Es wird neu asphaltiert - aber nicht hier
„Beweise vernichten“? Skurrilster Straßen-Streit der Region wird zur Posse
Die Chiemseestraße in Bernau wird in diesem Jahr neu asphaltiert - bis auf ein etwa 660 Meter langes Stück. Grund dafür ist ein seit Jahren schwelender Gerichts-Streit über die wichtige Lebensader für den Ort. Was dahinter steckt und warum sich in diesem merkwürdigen Fall die Katze in den Schwanz beißt.
Bernau - Nicht einmal die Bürgermeisterin kann sich genau daran erinnern, wie lange der wohl skurrilste Straßen-Streit der Region schon dauert. „Ich habe das Thema von meinem Vorgänger übernommen“, sagt Irene Biebl-Daiber im OVB-Gespräch. Bernaus Ortschefin ist am 1. Mai fünf Jahre in Amt. Eine Lösung ist auch nach über einem halben Jahrzehnt der Streitereien um mögliche Schäden an der Chiemseestraße nicht in Sicht.
Sanierung der Chiemseestraße steht an – teilweise
Die Gemeinde Bernau und die Chiemgau Residenzen GmbH aus Rosenheim als zweite Streit-Partei sehen sich jährlich in der Regel höchstens ein bis zweimal vor dem Landgericht Traunstein. „Wir müssen uns deshalb vor jedem Termin neu einarbeiten“, sagt die Bürgermeisterin. Eine Entscheidung ist nicht in Sicht. In den Blickpunkt ist der Fall dadurch gerückt, dass die durch viel Verkehr ramponierte Chiemseestraße zwischen der B305 und dem Feldener Kreisel in diesem Jahr zwischen dem 20. Oktober und 7. November saniert werden soll.
Unangetastet bleibt allerdings eine etwa 660 Meter lange Teilstrecke in der Mitte inklusive der Brücke über die Bahnlinie München - Salzburg, die Bernaus Ortsteile miteinander verbindet. Hier herrscht auf der sonst als Ausweichstrecke für die A8 genutzten Straße freie Fahrt, weil über einen Teil davon vor Gericht gestritten wird. Klingt verrückt, ist verrückt. Schließlich ist genau dieser Abschnitt besonders sanierungsbedürftig. Wenn also irgendwann in Zukunft der Gerichtsstreit beendet werden sollte, drohen Extra-Kosten für das neuerliche Anrücken der Baufirmen für die neue Asphaltierung. Vom Frust der Anwohner über die erneute Sperrung einer der wichtigsten Lebenadern des Ortes ganz zu schweigen.
„Wir packen die Straße nicht an“
„Es läuft noch eine Klage der Gemeinde gegen den Bauherrn der Chiemgau Residenzen, die sich schon seit Jahren hinzieht und über die das Gericht bisher nicht entschieden hat. Wir würden unsere Beweise vernichten, deshalb packen wir die Straße dort nicht an“, hat die Bürgermeisterin dazu in einer Infoveranstaltung über die geplante Sanierung der Chiemseestraße gesagt. Das Problem daran: Eigentlich kann ein unwiderlegbarer Beweis für Schäden im Unterbau der Straße nur dann erbracht werden, wenn sie aufgegraben wird.
Im Kern geht es beim Streit nämlich um das Thema, ob es bei einem Neubau der Chiemgau-Residenzen entlang der Chiemseestraße zu Baufehlern gekommen sei. Konkret darum, ob die in die Erde getriebenen Spundwände, die das Abrutschen des Erdreichs verhindern sollen, fehlerhaft ausgeführt wurden. Die Gemeinde sieht klare Anhaltspunkte dafür, dass durch Setzungsschäden die Wasser- und Kanalleitungen beschädigt wurden.
Die Antwort liegt unter der Straße
Die Antwort darauf liegt etwa 1,20 Meter unter der Chiemseestraße. Wollte man den Dingen also auf den Grund gehen, müsste man tief graben. Die Kosten dafür will aber keine der beiden Streitparteien tragen. Unwiderlegbare Beweise gibt es somit nicht. Sprichwörtlich beißt sich die Katze in den Schwanz. „Es steht schon im Raum, dass wir aufreißen – aber da muss der Gutachter direkt neben mir stehen“, sagt Biebl-Daiber dem OVB. Das sei momentan aber nicht absehbar.
Die Gemeinde schätzt, dass der finanzielle Schaden für die Gemeinde im sechsstelligen Bereich liegen könnte. Entscheiden müsste das aber das Gericht. Als zweite Möglichkeit bliebe ein Vergleich. Gespräche darüber hat es schon einmal gegeben. „Es gab ein Angebot, aber das war nicht einmal sechsstellig“, sagt Biebl-Daiber: „Wir brauchen ein faires Angebot.“
Vergleich? Das sagen die Chiemgau-Residenzen
Alexander Hoh von den Chiemgau-Residenzen sagt auf OVB-Anfrage: „Bei dem Vorfall handelt es sich um ein laufendes gerichtliches Verfahren. Daher kann ich Ihnen hierzu aktuell leider keine näheren Auskünfte geben. Wir möchten jedoch mitteilen, dass unser Unternehmen grundsätzlich für wirtschaftlich sinnvolle Vergleiche immer aufgeschlossen ist.“
Ob die beiden Parteien wohl nach über einem halben Jahrzehnt zu einer Lösung im skurrilsten Straßen-Streit der Region kommen?


