In Erinnerung an Mathias Stich
„Wir müssen aufstehen“: Ein Kolbermoorer Stolperstein als Anstoß zum Handeln
Gegen das Vergessen wurde jetzt ein Stolperstein in Kolbermoor verlegt. Er erinnert an Mathias Stich, einen jungen Mann, der 1942 im Alter von 34 Jahren im Außenlager Gusen des Konzentrationslagers Mauthausen ermordet wurde.
Kolbermoor – „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Kommunist. Als die Nazis die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter. Als die Nazis die Juden holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude. Als die Nazis mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“ Manches lässt sich nicht besser sagen als mit einem Zitat. Deshalb wurden zu Beginn der Verlegung des dritten Stolpersteins in Kolbermoor diese Sätze von Pfarrer Martin Niemöller zitiert – auch er war einer jener Menschen, die aufgrund ihres mutigen Entgegentretens gegen den Nationalsozialismus während des Dritten Reiches in Konzentrationslagern inhaftiert wurden.
„Müssen jetzt für Demokratie kämpfen“
Für Christoph Bensch-Andrä von der Initiative Erinnerungskultur, der Pfarrer Niemöller in seiner Rede zitierte, ging es um einen Weckruf: „Wir müssen gerade jetzt zusammen überall aufstehen und für die Demokratie kämpfen, müssen uns vor alle Menschen stellen, die bedroht, ausgegrenzt und angegriffen werden und sie beschützen.“
Wesentlich bei dem Versuch, der Lethargie des „Es wird so schlimm schon nicht werden“ zu entkommen, ist für die Initiative Erinnerungskultur das Gedenken an die Mordmaschinerie des Nationalsozialismus. Nicht an die bloße Zahl der Ermordeten, die in ihrer Monstrosität jedes Vorstellungsvermögen sprengt: Allein sechs Millionen ermordete Juden, und all die anderen Millionen Opfer des Nationalsozialismus – Sinti, Roma, Homosexuelle, Menschen mit seelischen, geistigen oder körperlichen Behinderungen, Antifaschisten, „unangepasste“ Bürger. Der Initiative Erinnerungskultur ist das Gedenken an Einzelschicksale wichtig, an das Leiden von Menschen aus Fleisch und Blut.
Opfer aus der Anonymität holen
Stolpersteine sind eine Form dieses Gedenkens. Sie werden immer wichtiger in einer Zeit, in der die Überlebenden der Massenvernichtung, die noch Zeugnis abgeben könnten von ihrem Leidensweg, immer weniger werden. Stolpersteine holen einige Opfer aus der Anonymität des Vergessens, nicht zuletzt deswegen, weil man versucht, über diese Menschen und ihr Schicksal so viel wie möglich herauszufinden.
Beispielsweise über Mathias Stich, für den jetzt in Kolbermoor ein Stolperstein verlegt wurde. Er war Zeuge Jehovas. Sein Schicksal macht eindringlich klar, wie wenig unter der Nazidiktatur ausreichte, um im Konzentrationslager inhaftiert zu werden: das konsequente Festhalten an einem Lebensentwurf, der dem Regime widersprach. Den Hitlergruß zu vermeiden oder im öffentlichen Dienst den Amtseid auf Hitler abzulehnen, das genügte schon. Von der Verweigerung des Kriegsdienstes ganz zu schweigen.
„Von seinen innersten Überzeugungen nicht abzuweichen, erforderte ein Maß an Mut, das wir uns heute kaum mehr vorstellen können“, betonte Dr. Thomas Nowotny von der Initiative Erinnerungskultur. Zugleich stellte er fest: „Egal, wie man persönlich zu den einzelnen politischen oder religiösen Überzeugungen der damals Inhaftierten steht, ihr Festhalten daran, auch unter akuter Lebensgefahr fordert unseren größten Respekt.“ Denn gerade bei den Zeugen Jehovas hätte, so Nowotny, vielfach eine Unterschrift gereicht, um dem Martyrium zu entkommen. Die Meisten aber hätten sich geweigert, ihre Überzeugung und ihren Glauben, auch den an die Mitmenschlichkeit, für ihr eigenes Überleben „zu verkaufen“. Im Gegenteil: Der Münchner Historiker Christoph Wilkens betonte bei der Stolpersteinverlegung, dass viele Zeugen Jehovas aus dieser Mitmenschlichkeit heraus andere Verfolgte, unter anderem ihre jüdischen Mitbürger, aktiv unterstützten.
Für Christoph Bensch-Andrä, Dr. Thomas Nowotny und Kolbermoors Zweiten Bürgermeister Dieter Kannengießer ist dabei klar: „In einer Zeit, in der Pläne wieder handfest zu werden scheinen, andere Menschen auszugrenzen und abzuschieben, wird ein Aufstehen dagegen zur Bürgerpflicht.“
Ort der Erinnerung in Mitterhart
Der Stolperstein für Mathias Stich sei ein Mittel, um diese Aufgabe immer wieder präsent werden zu lassen, betonte Kannengießer. Da das Gebäude, in dem Stich einst lebte, nicht mehr vorhanden ist, bemühte sich die Stadtverwaltung gemeinsam mit der Initiative Erinnerungskultur um einen Ort der Erinnerung in der Nähe seines letzten Wohnortes. Der fand sich im Bereich von Gehrerstraße und Am Eglsee. Hier wurde der Stolperstein am Sonntag (11. Februar) von Künstler Gunter Demnig im Boden verankert. Zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus verlegt der Kölner Künstler seit 1996 Stolpersteine. Inzwischen schuf er mit mehr als 100.000 Stolpersteinen das größte dezentrale Mahnmal der Welt.
