Offene Briefe und eine Unterschriftenaktion
„Ein fatales Signal“: Geplantes Ende der Sprach-Kitas sorgt in Rosenheim für Empörung
In Rosenheim gibt es acht „Sprach-Kitas“. Ende 2022 läuft die Förderung des Bundes für das Projekt aus. Die Sprachfachkräfte fürchten nun um ihre Jobs – und dass die eingewanderten Kinder noch schlechtere Karten haben als bisher. Offene Briefe und eine Petition sollen jetzt helfen.
Rosenheim – Eine Speisekarte für den Sandkasten, Exkursionen oder gemeinsames Singen: In der „Sprach-Kita“ des AWO-Hauses für Kinder in der Frühlingsstraße kümmert sich eine Erzieherin spielerisch darum, den Kindern die deutsche Sprache beizubringen.
„Bei uns werden seit Februar 2016 viele Kinder betreut, die in ihren Familien nicht Deutsch sprechen und in unserer Kita Deutsch als Zweitsprache erlernen“, sagt Alexandra Mayer-Karle, Vorsitzende des Elternbeirats.
24 Kinder sprechen nicht Deutsch
Möglich sei das durch das Bundesprogramm „Sprach-Kitas“, das sich vor allem an Kitas richtet, die von einem überdurchschnittlich hohen Anteil von Kindern mit sprachlichem Förderbedarf besucht werden. Für die teilnehmenden Kitas wird eine zusätzliche Fachkraft zur Verfügung gestellt, die sich um den Spracherwerb der Kinder kümmert.
„Aktuell werden in unserer Kita 19,5 Stunden pro Woche für eine Erzieherin mit der Weiterbildung zur Fachpädagogin „sprachliche Bildung“ sowie 25.000 Euro jährlich mit den Mitteln des Bundesprogramms finanziert“, sagt Mayer-Karle. Im Moment hätten im AWO-Haus in der Frühlingsstraße 24 der 51 Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch.
Abwanderung von Fachpersonal befürchtet
Doch von der „Sprach-Kita“ würden nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund profitieren, sondern auch Kinder mit Deutsch als Muttersprache. „Die Sprechfreude wird durch das Bundesprogramm gefördert“, ist sich die Vorsitzende des Elternbeirats sicher.
Umso unverständlicher ist es für die junge Mutter, dass sich der Bund dazu entschieden hat, die Förderung für die „Sprach-Kitas“ zu streichen. „Das ist ein fatales Signal“, sagt sie, gerade mit Blick auf den Integrationsbedarf tausender ukrainischer Kinder und des ohnehin bereits bestehenden Fachkräftemangels in sämtlichen pädagogischen Bereichen. „Durch den Abbruch der Finanzierung wird es zwangsläufig zu einer weiteren Abwanderung von Fachpersonal kommen“, sagt Alexandra Mayer-Karle.
Unsichere Perspektive und fehlende Planbarkeit
Bereits jetzt würden sich viele Fachkräfte, die im Rahmen des Bundesprogramms „Sprach-Kitas“ im Kita-Alltag eingebunden sind, aufgrund der unsicheren Perspektive und der fehlenden Planbarkeit nach anderen beruflichen Optionen umsehen.
„Wir im AWO-Haus für Kinder Frühlingsstraße erleben täglich, wie wichtig eine gemeinsame Sprache ist“, sagt die Vorsitzende des Elternbeirats. Statt das Bundesprogramm zu streichen, brauche es ihrer Meinung nach eher einen Ausbau.
Offene Briefe und eine Petition
Aus diesem Grund hat sich Alexandra Mayer-Karle – gemeinsam mit anderen Vertretern des Elternbeirats – dazu entschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Sie haben Briefe an Ministerpräsident Markus Söder, die Rosenheimer Bundestagstagsabgeordnete Daniela Ludwig, Bundesfamilienministerin Lisa Paus sowie die bayerische Familienministerin Ulrike Scharf und Hans-Jürgen Dunkl, Abteilungsleiter im bayerischen Familienministerium verfasst und sammeln Unterschriften für eine Online-Petition. Ihr Ziel: die Fortführung des Bundesprogramms „Sprach-Kitas“.
Immer ein Anfang und ein Ende
Doch zumindest in Berlin scheint die Entscheidung festzustehen. „Förderprogramme haben immer einen Anfang und ein Ende“, teilt ein Sprecher des Bundesfamilienministeriums auf Anfrage mit. Dass wiederum würde jedoch nicht bedeuten, dass die Länder das Programm nicht selbstständig fortführen könnten.
So würden sie im Rahmen des Kita-Qualitätsgesetzes – das an die Stelle des Gute-Kita-Gesetzes treten soll – in den kommenden beiden Jahren vom Bund insgesamt vier Milliarden Euro erhalten. Einen Teil dieses Geldes könnten die Länder, wenn sie denn wollten, in die Sprach-Kita-Programme investieren. So jedenfalls die Theorie. Doch die Praxis sieht – wie so oft – anders aus. Das geht auch aus der Antwort des bayerischen Familienministeriums hervor.
„Eine nahtlose Fortführung des Programms durch die Länder ist in den wenigen Wochen und Monaten nicht umsetzbar. Bei den vom Bund angekündigten Geldern handelt es sich um Mittel aus dem Gute-Kita-Gesetz, die die Länder auch bislang schon erhalten“, heißt es auf Nachfrage.
Eine Erhöhung durch den Bund sei im Moment nicht geplant, sodass die Länder aus anderen Programmen umschichten müssten. Die Mittel des Bundes laufen laut Ministerium Ende des Jahres 2022 aus. Zwar habe der Bund angekündigt, die Mittel auch 2023 zur Verfügung zu stellen, mit einer verbindlichen Zusage sei jedoch erst bis Mitte 2023 zu rechnen.
Bruch des Koalitionsvertrags
„Die Beschäftigten in unseren Kitas, die durch den Bund gefördert werden, brauchen bis Ende September 2022 Klarheit, da sie sich anderenfalls aufgrund der befristeten Arbeitsverträge arbeitslos melden müssen“, heißt es aus dem Ministerium.
„An den Kleinsten zu sparen ist wirklich unerhört“, ergänzt Ludwig. In mehreren Plenarreden im Bundestag habe sie bereits darauf hingewiesen, wie „schlecht und unpassend“ sie die Entscheidung finde. In ihrem Antwortschreiben an den Elternbeirat verspricht sie, sich weiterhin dafür einsetzen, dass das Programm fortgeführt wird.
82.000 Unterschriften bereits gesammelt
Bis dahin wollen Alexandra Mayer-Karle und die Vertreter des Elternbeirats weiterhin Unterschriften sammeln und diese an die beim Bundestag eingereichten Petition „Sprach-Kitas retten“ einreichen. Mehr als 82.000 Unterschriften sind bereits zusammengekommen. Genug dafür, dass es eine verpflichtende Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages unter Teilnahme der zuständigen Ministerien geben wird.