sieht sich auch als Opfer, spricht gar von einem „Komplott“. Seine Karriere begann in Traunstein bei der Staatsanwaltschaft. Über mehrere Stationen als Richter kam er in die große Kreisstadt zurück, wo er zunächst die Staatsanwaltschaft leitete, dann, seit 2019 Chef des Präsidialbüros war. Er sieht sich in diesem Fall als Opfer einer Verschwörung. „Es möchte mir jemand was Böses, ich sage jetzt nicht, wer, aber ich weiß es“, betonte er, nachdem ihm Einzelrichter Stefan Vollath (42) „das letzte Wort“ erteilt hatte. Lange vor dem Urteilsspruch sei er schon im Oktober bei halbierten Bezügen vorläufig vom Dienst suspendiert worden, kurz danach, zum 1. Februar dieses Jahres, auf eigenen Wunsch in den Ruhestand versetzt worden.

Ex-Landgerichts-Präsident: „Menschenverachtend“

„Was ich und meine Familie durchgemacht haben, ist menschenverachtend“, sagte der Top-Jurist vor Gericht und legte einen Rundumschlag gegen die Münchner Justiz und die Presselandschaft hin. „Es waren verschleppte Ermittlungen, die Staatsanwaltschaft hat gravierende Fehler gemacht“, wetterte er in Richtung Staatsanwältin Dr. Alexandra Heer, nahm sie aber von der Kritik ausdrücklich raus. Nicht sie sei gemeint, wohl aber ihre Kollegen. Der Strafbefehl sei unversiegelt in offener Post ins Traunsteiner Justizzentrum geschickt worden. Immer wieder habe die Presse über ihn berichtet, „als gäbe es kein anderes Thema“. Einmal habe man sogar Strafbefehl und Haftbefehl miteinander verwechselt, er habe es ausbaden müssen. Dass Strafbefehl gegen ihn erhoben wurde, habe er aus dem Radio erfahren. Der Richter sagte es ihm aber auch deutlich: „Nicht wegen der Justiz sind Sie in diese Lage gekommen, sondern durch die Tat!“

Vor dem Richter musste er auch seine finanzielle Lage offenlegen. Das zweijährige Verfahren habe ihn sehr beeinträchtigt, auch finanziell. Aktuell erhalte er monatlich 5700 Euro, nach Abzug aller Kosten, zum Beispiel 1000 Euro Krankenversicherung, blieben ihm netto 1800 Euro. Er habe keine Nebenverdienste mehr, eine Notariatsvertretung sei ebenso gecancelt worden wie Lehraufträge an der Uni Passau und andere Erwerbsmöglichkeiten. Er sei schuldenfrei und müsse seine beiden Kinder (33 und 29) heute nicht mehr unterstützen.

Fall noch nicht abgeschlossen

Abgeschlossen ist der Fall aber noch lange nicht. Der Verurteilte ließ über seinen Anwalt noch im Gerichtsgebäude erklären, dass er das Urteil nicht akzeptiere und in die nächste Instanz gehen werde. „Wir warten jetzt erst einmal die schriftliche Begründung des Urteils vom Gericht ab und werden dann reagieren“, sagte eine Sprecherin seines Münchner Anwaltsbüros am Donnerstag auf Anfrage. Das heißt, dass das Urteil der sechsmonatigen Bewährungsstrafe auch nicht rechtskräftig ist. Und bis das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, gilt auch die Unschuldsvermutung.

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