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Neues Gutachten zur Landwirtschaft

„Aus für Höfe, Almen, Tourismus“: Reißt Brenner-Nordzulauf dem Oberen Inntal das Herz raus?

Martin und Barbara Pichler (links) sowie Hans Astner und sein Sohn (rechts) müssten ihre Höfe aufgeben, wenn Neubautrasse und Verknüpfungsstelle oberirdisch gebaut werden.
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Der Brenner-Nordzulauf wird die Existenz der Landwirte im Oberen Inntal vernichten: Martin und Barbara Pichler (links) sowie Hans Astner und sein Sohn Hans (rechts) müssen ihre Höfe aufgeben, wenn Neubautrasse und Verknüpfungsstelle oberirdisch gebaut werden.

Laut neuem Gutachten bedroht der Brenner-Nordzulauf die Bauern im Oberen Inntal in ihrer Existenz. Falls eine oberirdische Verknüpfungsstelle gebaut wird, sind sie für Klagen gerüstet. Das sind ihre Argumente.

Flintsbach/Oberaudorf – Wer in die Zukunft blickt, sieht sie, die Apokalypse des Oberen Inntals. Nicht verursacht durch Erdbeben oder Fluten. Nicht durch Feuer oder Epidemien. „Die Neubautrasse des Brenner-Nordzulaufs wird das Obere Inntal, so wie wir es heute als eine der schönsten Bergregionen mit dem größten zusammenhängenden Almgebiet Bayerns kennen, vernichten“, sagt Katharina Kern. Die Kreisbäuerin ist Sprecherin der Interessengemeinschaft zum Erhalt der bäuerlichen Existenz im Oberen Inntal. Darin haben sich Landwirte zusammengeschlossen, die mit dem Brenner-Nordzulauf ihre Lebensgrundlage verlieren.

Vor einem Jahr hat sich die Interessengemeinschaft zum Erhalt der bäuerlichen Existenz im Oberen Inntal gegründet. Zur Vorstandschaft gehören (von links) Georg Schweighofer, Hans Astner, Katharina Kern, Karl Liegl, Anna Pichler, Magnus Waller und Benno Schmid.

Die Landwirtschaft geht vor die Hunde

„Nach dem derzeitigen Stand der Planungen der Deutschen Bahn sind mindestens 19 landwirtschaftliche Betriebe zwischen Flintsbach und Oberaudorf betroffen – talgeführte Höfe, die die Bergalmen mit enormem Aufwand bewirtschaften“, macht Kern auf das Ausmaß der Zerstörung menschlicher Existenzen aufmerksam. Allein durch den Bau der oberirdischen Verknüpfungsstelle und die geplanten Baustelleneinrichtungen werden sie durchschnittlich 21 Prozent ihrer Flächen verlieren und ihre Höfe aufgeben müssen.

Existenzbedrohung schon ab fünf Prozent Flächenverlust

Nach Informationen des Kreisbauernverbandes Rosenheim bewirtschaften etwa 2.800 Bauern in der Region eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 67.700 Hektar. Die durchschnittliche Betriebsgröße liegt bei rund 24 Hektar. Dabei sei nach Informationen des Bauernverbandes meist nicht einmal die Hälfte der Flächen im Eigenbesitz der Landwirte, die andere Hälfte gepachtet. Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtes München vom 17. Oktober 2017 spricht man bei einem Abtretungsverlust von fünf Prozent der Eigentumsflächen oder langfristig gesicherten Pachtflächen eines gesunden landwirtschaftlichen Betriebes bereits von Existenzbedrohung.

Ausgleichsflächen sind noch nicht ausgewiesen

Im Planfeststellungsverfahren, das in diesem Jahr beginnen soll, gehen die Planungen grundstücksscharf ins Detail, finden Verhandlungen zum Grunderwerb für die Trasse und die vorübergehende Pacht der Flächen für die Betriebseinrichtungen statt. Erst dann werden auch die ökologischen Ausgleichsflächen definiert, die für das Projekt nachgewiesen werden müssen. „Dann gehen in unserem schmalen Tal zwischen Inn und den Bergen weitere landwirtschaftliche Flächen verloren“, beschreibt Katharina Kern. Im Logistikkonzept, so verspricht die Bahn, sollen auch Härtefälle berücksichtigt werden. „Im Oberen Inntal sind alle Bauern Härtefälle, denn hier bleiben keine landwirtschaftliche Flächen übrig. Und das heißt auch: Hier gibt es keine Ersatzflächen.“

In den vergangenen Jahren sind bereits viele Flächen verloren gegangen: für Bahnstrecke, A 93, Öl- und Gasleitungen, Stromtrasse und Innstaustufe. „Wir haben unseren Beitrag zur Landesentwicklung schon geleistet“, sagt Landwirt Karl Liegl aus Fischbach. Auch Hans Astner hat seinen Hof in Fischbach. Er wollte ins Tierwohl investieren und einen Auslauf für die Tiere schaffen. Doch der Brenner-Nordzulauf bremst ihn aus. Sein Sohn möchte Landwirt werden und den Hof übernehmen. Muss er sich beruflich und regional neu orientieren?

Hans und Irmgard Astner (rechts) betreiben ihren Hof in Fischbach. Sie wollten ins Tierwohl investieren und einen Auslauf für die Tiere schaffen. Doch der Brenner-Nordzulauf bremst sie aus. Sohn Hans (links) will Landwirt werden und den Hof übernehmen. Muss er sich beruflich und regional neu orientieren?

Kampflos wollen die Bauern im Oberen Inntal ihre Höfe nicht aufgeben. „Das ist unsere Heimat. Diese Kulturlandschaft haben unsere Familien über Jahrhunderte geschaffen, über viele Generationen gehegt und gepflegt“, sagt Magnus Waller. Dieser Landstrich habe Kriege und Katastrophen überstanden: „Und jetzt kommt die Bahn und will eine ganze Region im Auftrag der Bundesregierung enteignen. Das ist, als ob uns das Herz rausgerissen wird.“

Ein Blick nach Einöden zwischen Flintsbach und Niederaudorf: Nach den Plänen der Deutschen Bahn wird es von den Baustelleneinrichtungen für den Brenner-Nordzulauf eingekesselt sein. Da bleibt kein Platz mehr für die Landwirtschaft.

Wird der Brenner-Nordzulauf gebaut, verändert sich die Tourismus-Region. Die Inn-Auen werden komplett umgegraben und sich über zehn bis 15 Jahre in eine Großbaustelle verwandeln. 40 Hektar – das sind 56 Fußballplätze – werden für den Brenner-Nordzulauf gebraucht. Aus dem Sattelbergtunnel kommend soll die Trasse am Fischbacher Gletschergarten auftauchen, im offenen Trog gebaut, bei Fertigstellung mit einem Deckel versehen werden und parallel zur Autobahn bis zum Campingplatz führen. Die bestehende Bahnstrecke wird von Laar aus zur Neubau-Hochgeschwindigkeitsstrecke an der Autobahn geführt.

So sieht das Obere Inntal in ein paar Jahren aus

Am Campingplatz beginnt die oberirdische Verknüpfungsstelle Kirnstein, die auf zwei Kilometern bis zum Schindelberger See in Niederaudorf führt, wo sie wieder in einen gedeckelten Trog abtaucht. Nördlich von Niederaudorf wird der Buchbergtunnel gebaut, durch den die Strecke auf 12,8 Kilometern die deutsch-österreichische Grenze unterquert.

Hinzu kommt mit den Betriebseinrichtungen eine gewaltige „vorübergehende Beanspruchung“ der Region: Auf 26 Hektar – das entspricht 36 Fußballplätzen – sollen Zwischenlager für Abraum und Material, Container und Parkplätze, Werkstätten, Betonmischanlagen und Aufbereitungsanlagen Platz finden. Weitere 13 Hektar – oder 18 Fußballplätze – sind für einen Verladebahnhof geplant.

Da die Bahn den anfallenden Abraum „so weit wie möglich zur Herstellung der Strecke selbst einsetzen will“, wie im Dialogforum erklärt wurde, werden sich gewaltige Abraumhalden im Inntal auftürmen. Hunderte Kubikmeter Abraum werden pro Tag aus den Tunnelbohrungen in Fischbach und Niederaudorf über Förderbänder nach draußen transportiert, zwischengelagert, beprobt und weggefahren. In den nächsten 15 Jahren muss die grüne Oase im Inntal Bergen aus Dreck und Staub weichen – dem Aushub, Betonmischanlagen, viel befahrenen Baustraßen und Förderbändern.

Auf einer Großbaustelle will keiner Urlaub machen

„24/7/365 – Lärm, Dreck, Staub und Licht. Keiner macht inmitten einer solchen Großbaustelle freiwillig Urlaub“, beschreibt Waller die Folgen für Gastronomie und Hotellerie. Wie alle Landwirte im Oberen Inntal verliert er nicht nur seine Flächen und damit letztlich seine Tiere, sondern auch seine Feriengäste. Die Familie Waller hat gerade erst viele Millionen Euro in den Umbau des Hotels „Keindl“ investiert: „Mit dem Brenner-Nordzulauf kommen keine Gäste mehr, mit ihm kommt der Ruin einer ganzen Region.“

Kaum ein Landwirt wird das überleben

Kaum ein Landwirt und kaum ein Gastwirt wird die Bauzeit von 15 Jahren überleben, befürchtet die Interessengemeinschaft. „Die aktuelle Planung der Neubautrasse, vor allem aber die Verknüpfungsstelle, kostet Existenzen, Arbeitsplätze, die Identität einer ganzen Region. Sie besiegelt das Aus von Landwirtschaft, Almen und Tourismus“, befürchtet Ortsbäuerin Anna Pichler. Auch der Biohof ihrer Familie – der Lainthaler Hof – müsste dann auf 50 Prozent seiner Flächen verzichten. Dass die Böden nach dem Bau wieder nutzbar sein sollen, glaubt sie nicht: „Sie werden durch Öle, Treibstoffe und andere Chemikalien so kontaminiert und durch die Baustelleneinrichtungen so verdichtet sein, dass sie für die Landwirtschaft unbrauchbar sind.“

Martin Pichler junior und seine Frau Barbara sind die nächste Generation auf dem Lainthalerhof in Niederaudorf, den die Familie seit 1538 betreibt. Ihre Kälber stehen im Sommer auf der Alm, die Milchkühe werden in Weidehaltung im Tal gehalten. Gerade erst hat die Familie in einen neuen Milchviehstall investiert. Mit dem Brenner-Nordzulauf verlieren sie ihre Existenzgrundlage.

Doch scheinen die Messen für den Brenner-Nordzulauf gesungen zu sein. Im Sommer steht die parlamentarische Befassung an. „Dann ist es für uns schon zu spät. Wir müssen da noch vorher reingrätschen und unsere Position klarmachen“, sagt Landwirt Benno Schmid. Sein Biohof soll unter dem Verladebahnhof begraben werden. Seine Flächen werden für Bautrassen, Förderbänder, eine Anbindung an die Autobahn A 93 und mehrere Rangiergleise gebraucht, damit der Baustellenverkehr die Bestandsstrecke nicht blockiert.

Hoffnung auf einen neuen Verkehrsausschuss

Die Interessengemeinschaft bereitet sich auf einen langen Klageweg im Rahmen des Planfestellungsverfahrens vor. Zugleich hofft sie aber, bei den neuen Bundestagsabgeordneten mehr Gehör zu finden. Für eine Verbesserung der Planungen. Für den Erhalt der wertvollen landwirtschaftlichen Flächen. Sobald die Mitglieder des neuen Verkehrsausschusses feststehen, wollen die Inntaler ihr Gutachten vorstellen. „Es weist die Existenzgefährdung der Landwirtschaft zwischen Flintsbach und Oberaudorf nach“, erklärt Kreisbäuerin Katharina Kern. „Kleinere Betriebe werden durchschnittlich etwa 44 Prozent ihrer landwirtschaftlich genutzten Fläche, Einzelbetriebe voraussichtlich ihre gesamte Betriebsfläche verlieren.“ Laut Aussage des Bauernverbandes sind Betriebe ab einem Flächenverlust von 5 Prozent existenzgefährdet.

Die Interessengemeinschaft hat ein weiteres, schwerwiegendes Argument. „Wirkliche Bürgerdialoge haben nicht stattgefunden“, sagt Anna Pichler. Seit drei Jahren nimmt sie an den Dialogforen teil, genauso wie Magnus Waller und Benno Schmid. „Wir haben die Betroffenheiten unserer Region immer wieder klargemacht, ohne dass darauf eingegangen wurde“, sagen sie. „Die Notwendigkeit einer oberirdischen Verknüpfungsstelle wurde nicht begründet. Verbesserungsvorschläge wurden nicht geprüft. Und warum eine unterirdische Trasse ohne Verknüpfungsstelle im Oberen Inntal nicht möglich sein soll, wird uns auch nicht nachvollziehbar erläutert.“

Private Flächen werden geopfert, staatliche verschont

Zudem akzeptieren die betroffenen Landwirte nicht, dass das Höfesterben in Kauf genommen wird, aber der Staatsforst für die Baustelleneinrichtung nicht genutzt werden darf, weil eine Waldrodung für einen temporären Eingriff nicht genehmigungsfähig sei. „Dabei könnte eine Rodung nicht nur als Gelegenheit für den gezielten Waldumbau genutzt werden“, sagt Kreisbäuerin Katharina Kern: „Sie könnte auch dazu beitragen, bäuerliche Existenzen im Oberen Inntal zu erhalten.“

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