Jetzt in Bad Aibling und Rosenheim
„Bouldern gegen Depression“: Wer will bei neuer wissenschaftlicher Studie mitmachen?
Wie wirksam ist Bouldern gegen Depressionen? Das soll jetzt in einer Studie der Uni Eichstätt unter Mitarbeit der Frasdorfer Sportwissenschaftlerin Sabrina Höflinger auch in Bad Aibling und Rosenheim untersucht werden. Wer an der Studie teilnehmen möchte, kann sich noch melden.
Bad Aibling/Rosenheim – Gerät die Seele in Schieflage, verschlimmern sich psychische Probleme stetig oder wagen sich Betroffene nach langem Leidensweg endlich jemandem anzuvertrauen, sind zeitnah verfügbare Hilfsangebote oft weit außerhalb der Reichweite: Laut einer Analyse der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) beträgt die Wartezeit vom Erstkontakt in der psychotherapeutischen Sprechstunde bis zum Beginn der Psychotherapie im Schnitt 97 Tage. Zugleich steigt die Zahl der Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen stetig und stark an.
Deshalb setzen sich Sabrina Höflinger und Larissa Kranisch dafür ein, dass Menschen möglichst früh beziehungsweise präventiv tätig werden, wenn sie merken, dass sie emotional in eine Schieflage geraten. Seit vier Jahren bieten die beiden jungen Frauen Kurse „Bouldern gegen Depression“ an – mittlerweile an fünf Standorten zwischen München und Rosenheim. Mit diesen wollen sie die Teilnehmer dabei unterstützen, bereits ins Tun zu kommen, „bevor sie auf der Warteliste für eine Therapie stehen“. Denn verschlimmerten sich die psychischen Probleme, fehle häufig der Antrieb, überhaupt aufzustehen, sich zu organisieren oder zu strukturieren, geschweige denn etwas zu unternehmen.
Bouldersport und psychische Gesundheit
Nun soll mit einer aktuellen Studie der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt wissenschaftlich noch genauer untersucht werden, wie der Bouldersport auf die psychische Gesundheit wirkt. Und hierfür arbeiten die Masteranden um Dr. Katharina Goßmann mit der Initiative „Bouldern gegen Depressionen“ von Sabrina Höflinger und Larissa Kranisch zusammen. Die beiden Frauen suchen nun Menschen, die an dieser Studie teilnehmen wollen.
So läuft die Studienerhebung ab
In Gruppen mit fünf bis maximal zehn Teilnehmern führen die Klettertrainerinnen im Basislager Bad Aibling, im Stuntwerk Rosenheim, im KletterZ Weyarn sowie in der Boulderwelt München Süd und München West acht Wochen lang durch ihr Kursprogramm „Bouldern gegen Depression“. Dabei werden im Rahmen der Studie zu Beginn, während der Erhebung sowie danach standardisierte Fragebögen ausgefüllt.
Die zweistündigen Treffen finden einmal pro Woche statt. In dieser Therapieform werden Elemente aus der Achtsamkeitslehre und Entspannungsverfahren kombiniert mit Boulder- und Klettertraining. Gestartet wird in einem geschützten Raum mit Achtsamkeitsübungen und dem Einstieg in das jeweilige Thema, beispielsweise Angst, Vertrauen, Selbstwirksamkeit, Stolz oder soziale Beziehungen. Damit geht es dann an die Boulderwand, wo jeweils eine bestimmte Aufgabe auf die Teilnehmer wartet. Dafür haben die Trainerinnen ein Konzept mit fester Struktur entwickelt. Kletterkenntnisse sind nicht erforderlich. Der Kurs endet jeweils mit freier Boulderzeit sowie einer gemeinsamen Reflektion, Austausch und Entspannung, wiederum in einem eigenen Raum. Informationen zu den Terminen und Anmeldung unter www.kletternundtherapie.de.
In ihr Konzept haben die beiden Frauen ihre bisherigen Erfahrungen integriert. So hat Sabrina Höflinger, selbst passionierte Klettersportlerin, schon während ihres Studiums der Sportwissenschaften nicht nur eine Handicap-Kletter-Gruppe betreut und sich mit den Auswirkungen von Klettern auf die Psyche näher befasst, sondern auch ihre Masterarbeit an der TU München über dieses Thema geschrieben. Danach begleitete sie die Studie „Klettern und Stimmung“ des Uniklinikums Erlangen am Standort Weyarn und beschäftigte sich intensiv mit therapeutischem Klettern bei Depressionen.
Auch Larissa Kranisch hat eine große Leidenschaft für das Bouldern und Klettern. Ihre Expertise teilte die Trainings- und Coachingpsychologin unter anderem als Dozentin für Psychologie an der Hochschule Fresenius. Die Heilpraktikerin für Psychotherapie begann Anfang 2019 gemeinsam mit Sabrina Höflinger die Konzeptionierung und Manualisierung der Kursreihe „Bouldern gegen Depression I-III“.
Sehr breites Teilnehmerfeld
Sabrina Höflinger erläutert: „Manualisiert heißt, wir haben ein Konzept, in dem ganz genau drinsteht, was in der Stunde passiert. Diese feste Struktur ist wichtig für die Teilnehmer“, so ihre Erfahrung. Zu den Kursen kommen im Übrigen Menschen unterschiedlichster Fitnessstufen, Gewichtsklassen, Alter oder Herkunft – Studenten, Topmanager, Arbeitslose, zwischen 20 und Mitte 60. Viele davon mit körperlichen Themen, nach einer Krebstherapie oder Operation. Aber auch Angehörige erkrankter Menschen haben schon mitgemacht.
Der geschützte Rahmen
Eine Frage, die nach Sabrina Höflingers Erfahrung viele Kursteilnehmer umtreibt, ist: „Was ist, wenn mich jemand in der Kletterhalle sieht, der mich kennt?“ Denn trotz aller Aufklärung und Information empfinden viele Betroffene ihre psychische Erkrankung immer noch als Stigma und möchten nicht, dass andere davon erfahren. Deshalb finden die Kurse „Bouldern gegen Depression“ im geschützten Rahmen statt. Für Gespräche und Achtsamkeitsübungen steht den Gruppen beispielsweise ein Yoga- oder Gymnastikraum zur Verfügung. In der Halle selbst geht es dann aber nur um das Bouldern, die Gruppe unterscheide sich nicht von jedweder anderen Gruppe, die dort trainiert.
„Das Schöne am Bouldern ist, dass man es total individuell an den Einzelnen und seine jeweilige, momentane Situation anpassen kann“, so Sabrina Höflinger. Unter den Teilnehmern gebe es durchaus auch jene, „die ihre Ressourcen und Kräfte erst einmal maßlos überschätzen“. Aber auch andere, die sich nichts zutrauen und sehr zurückhaltend beginnen.
„Es ist spannend. Meistens entwickelt sich in den Gruppen sehr schnell Empathie, die Teilnehmer helfen, loben, motivieren einander.“
„Es ist spannend. Meistens entwickelt sich in den Gruppen sehr schnell Empathie, die Teilnehmer helfen, loben, motivieren einander“, beobachtet die Trainerin. Das sei vor allem vor dem Hintergrund unwahrscheinlich wertvoll, da sich 80 Prozent der von Depression Betroffenen sozial stark zurückziehen. In den Kursen kommen sie wieder in Kontakt: „Es gib Kommunikationsgruppen, in denen sich die Teilnehmer austauschen. Diese bleiben auch nach Kursende bestehen. Manche verabreden sich auch weiterhin – sei es zum Kaffee, oder zum gemeinsamen Bouldern oder Spazierengehen.
Das sind die Wirkfaktoren bei „Bouldern gegen Depression“
• regelmäßiges Boulder-/Klettertraining verbessert die Vitalität und das Körpergefühl. Man spürt seinen Körper und seine Kraft wieder.
• Bouldern fordert die volle Konzentration und Aufmerksamkeit und durchbricht dadurch das Gedankenkarussell. Es bleibt keine Zeit, um sich über etwas anderes Gedanken zu machen, als das Hier und Jetzt.
• Die Boulder- oder Kletterwand dient als Spiegel versteckter Glaubenssätze oder Denkmuster. Die individuell erarbeiteten Lösungsstrategien können direkt an der Wand ausprobiert und dadurch erlebbar und spürbar werden.
• Die Boulder-/Kletterübungen sind darauf ausgerichtet, dass die Teilnehmer ihre Komfortzone verlassen und dabei ein Selbstwirksamkeitsgefühl und mehr Selbstvertrauen erleben.
• Der soziale Austausch in der Gruppe beruhigt und bestärkt zugleich. Man merkt, dass man mit seinen Gedanken und emotionalen Phänomenen nicht alleine ist und interagiert mit Gleichgesinnten.
„Unsere Boulderkurse sind kein Ersatz für eine Therapie, sondern können präventiv oder begleitend und stabilisierend in Anspruch genommen werden“, betonen Sabrina Höflinger und Larissa Kranisch. Das Angebot basiert auf der von Höflinger begleiteten wissenschaftlichen Studie „Klettern und Stimmung“ des Uniklinikums Erlangen, die die Wirkung der Boulderkurse als ebenso effektiv wie die Kognitive Verhaltenstherapie einstufte. Die Erkenntnisse aus dieser Arbeit sollen nun durch durch die wissenschaftliche Studie vertieft werden.
„Je mehr wissenschaftliche Erkenntnisse wir über die Wirkung der manualisierten Boulderkurse sammeln, umso mehr Menschen können wir diese innovative Maßnahme bei Burnout oder Depression zugänglich machen“, erklärt Höflinger. Und Kranisch ergänzt: „Das Ziel wäre, dass die Kurse zumindest präventiv und anteilig von den Krankenkassen übernommen werden und wir durch Prävention dabei helfen, emotionale Schieflagen zu vermeiden oder abzumildern.“
Im Basislager sehr willkommen
Eine Idee, die auch in der inklusiven Kletterhalle „Basislager“ in Bad Aibling auf offene Türen stößt. „Das Thema ist uns wichtig. Wir spüren das auch, dass in unserer Gesellschaft die Zahl der Menschen mit psychischen Problemen nicht weniger wird. Wir finden es darum auch schön und wichtig, dass wir hier Kooperationspartner mit einem solch guten Konzept haben“, sagt Natascha Haug, Vorsitzende der DAV-Sektion Stützpunkt Inntal.