Politik-Experte im Interview
TikTok als Katalysator? – Deswegen haben junge Wähler rechts gewählt
Zum ersten Mal durften bei der Europawahl auch junge Menschen ab 16 ihr Kreuz machen. Die Ergebnisse zeigen: Die etablierten Parteien fallen bei den Jungwählern durch, Randparteien gewinnen – auch aus der rechten Ecke. Ein Politik-Experte erklärt, woran das liegt.
Halfing – Die Europawahl ist durch. Das Ergebnis bringt die Regierungen der europäischen Länder ins Wanken. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron löst das Parlament auf, deutsche Oppositionsparteien fordern das Gleiche. Besonders ins Auge stechen die Analysen zu den Jungwählern. Denn ein Teil der 16- bis 24-Jährigen hat am Sonntag (9. Juni) rechts gewählt – auch Jugendliche mit Migrationshintergrund. Florian Wenzel, Politik-Experte aus Halfing, ordnet im Interview die Wahlergebnisse ein und versucht, das Paradox der Jungwähler zu ergründen.
Herr Wenzel, der Europawahl wurde in der Vergangenheit oft wenig Beachtung geschenkt. Dieses Mal war das anders. Woran liegt das?
Florian Wenzel: Einerseits ist es natürlich gut, dass die Aufmerksamkeit da ist. Lange hat man versucht, die Nichtwähler an die Urne zu bringen. Jetzt hat man zwar mehr Nichtwähler, die wählen. Aber das sind oft die, das haben die Analysen gezeigt, die das nicht aus einer Begeisterung für Europa oder aus einem konstruktiven Impuls machen. Sondern aus negativer Kritik motiviert. Die Landwirtschafts- und Mittelstandsproteste im Januar haben natürlich auch nochmal die Aufmerksamkeit auf Brüssel gerichtet
Erstmals haben auch junge Menschen ab 16 gewählt. Wie finden Sie diese Entscheidung?
Wenzel: Die finde ich auf jeden Fall gut. Österreich ist schon lange ein Vorbild. Dort ist die Wahl ab 16 aber mit einer sehr umfassenden Schulkampagne gelaufen. Es wäre natürlich gut, man würde auch bei uns im Vorfeld noch mehr dafür sensibilisieren, um was es eigentlich geht.
Warum haben so viele junge Menschen unter 25 rechts gewählt?
Wenzel: Ich denke, es liegt viel an der Fokussierung der Jungen auf den Konsum der sozialen Medien wie beispielsweise Tik Tok. Die AfD ist stark auf den sozialen Medien. Das liegt aber ja auch vor allem daran, weil die Algorithmen der sozialen Medien auf Erregung und Extremisierung ausgerichtet sind. Wenn Maximilian Krah propagiert, dass junge Männer stramm sind und nicht so verweichlicht, dann wird das geteilt. Ob aus Empörung oder vielleicht sogar aus Begeisterung, spielt keine Rolle. Es macht die Runde.
Das macht die Aktentasche von Bundeskanzler Olaf Scholz wahrscheinlich nicht unbedingt. Wenn ich diese Medien konsumiere, dann bekomme ich eigentlich nicht mehr das differenzierte Bild jenseits von Schwarz und Weiß. Und das spielt, glaube ich, den Populisten in die Hände. Und das ist das Phänomen, warum viele Junge in diese Richtung gehen und meinen, da gibt mir jemand eine Antwort, eine Orientierung, nimmt mich an der Hand.
Vielleicht auch angesichts der Krisen, gerade mit Corona, die sie jetzt durchlebt haben. Es ist ein grundsätzliches Paradox von Demokratie. Eigentlich zeichnet sich Demokratie durch die Ungewissheit aus, dass wir nicht wissen, wer regiert morgen, wie fallen die Entscheidungen aus. Das müssen wir annehmen und damit konstruktiv umgehen.
Und warum haben so viele junge Leute mit Migrationshintergrund rechts gewählt?
Wenzel: Das ist wie eine Art Opferkonkurrenz. Die, die hier sind und sich etabliert haben schießen jetzt sehr scharf gegen die Neuangekommenen. Sie haben das Gefühl, wir haben uns das alles erarbeitet, andere haben es leichter. Diese Herausforderung hatten wir gerade bei den ukrainischen Geflüchteten, die sofort in die Sozialsysteme durften und auch Bürgergeld bekommen haben. Die, die länger da sind, denken dann, wir hatten das alles nicht, und die setzen sich jetzt ins gemachte Nest. Da wiederholt sich das Muster. Einheimische Bevölkerung gegen ursprüngliche Zuwanderer und jetzt etablierte Zuwanderer gegen die Neuzuwanderer.
Wie könnten die gemäßigten Parteien der Mitte die jungen Menschen besser abholen?
Wenzel: Das Bildungssystem ist gerade in Bayern hinsichtlich sozialer Kompetenzen und Umgang mit Freiheit ein Armutszeugnis. Freie Fächer wie Kunst oder Musik und alles, was nicht ökonomisch verwertbar ist oder der Logik einer PISA-Studie entspricht, soll wegfallen, kann gekürzt werden. Das rächt sich, weil man dann zwar technokratische Erziehung schafft, die dem Markt dient, aber eben keine, die unsere Gesellschaft zusammenhält. Wir haben in der sozial-kulturpolitischen Bildung nichts, woran die Leute in ihre eigene Lebenswelt anknüpfen können. Da bräuchte es viel mehr, dass man das Erleben von Demokratie in der Schule fördert. Es gibt gute Konzepte, die werden aber leider gerade in Bayern, auch aufgrund des dreigliedrigen Schulsystems, nicht flächendeckend umgesetzt.
Welche Konsequenzen dürfte dieses Wahlergebnis für die aktuelle Bundesregierung haben?
Wenzel: Der Streit in dieser Dreierkoalition spiegelt wider, was ja in unserer Gesellschaft los ist. Von konservativer Seite wird natürlich versucht, das Ergebnis für sich zu nutzen. Es ist schon auffällig, dass Markus Söder das so laut sagt, obwohl die CDU und CSU die meisten Stimmen an die AfD verloren haben. Und es ist natürlich andererseits so, dass die herrschenden Parteien abgestraft werden. Aber ich denke nicht, dass es zu Neuwahlen kommt, auch wenn es versucht wird. Das Augenmerk sollte auf den Landtagswahlen im Osten liegen. Ein Ministerpräsident Höcke ist nicht unwahrscheinlich. Und da müssen alle demokratischen Parteien nachdenklich werden und sich zusammentun.
Muss man sich Sorgen um den europäischen Zusammenhalt und die EU machen?
Wenzel: Das Phänomen ist, dass Demokratiefeinde im EU-Parlament sitzen. Wie gehen wir mit denen um, die nicht von außen, sondern von innen zerstörerisch wirken? Die sich nicht mehr für einen konstruktiven Streit zwischen Regierung und Opposition einsetzen, sondern mit dem Gedanken angetreten sind, so hat es die AfD formuliert, diese EU muss sterben? Wenn jetzt noch mehr Länder den gleichen Kurs wie Ungarn oder die Slowakei fahren, dann wird es, glaube ich, schon problematisch. Deswegen wäre meine größte Sorge, wenn wir Ostdeutschland anschauen, was ist, wenn da drei Länder kippen? Da wird es dann schon eng, glaube ich. Wir müssen lernen, mit eigener Verantwortung wieder mehr umzugehen. Also nicht nur auf andere zu schimpfen, sondern sich selbst zu fragen, wie trage ich dazu bei, dass diese Gesellschaft zusammenhält, dass wir zukunftsfähig werden.