Prozess um Tragödie in Aschau im Chiemgau
27 Tage, 60 Zeugen, sechs Gutachter: Wie schwer wird es, im Fall Hanna Mord nachzuweisen?
Ein Jahr nach der Tat folgt die Aufarbeitung vor Gericht: Ein junger Mann muss sich ab dem 12. Oktober in Traunstein vor dem Landgericht verantworten – wegen Mordes an der 23-jährigen Hanna in Aschau. Es ist schon jetzt in vielerlei Hinsicht ein ungewöhnlicher Prozess.
Traunstein – Es ist kein Fall wie viele andere, da sind sich die meisten Beteiligten einig. Die Tragödie um Hanna wühlt die Aschauer noch immer auf. Auch für die Behörden ist der Fall außergewöhnlich. Schon die Polizei betonte, wie kompliziert die Nachforschungen im Fall Hanna gewesen seien. „Unglaublich umfangreich“ seien die Ermittlungen gewesen, „exorbitant“ der Aufwand. So sagte es Stefan Sonntag, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd in Rosenheim.
Der hohe Einsatz erklärt sich durch die Schwierigkeit des Falles. Aber auch durch die Emotionen, die diese Tragödie weit über die Grenzen von Aschau im Chiemgau hinaus aufwühlte. In einem solchem Fall will sich niemand Lässigkeit vorwerfen lassen. Man wolle sichergehen können, dass man alles Menschenmögliche getan habe. So sagte es die Polizei kurz vor dem Abschluss ihrer Ermittlungen.
Prozess findet vor der Jugendkammer in Traunstein statt
Eine Sorgfalt, die sich nun auch an den Dimensionen des Prozesses ablesen lässt: Vorerst rechnet das Landgericht mit 27 Verhandlungstagen, der erste ist für Donnerstag, 12. Oktober, angesetzt. An diesem ersten Tag wird lediglich die Anklageschrift verlesen. Nach dem formalen Beginn der Hauptverhandlung ist der Beschuldigte ein Angeklagter. Weil er zum Zeitpunkt seiner Festnahme „zwischen 18 und 21 Jahre“ alt war – so lauteten die Angaben der Polizei –, muss er sich vor der zweiten Jugendkammer verantworten. Und zwar wegen Mordes aus Heimtücke.
Eiskeller-Fall: Noch sind viele Fragen offen
Fürs erste ist der Prozess bis zum 22. Dezember angesetzt. Bis dahin sollen im Zuge der Beweisaufnahme über 60 Zeugen und mindestens sechs Sachverständige einvernommen werden. Die hohe Zahl der Zeugen – dem Vernehmen nach überwiegend Gäste des „Eiskeller“ in jener Nacht lässt darauf schließen, dass es keinen Augenzeugen gibt. Bekannt ist, dass Hanna am Morgen des 3. Oktober 2022 gegen halb drei den Club „Eiskeller“ verließ und sich auf den Weg zu ihrem Elternhaus machte.
Dort kam sie nie an. Auf dem Weg soll sie dem Heranwachsenden begegnet sein, der sie laut Anklage mit einem stumpfen Gegenstand bewusstlos schlug und sie dann in den damals reißenden Bärbach am Rande des Parkplatzes der Kampenwand-Bahn warf. Sie ertrank dort nach den Erkenntnissen der Ermittler und wurde vom Hochwasser führenden Bärbach in die Prien getragen. Ihr Körper wurde zwölf Stunden später von einem Spaziergänger im Wasser entdeckt, über zehn Kilometer vom mutmaßlichen Tatort entfernt.
Was war der Auslöser, was das Motiv?
Wie es zu der schicksalhaften Begegnung kam, was dem Beschuldigten in den Sinn gekommen sein mag, was die Raserei ausgelöst haben mag – das gilt es während der nächsten Wochen zu klären. Die Polizei betonte während der Ermittlungen, dass es darauf ankomme, aus den Aussagen möglichst vieler Zeugen so etwas wie das Drehbuch des Abends zu rekonstruieren. Weil es den einen zwingenden Beweis wohl nicht gibt. Und auch kein Geständnis. Der 21-Jährige, der nun seit elf Monaten in Traunstein in Untersuchungshaft sitzt, hat sich nie geäußert. Lässt die Rekonstruktion der Nacht den Schluss zu, dass der junge Mann nicht nur verdächtig, sondern tatsächlich schuldig ist? Und wenn ja: War es Mord, so wie vom Staatsanwalt formuliert?
Das Interesse an dem Fall ist groß. Wie viele Anfragen sie in den vergangenen Tagen und Wochen erhalten hat, darüber konnte Andrea Titz, Vizepräsidentin des Landgerichts Traunstein, keine Angaben machen. „Ich habe nicht mitgezählt“, sagt sie. Bislang scheint es keine Vorkehrungen gegen zu hohen Andrang von Besuchern und Medien zu geben. Was Richterin Jacqueline Aßbichler mit einer so genannten Sicherheitsverfügung ändern kann. Sie kann als Vorsitzende des Verfahrens im „Eiskeller-Fall“ eine Akkreditierungspflicht aussprechen.
Die Öffentlichkeit wird wohl nur an Ausnahmetagen ausgeschlossen
Die Verhandlung wird nach Einschätzung von Andrea Titz wohl öffentlich geführt werden. Allerdings schreibt sie in einer Antwort auf eine OVB-Anfrage: „Es sind zahlreiche Gründe gesetzlich geregelt, warum die Öffentlichkeit während einzelner Verfahrensteile ausgeschlossen werden kann.“ Dazu zähle der Ausschluss zum Schutz der Privatsphäre eines Verfahrensbeteiligten oder Zeugen. Praktisch jeder Prozessbeteiligte vom Angeklagten bis zum Zeugen kann verlangen, hinter verschlossenen Türen gehört zu werden. Aber auch Verteidiger Harald Baumgärtl geht von einer öffentlichen Verhandlung aus. „Die Hürden für den Ausschluss sind schon hoch“, sagt er.
Ein besonderer Fall auch für die Anwälte
Auch für die Anwälte ist der Fall ein besonderer. „Das dürfte eines der umfangreichsten Verfahren sein, das Traunstein je erlebt hat“, sagt Baumgärtl. Wie kompliziert der Fall liege, erkenne man schon an den vielen Tagen, die für die Verhandlung angesetzt sind und an der „hohen Zahl“ von Zeugen. Auch Nebenkläger-Vertreter Walter Holderle spricht von einem sehr ungewöhnlichen Fall. Weit über 20.000 Seiten Ermittlungsakten belegten, wie akribisch die Polizei nach dem Täter gesucht habe.


