Demo am 18. September in Rohrdorf
„Es brennt unterm Hintern“: Wie eine Protestwelle die Wirtshäuser der Region retten soll
Es geht um die Zukunft des Wirtshauses. Es geht um die öffentlichen Wohnzimmer Bayerns, um ein Kulturgut. Es geht um gesundes Essen für jedes Kind. Es geht um Milliarden. Es geht um die Senkung der Mehrwertsteuer für die Gastronomie. Die Protestwelle im Landkreis rollt an.
Rohrdorf/Stephanskirchen – Sieben Prozent oder 19 Prozent? Es geht um die Mehrwertsteuer. Und es geht um die Zukunft der Gastronomie. Zwölf Prozent Steuern mehr plus Inflation, das überleben viele Betriebe nicht, ist Theresa Albrecht sicher. Sie ist selber Gastronomin und zudem Kreisvorsitzende des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA). Denn diese etwa 20 Prozent Mehrausgaben können die Wirte nicht mehr wegstecken. Sie müssten die Preise erhöhen. „Da brennt‘s manchem richtig unterm Hintern“ formuliert es Theresa Albrecht deutlich.
Bis zum 31. Dezember gilt noch der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent für die Gastronomie. Der Bundestag entscheidet, ob es danach dauerhaft bei den sieben Prozent bleibt, oder ob wieder 19 Prozent verlangt werden. „Es ist eine wahnsinnig wichtige Entscheidung für unsere Branche“, sagt Albrecht. Und: „Die dauerhafte Senkung des Mehrwertsteuersatzes kostet den Staat jetzt vielleicht einiges an Einnahmen. Aber ein Gastronom, der schließen muss, zahlt gar keine Steuern mehr.“
Lebensmittelgroßhändler unterstützen Gastronomie
„In unserem Liefergebiet waren es 200 Betriebe, die wegen der Pandemie zugemacht haben“, sagt Robert Schneikart, Geschäftsleiter der Firma Bierbichler. Der Lebensmittelfachgroßhändler sei seit über 100 Jahren Partner der Gastronomie, „deswegen unterstützen wir sie im Kampf um die Mehrwertsteuer voll“, erklärt Schneikart. Die Außendienstler und die Fahren sind entsprechend informiert, haben Prospekte, Plakate und anderes Aufklärungsmaterial dabei, reden mit den Gastronomen. Und die komplette Lkw-Flotte des Unternehmens wird entsprechend beklebt, sichert Firmenmitinhaber Andreas Bierbichler zu. Theresa Albrecht ist froh um die Unterstützung durch Bierbichler. Und es ist nicht nur der Stephanskirchner Lebensmittelgroßhändler: Die Firma Bierbichler ist Mitglied im „Servicebund“ mit 37 Mitgliedsbetrieben bundesweit. Sie alle unterstützen die Gastronomie in ihrem Kampf.
Denn, da sind sich Theresa Albrecht, Andreas Bierbichler und Robert Schneikart einig, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent gefährde nicht nur die Wirtshäuser, die Teil gerade auch der bayerischen Kultur und Tradition sind. Sie mache sich auch im Tourismus und im Einzelhandel bemerkbar. „Ein Ort ohne Wirtshaus ist für Touristen uninteressant“, sagt Theresa Albrecht. Ohne Touristen – denen das Geld meist lockerer sitzt, als den Einheimischen – büßt auch der Einzelhandel Umsatz ein. „Da kauft dann eben kein Gast ein paar neue Turnschuhe oder ein Buch“, so Andreas Bierbichler.
Und sie setzte ein völlig falsches Zeichen. Denn alles, was geliefert oder mitgenommen wird, bleibt sicher bei sieben Prozent. Ganz egal, ob beim Discounter gekauft oder beim Wirt „to go“ erstanden. Theresa Albrecht hat es in ihrer zum Hotel und Restaurant gehörenden Metzgerei in Rohrdorf zunehmend erlebt, dass die Kunden das Mittagessen lieber in Styropor verpackt mitnahmen. „So wird doch unnötig Müll produziert und provoziert“, schimpft Albrecht.
19 Prozent für Schulen – aber nicht für Unis
Hinzu kommt, dass die 19 Prozent Mehrwertsteuer auch für Kitas und Schulen gelten würden, nicht aber für die Mensen der Universitäten. Die blieben bei sieben Prozent. „Das ist ungerecht“, findet Theresa Albrecht. Denn in den Kindergarten und in die Schule gehen alle Kinder, zur Uni nur ein Teil der Jugendlichen. „Und es gibt immer mehr Elternhäuser, in denen Kinder ohne gesundes Essen aufwachsen, ohne Frühstück aus dem Haus gehen.“ Darauf zu achten, dass alle Kinder Zugang zu gesundem Essen haben, sei definitiv eine Aufgabe der Politik, findet Schneikart.
Drei Euro mehr für den Schweinebraten
Die Gastronomie hat sich noch immer nicht von der Corona-Pandemie und ihren Lockdowns erholt. Laut DEHOGA-Bundesverband liegen die inflationsbereinigten Umsätze im ersten Quartal 2023 um 12,5 Prozent unter denen des ersten Quartals 2019. „Viele Kollegen haben mittlerweile drei Ruhetage statt einem oder nur noch abends geöffnet, um einigermaßen um die Runden zu kommen“, berichtet Theresa Albrecht von ihren Erfahrungen im Landkreis. Sie können die höhere Mehrwertsteuer nicht mehr schlucken, müssten sie an die Gäste weitergeben. Was in Kombination mit der Inflation, so kalkuliert die Chefin der Rohrdorfer Post auf die Schnelle, bei einem Schweinebraten rund drei Euro ausmachen würde. „Es kann doch nicht sein, dass Essengehen ein Luxusgut wird“, sagt Theresa Albrecht. „Teure Lokale wird es immer geben, die haben ein eigenes Klientel. Aber das Wirtshaus um die Ecke ist in Gefahr.“
Öffentlicher Protest in Rohrdorf
Dagegen kämpfen der DEHOGA-Kreisverband und der Lebensmittelgroßhändler gemeinsam. Und öffentlich. Mit einer Protestaktion am Montag, 18. September, um 11 Uhr vor dem Gasthof „Zur Post“ in Rohrdorf. Sie hoffen auf Unterstützung durch viele Gastronomen und deren Mitarbeiter, Bäcker, Metzger, Gärtner, Lebensmittelhändler, Landwirte. Und ja, auch auf Menschen, die gerne essen gehen. „Wir rücken an“, sichert Andreas Bierbichler zu, „mit möglichst vielen Leuten und möglichst vielen Fahrzeugen!“
