Forderung: Brenner-Nordzulauf muss unter die Erde
„Der Kampf geht weiter“: Ostermünchen lässt sich von der Deutschen Bahn nicht überfahren
Brenner-Nordzulauf mit neuem oder altem Bahnhof Ostermünchen? Die Deutsche Bahn hat entschieden – anders als der Gemeinderat. Wie es vor Ort nun weitergeht und wertvolle Weideflächen vielleicht doch noch gerettet werden könnten.
Tuntenhausen – Jetzt ist es raus: Ostermünchen bekommt einen neuen Bahnhof und eine vier- bis sechsspurige Neubautrasse. Die Bestandsstrecke zwischen Weiching und Haslau wird zurückgebaut. Am Mittwoch, 25. Oktober, gab die Deutsche Bahn die Entscheidung bekannt.
„Für mich kommt diese Entscheidung nicht überraschend“, sagt Bürgermeister Georg Weigl (CSU/FW). „Aus den Präsentationen der Bahn und vielen Gesprächen in den Dialogforen war schon zu schließen, dass die Bahn einen modernen Bahnhof präferiert.“ Der Gemeinderat habe sich anders entschieden. Nun komme es darauf an, die Kernforderungen der Gemeinde zu fixieren.
Gemeinderat stimmt für Erhalt des alten Bahnhofs
Unterm Strich hätten sich die Tuntenhausener Gemeinderäte vieles ersparen können: Infoveranstaltungen, Gespräche mit den Bürgern, schlaflose Nächte. Die Bahn, die im August noch zwei Alternativen für Ostermünchen vorstellte, hat ihre Entscheidung getroffen. Und diese wiederum hat bewiesen, dass der Bürgermeister mit seiner Vermutung Recht hatte: „Unser Einfluss ist nicht hoch. Am Ende entscheidet die Bahn“, sagte er noch zur Eröffnung der Gemeinderatssitzung am 12. Oktober, in der sich der Rat mit einer knappen Mehrheit von 12:9-Stimmen für den Erhalt des alten Bahnhofs, für den Erhalt der Bestandsstrecke und für eine zweispurige Neubaustrecke entschieden hatte. Vor allem mit dem Argument, dass dadurch weniger Fläche verbraucht würde, fünf Hektar Land erhalten bleiben könnten.
Nun steht die Entscheidung der Bahn fest: Ein neuer Bahnhof wird gebaut. Diese Variante verschlingt 51,4 Hektar Land – auf Tuntenhausener Gemeindegebiet 37,5 Hektar – und zieht sich über Weiching, Stetten, Berg und Brettschleipfen bis Aubenhausen mit vier Neubaugleisen und streckenweise noch zwei zusätzlichen Überholgleisen durch die Landschaft. Der Vorteil: Stetten, Berg und Aubenhausen werden nicht von Bestands- und Neubaustrecke eingekesselt. Der Nachteil: Die Existenz von acht Landwirten steht auf dem Spiel.
Landwirtschaftliche Existenzen gefährdet
Auf den Höfen wächst gerade die nächste Generation an Landwirten heran. Die Höfe sind über 500 Jahre alt und gehören zur Kulturlandschaft. Viele Bauern haben schon vor etwa 35 Jahren auf Biolandwirtschaft umgestellt – so wie die Familie Kendlinger aus Stetten. „Der Brenner-Nordzulauf kostet uns die Existenz. Der Lippn-Hof ernährt heute drei Generationen“, beschreibt Rebecca Kendlinger. Der Neubau des Bahnhofes und der vierspurigen Trasse raubt der Familie die Hälfte ihrer Weideflächen. Der Austrieb der Tiere wäre dann nicht mehr möglich, das Aus für die Biolandwirtschaft besiegelt. Wie es für sie weitergeht? „Wir müssen uns umorientieren, neue Einnahmequellen finden, um uns auch zukünftig noch ernähren zu können.“
Die Biolandwirtschaft von Monika und Nikolaus Bartl aus Berg verliert mit dem Brenner-Nordzulauf – egal ob eingekesselt zwischen Bestands- und Neubaustrecke oder mit vierspuriger Trasse im Süden – jegliche Perspektive: „Wenn gebaut wird, haben wir hier in Berg keine Zukunft mehr. Dann müssen wir unsere Heimat verlassen und irgendwo neu anfangen.“
„Eine sehr schlechte Entscheidung“, reagiert Peter Niedermeier, Vorstand und Sprecher des Sportvereins Ostermünchen. Dabei gehe es ihm nicht um den Erhalt des Sportplatzes, denn „der geht bei beiden Varianten verloren“. Er sieht die bedrohten Existenzen der Landwirte, den Mehrverbrauch an wertvollen landwirtschaftlichen Flächen kritisch: „Beim Erhalt des alten Bahnhofes wären mehr Flächen erhalten geblieben.“ Mit der rückgebauten Bestandsstrecke, dem alten, kontaminierten Bahndamm könne man nichts anfangen.
„Das ist eine Katastrophe“
„Das ist eine Katastrophe.“ Stefan Hofbauer ist Gemeinderat (UW Ostermünchen) und Mitglied der Bürgerinitiative Brennerdialog Rosenheimer Land. Ihm ist klar, dass „es nicht anders zu erwarten war. Schließlich hat die Deutsche Bahn den Auftrag, die wirtschaftlichste Variante zu planen.“
Doch wie können die landwirtschaftlichen Flächen von Ostermünchen über Berg, Stetten und Brettschleipfen bis Aubenhausen noch gerettet werden? „Wir geben nicht klein bei“, sagt Hofbauer kämpferisch. „Weder der Landkreis Rosenheim noch die Bürgerinitiativen werden auf ihre Kernforderungen verzichten.“ Dazu gehörten neben der Inn-Unterquerung und dem vorwiegend unterirdischen Verlauf der Trasse für die Gemeinde Tuntenhausen auch der Erhalt des alten Bahnhofs, wie vom Gemeinderat beschlossen. Auch die Einhausung der Trasse in Stetten und Berg müsse gefordert werden, um wertvolle landwirtschaftliche Fläche zu erhalten.
Einhausung der Strecke als eine Kernforderung
Auch Bürgermeister Georg Weigl sieht in den Kernforderungen eine letzte Chance, Teile der Kulturlandschaft zu erhalten. Eine Kernforderung des Landkreises sei die weitgehend unterirdische Trassenführung im Norden von Rosenheim. „Wenn wir erreichen könnten, dass die Gleise im Bereich von Stetten, Berg und Brettschleipfen in einem Trog verlaufen, der mit einem Deckel geschlossen wird, könnten wir landwirtschaftliche Flächen und die Menschen in diesen Bereichen schützen sowie den Sportplatz erhalten.“ Der Gemeinderat in Tuntenhausen wird sich mit der Präzisierung der Kernforderungen in seiner nächsten öffentlichen Sitzung am 9. November befassen.
Doch sind die Hoffnungen berechtigt, obwohl die Bahn bislang weder auf den Ratsbeschluss noch die Kernforderungen der Gemeinde Tuntenhausen eingegangen ist. „Über die Kernforderungen entscheidet letztlich der Bundestag“, hat Hofbauer die Zuversicht nicht verloren – auch wenn seit Jahren gegen die Umweltzerstörung durch den Brenner-Nordzulauf protestiert wird, sich Bürger und Gemeinderäte seit Wochen mit den beiden Alternativen für Ostermünchen beschäftigt haben und nicht gehört wurden. „Es wurde der Eindruck erweckt, der Bürger habe Mitspracherecht“, kritisiert Hofbauer. Doch auch in den Dialogforen habe sich gezeigt, dass die Planungen der Bahn eine Einbahnstraße seien. „Das war nie ein wirklicher Dialog.“ Die Bahn habe ihre Planungen vorgestellt, die Bürger durften Fragen stellen, aber ihre Vorschläge seien nie in die Planungen eingeflossen. „Der Kampf geht weiter“, kündigt Hofbauer für die Bürgerinitiativen im Brennerdialog Rosenheimer Land an.
Vom Papier in die Realität
In den kommenden fünf bis sieben Jahren könnte der Brenner-Nordzulauf vom Papier in die Realität gelangen, schätzt Bürgermeister Georg Weigl. „2025 entscheidet der Bundestag über das Projekt. Danach ginge es bei einem positiven Votum in die Genehmigungsphase. Nach Angaben der Deutschen Bahn soll das Projekt bei einer Bauzeit von zehn Jahren 2040 fertig sein.“ Doch der Bürgermeister rechnet damit, dass es mindestens noch 20 bis 25 Jahre dauern werde, ehe der Brenner-Nordzulauf tatsächlich gebaut sei.


