Sucht-Experten zum Drogen-Thema
Joint-Zwischenfall in Prien – aber sind Kokain und Heroin größere Gefahren für Kids aus der Region?
In Prien greift die Polizei nach einem Kiffer-Zwischenfall am helllichten Tag ein. Es geht um eine unter 18-jährige Jugendliche, für die Joints weiterhin verboten sind. Wie soll es weitergehen mit der umstrittenen Cannabis-Legalisierung? Experten sind uneins, aber warnen auch in der Region vor Psychosen und eine Wiederholung der Geschichte von Christiane F.
Prien/Traunstein – Ein Mittwoch Ende März auf dem Bahnhofsplatz Prien am Chiemsee. Am helllichten Tag gegen 13.30 Uhr wird ein 19-jähriger Mann dabei beobachtet, wie er sich eine Zigarette mit Cannabis dreht. Er zündet sie an und übergibt den Joint an ein 15-jähriges Mädchen. Dann schreitet die Polizei ein, stellt die „Tüte“ sicher und eröffnet ein Ermittlungsverfahren gegen den jungen Mann, das ihn sogar in den Knast bringen kann. Auch nach der Legalisierung ist die Weitergabe von Cannabis an Minderjährige strafbar und bis 18-Jährige dürfen per Gesetz nicht kiffen.
Das hat einen guten Grund: Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Cannbinoide die Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen schwer beeinträchtigen können. Die „sanfte Einstiegsdroge“, die vor gut einem Jahr für Erwachsene legalisiert wurde, macht Prof. Dr. Ulrich Voderholzer aus Prien große Sorgen. „Ich bin nicht der Meinung, dass die Freigabe von Cannabis ein gelungener Beitrag zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist. Der Konsum hat noch weiter zugenommen und die negativen Folgen überwiegen gegenüber den Vorteilen“, sagt der Ärztliche Direktor der Schön-Klinik Roseneck dem OVB.
Der Mann ist Experte für Suchterkrankungen bei Kinder und Jugendlichen, schließlich leitet er eine der größten Fachkliniken für Psychosomatik und Psychotherapie in ganz Deutschland. Voderholzer warnt, dass Cannabis bei nicht wenigen Minderjährigen der Auslöser für schwere psychische Erkrankungen ist. „Der Chef der Kinderpsychiatrie Augsburg erzählte mir, dass 100 Prozent der Personen, die mit Psychosen aufgenommen wurden, exzessiven Cannabiskonsum vorher hatten. 100 Prozent!“, sagt Voderholzer dem OVB.
Der Roseneck-Boss wird es deshalb begrüßen, dass die neue Regierungskoalition von Union und SPD die Legalisierung von Cannabis für Erwachsene auf den Prüfstand stellen will. „Bis Herbst 2025 führen wir eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis durch“, heißt es im Koalitionsvertrag. Sebastian Müller dagegen hofft, dass die derzeitigen Regeln bestehen bleiben. Auch er ist als Chef der Caritas Fachambulanz für Suchterkrankungen und Suchtprävention Traunstein ein echter Experte in diesem Feld. Allerdings im ambulanten Bereich – während Voderholzer stationär mit den besonders schweren Fällen psychischer Erkrankungen bei Minderjährigen zu tun hat.
Das erklärt zumindest teilweise auch die konträren Ansichten der beiden Experten. Müller begrüßt die Entkriminalisierung des Cannabis-Konsums für Erwachsene ausdrücklich. Etwa 200 seiner rund 1200 Klienten kommen in Traunstein wegen ihrer Joint-Abhängigkeit in seine ambulante Beratungsstelle. „Das sind eher weniger als vorher, weil vor der Legalisierung viele Menschen vom Staatsanwalt für einen Kurs zu uns geschickt wurden. Jetzt kommen vor allem junge Männer freiwillig zu uns, weil sie selbst einsehen, dass sie ein Problem haben und der Konsum für Erwachsene nicht mehr strafbar ist. Verbote von Cannabis bringen nichts“, so Müller zum OVB.
Gesetzliche Regeln zum Thema Cannabis
Seit 1. April 2024 ist das Kiffen für Volljährige mit zahlreichen Beschränkungen legal. Erlaubt ist der Anbau von bis zu drei Pflanzen in Privatwohnungen, aufbewahren darf man bis zu 50 Gramm Cannabis. Zulässig sind auch nicht-kommerzielle «Anbauvereinigungen» mit bis zu 500 Mitgliedern – allerdings wurde in Bayern bisher keine zugelassen. Für Jugendliche unter 18 Jahren bleibt Cannabis verboten.
Was die Betreuung von cannabisabhängigen Jugendlichen betrifft, setzt die Suchtprävention Traunstein auf ein neuen Ansatz. „Wir versuchen, die Familien der Jugendlichen einzubinden und die ersten Erfahrungen sind sehr erfolgversprechend“, berichtet Müller. Gecoacht werden die Experten aus der Region dabei vom Therapieladen in Berlin, der über 40 Jahre Erfahrung mit kiffenden Jugendlichen hat. In Traunstein befindet sich eine der Pilot-Beratungsstellen des vom Bund geförderten Projekts FRiDA (Frühintervention bei Drogenmissbrauch in der Adoleszenz).
Sebastian Müller frustriert allerdings, dass sich die öffentliche Diskussion in Sachen Drogen fast ausschließlich um die Cannabis-Legalisierung dreht: „Das treibt uns gar nicht so um. Wir beobachten stattdessen mit Sorge, dass immer Jugendliche unbedacht Beruhigungsmittel konsumieren.“ Die in der USA herrschende Opioid-Krise schwappe abgeschwächt auch zu uns herüber, die künstlichen Beimischungen zu Drogencockatils seine viel potenter und damit gefährlicher als früher. „Außerdem sind Kokain bei Jugendlichen und Heroin vor allem bei jungen Mädchen ein Thema“, warnt Müller: „Ein Kollege hat gesagt, dass er nie gedacht hätte, dass er die Geschichte von Christiane F. noch einmal erleben muss“
„Christiane F. – Wir Kinder von Bahnhof Zoo“ ist ein autobiografischer deutscher Spielfilm aus dem Jahr 1981, der das Abrutschen der zu Beginn 13-jährigen Hauptdarstellerin ins Drogen-Milieu schildert. Über Cannabis führt der Weg zu Heroin und in die Prostitution. „Genauso solche Geschichten werden jetzt wieder in deutschen Großstädten beschrieben. In unserer Region ist das momentan noch kein Thema, aber solche Entwicklungen übertragen sich von den großen Städten oft später aufs Land“, so Müller.
Die Cannabis-Debatte lenkt aus seiner Sicht deshalb von größeren Problemen ab. Damit meint er neben den harten Drogen auch den Alkohol – 70 Prozent seiner Klienten seien deshalb in der Traunsteiner Suchthilfe. Müller nennt als Einordung die Zahlen von 1,6 Millionen alkoholabhängigen Menschen in Deutschland im Vergleich zu 300.000 Cannabisabhängigen. Außerdem mahnt er, dass statt Verboten die Beseitigung der Ursachen für die Probleme und die Prävention in den Vordergrund gestellt werden müsse: „Jugendlichen nehmen Drogen und Alkohol, weil sie mit Leistungsdruck, Einsamkeit oder sozialen Ängsten nicht umgehen können.“



