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Im 70. Jahr des Bestehens

„Es geht nicht mehr!“ Warum erneut ein Traditionsgeschäft in Wasserburg schließen muss

Gismunde Pöhmerer liebt ihre Ware: „Etwas Schönes zum Anfassen“.
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Gismunde Pöhmerer liebt ihre Ware: „Etwas Schönes zum Anfassen“.

Wieder endet in Wasserburg ein Kapitel Einzelhandelsgeschichte. Schreibwaren Pöhmerer schließt zum Jahresende - im 70. Jahr des Bestehens. Die Kaufmannsfamilie erklärt im Exklusiv-Gespräch, was dem Traditionsbetrieb den Todesstoß gab.

Wasserburg – Schwarze Raben flattern durch einen Wald aus gebastelten Papp-Bäumen, dazwischen leuchten orange Kürbisse: Das Schaufenster von Schreibwaren Pöhmerer am Weberzipfel in Wasserburg ist ein Hingucker. Doch Ende des Jahres wird es leer sein, denn das Traditionsgeschäft schließt – im 70. Jahr nach der Gründung. Ein Kapitel Wasserburger Einzelhandelsgeschichte endet.

Gaskosten haben sich verdreifacht

„Es geht nicht mehr“, sagt Gismunde „Guggi“ Pöhmerer. 2014 hat sie das Geschäft von ihren Eltern übernommen. „Corona haben wir ganz gut überstanden, doch die Energiekrise schafft uns“, bedauert sie. Vater Markus Pöhmerer nennt Zahlen, die das Dilemma verdeutlichen: Die Gasrechnung pro Monat hat sich verdreifacht – von 220 auf 640 Euro. Auch der Strombezug wird sich stark verteuern. Nebenkosten, die den Gewinn weiter abschmelzen lassen. „Noch sind wir im Plusbereich“, ergänzt die Tochter, „doch es bleibt nicht mehr viel hängen. Bevor wir in die Miesen kommen, haben wir jetzt die Reißleine gezogen.“ Die Energiekrise als Todesstoß für ein Traditionsgeschäft.

in Kapitel Wasserburger Einzelhandelsgeschichte endet.

Im Treppenhaus zum ersten Obergeschoss, in dem in der Glanzzeit des Betriebs Büromöbel, Schreibmaschinen und Kopierer am laufenden Band verkauft wurden, hängt das Bild vom Firmengründer. Der Vater von Markus Pöhmerer war Spätheimkehrer aus dem Russlandfeldzug. Stephan Pöhmerer, der erst 1949 zurückkehren konnte aus der Gefangenschaft, war Kältemechaniker. „Mein Vater wollte immer selbstständig sein“, erinnert sich der Sohn. Ein Inserat in der Zeitung, das die Übergabe eines Geschäfts für Büromaschinen anbot, kam da gerade recht. Mit einem Kompagnon gründete .Stephan Pöhmerer am 1. Februar 1952 auf der Burg 13 den eigenen Laden mit Werkstatt. Zwei Jahre später übernahm der Gründer die Geschäfte in alleiniger Verantwortung.

1961 trat Sohn Markus die Lehre als Büromaschinenmechaniker an. Er hatte schon länger in der Werkstatt mitgearbeitet. Eine andere Berufswahl war undenkbar. Tagsüber ging es an den Ausbildungsplatz in München, abends in die heimische Werkstatt. Und nach dem Bundeswehrdienst, in den 60-iger Jahren noch 18 Monate lang, folgten für Markus Pöhmerer Werksausbildungen bei renommierten Herstellern wie Triumph, Grundig und Walther.

Markus Pöhmerer sammelt alte Schreib- und Rechenmaschinen.

1969 folgte nach der Gesellenprüfung mit Traumnote 1 die Meisterschule. Nach dem plötzlichen Tod des Vaters übernahm er als junger Meister den Betrieb. Das Geschäft lief gut – so gut, dass die Räumlichkeiten auf der Burg zu klein wurden. Als das Möbelhaus Spanrad am Weberzipfel aufgab, kaufte die Familie das Gebäude. 1971 zogen Geschäft und Werkstatt hier ein.

1. große Krise war die Gebietsreform

1972 dann die erste große Krise: die Gebietsreform. Wasserburg, vormals Kreisstadt, verlor zahlreiche Behörden und Ämter, gute Kunden des Schreibwaren- und Büromaschinengeschäfts. Aufträge brachen weg. „Es war eine sehr schwierige Zeit“, erinnert sich Markus Pöhmerer, „ohne meine Frau hätte ich es nicht geschafft“. Sie macht bis heute die Büroarbeit.

Werkstatt für Reparaturen

Gemeinsam eroberten die Kaufleute neue Geschäftsfelder und Kunden. In den Hochzeiten ihres Betriebes beschäftigten sie fünf Mechaniker für Büromaschinen, die Werkstatt zog mehrfach um, weil sie immer wieder zu klein war. Damals sehr gefragt: Schreib- und Rechenmaschinen. Letztere konnten anfangs nur subtrahieren und addieren, später sogar multiplizieren und dividieren, erinnert sich Markus Pöhmerer und zeigt stolz in ein Regal im ersten Obergeschoss, wo zahlreiche Maschinen ausgestellt sind – ein kleines Museum der Bürowelt, bevor der Computer Einzug hielt. Hier gibt es sogar einen mechanischen Bleistiftanspitzer.

Ein mechanischer Bleistiftspitzer.

Mechanik war störanfällig, Reparaturarbeit gefragt. Bis heute übrigens, denn Pöhmerer hat seine Werkstatt nach wie vor in Betrieb. Als die Mehrwertsteuerumstellung kam, stellten er und Tochter 44 Kassen von Geschäften und Betrieben in der Stadt auf den neuen Satz um – und zum Jahreswechsel 2021/2022 wieder zurück.

Im Geschäft, das Mitte der 80-iger Jahre die umsatzstärkste Zeit erlebte und damals umfangreich umgebaut wurde, verkauften die Pöhmerers im Laufe der Jahres alles rund um das Büro: Schul-, Bastel-, Zeichen-, Künstler- und Schreibbedarf, Geräte wie Drucker, Kopierer und Aktenvernichter, Möbel wie Tische und Stühle.

Unruhige Nächte vor der Entscheidung

2014 übernahm schließlich die Tochter. Die Gärtnermeisterin und Bankkauffrau wagte den Schritt aus der sicheren Angestelltentätigkeit in die Selbstständigkeit – in einer Zeit, als die Online-Konkurrenz schon groß war. „Probieren kann ich es ja mal“, sagte sich Guggi Pöhmerer. „Jeder Tag, den ich hier drinnen im Laden gestanden bin, war ein guter Tag“, betont sie. Spaß hat der 48-Jährigen der Umgang mit den Menschen gemacht. „Wir haben so viele nette, liebe und treue Kunden.“ Freude bereitete auch das Produkt: Schreib- und Bastelwaren. „Das ist was Kreatives, da hat man was in der Hand“, charakterisiert sie die Faszination.

„Unruhige Nächte„

„Unruhige Nächte“ gab es deshalb, nachdem feststand, dass es für das Geschäft keine Zukunft gibt – nicht nur aufgrund der Energiekosten, auch als Folge der Konkurrenz durch Online-Märkte und Discounter, die in großen Mengen einkaufen und die Preise drücken. „Ich musste mein Herz ausschalten“, sagt Guggi Pöhmerer. „Aufwand und Nutzen stehen in keinem Verhältnis mehr – vor allem wenn ich eine kalkulatorische Miete ansetzen würde.“ Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende, bemüht sie eine Lebensweisheit, die in ihrem Fall passt, wie sie findet.

Die Tatsache, dass die Schließung zum Jahresende eine Entscheidung des Familienrates war, hilft ihr zwar. Doch dem Personal – darunter langjährige Kräfte – mitzuteilen, dass bald Schluss ist, „das war sehr schwierig und traurig“, sagt die Inhaberin.

Familienbetrieb schließt im 70. Jahr

Aber: „Rücklagen und Reserven sind aufgebraucht. Jammern bringt nichts“, sagt sie. Der Vater (77), einer der letzten BüromaschinenMechanikermeister, nickt, auch wenn ihn wehmütige Gedanken übermannen. 70 Jahre gab es schließlich den Betrieb, 50 Jahre war am Weberzipfel zu Hause.

Zeichengerät gleich ausprobiert: Ein Kunde hat Markus Pöhmerer gemalt.

Mitte November beginnt der Ausverkauf. Nicht nur der Blick in das liebevoll dekorierte Schaufenster wird den Wasserburger fehlen. Auch Beratung und Service. Ein weiteres inhabergeführte Fachgeschäft ist nicht mehr da.

Was nachkommt, steht noch nicht fest. Die Familie Pöhmerer hofft, dass sich eine Ladennachfolgenutzung im Haus am Weberzipfel ergibt.

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