„Klettern ist, was ich liebe“
Erste inklusive Kletterhalle Deutschlands: Wie sich Antonias Traum in Bad Aibling erfüllt
Finanziell haben es Familien mit behinderten Kindern ohnehin nicht leicht. In Bad Aiblings inklusiver Kletterhalle soll es aber nicht am Geld scheitern. Wie das funktioniert, worüber sich Antonia besonders freut und was sich in der neuen Sportstätte bisher alles getan hat.
Bad Aibling – „Klettern ist mein Hobby. Klettern ist, was ich liebe.“ – Für Antonia (Name von der Redaktion geändert) ist der Sport seit 14 Jahren ein fester Bestandteil ihres Lebens. Vor zwei Jahren hätte sie ihre Leidenschaft aus finanziellen Gründen fast aufgeben müssen. Weniger Schulgeld und erhöhte Kosten für Wohnung, Lebensmittel und Mobilität: Da bleibt für Hobbys nicht viel übrig. Genau für solche Situationen hat die DAV-Sektion Stützpunkt Inntal Kletterpatenschaften ins Leben gerufen. Durch die Kostenübernahme konnte Antonia ihrer Leidenschaft weiter folgen. Für diese Möglichkeit war sie unendlich dankbar. Für sie ist das Klettern wie der Spiegel ihres Lebens. „Um hochzukommen, muss ich mein Bestes geben“, erklärt die 20-Jährige.
Manchmal schaffe sie es nicht und falle ins Seil, aber auch das bringe sie ihrem Ziel ein Stück näher. Wie im echten Leben eben. Im Basislager Bad Aibling, Deutschlands erster inklusiver Kletterhalle, hat Antonia nun seit Dezember 2022 eine neue Spielwiese. Auf 1877 Quadratmetern gibt es eine 17,5 Meter hohe Kletterwand, einen Boulderbereich, Seminarräume für Kurse und Workshops, ein Bistro – alles barrierefrei und für alle zugänglich. Die Idee für das Basislager entwickelte sich im Alltag des Vereins Stützpunkt Inntal.
Wie läuft es seit über einem halben Jahr?
Bereits 2004 baute Vereinsvorsitzende Natascha Haug therapeutische Klettergruppen auf, um allen Kindern gerecht zu werden – auch denen, die am Rande der Gesellschaft stehen oder sich in dem allgemeinen „höher, schneller, weiter“ nicht zurechtfinden. Seit über einem halben Jahr steht die inklusive Kletterhalle nun wirklich allen Menschen offen. „Wir sind total zufrieden, es kommen immer mehr“, sagt Haug auf OVB-Nachfrage. Auch das befürchtete Sommerloch sei weitestgehend ausgeblieben.
Heute gibt es im Basislager jede Woche 15 inklusive und therapeutische Klettergruppen. Die Ausbildung der Trainerinnen und Trainer, geeignetes Material – das sind hohe Investitionen für die Sektion Stützpunkt Inntal, die über Mitgliedsbeiträge verteilt werden. Gäbe es die Kletterpatenschaften nicht, wäre das für viele Familien nicht finanzierbar.
Lions Club Bad Aibling-Mangfalltal als Kletterpate
Im Mai veranstaltete der Lions Club Bad Aibling-Mangfalltal deshalb einen Spendenbrunch. Dabei kamen 2000 Euro zusammen, die am 20. Juli an das Basislager übergeben wurden. Dank dieser Spende können weitere Kletterpatenschaften für Kinder aus finanziell benachteiligten Familien übernommen werden. Denn wie der Verein mitteilt, hätten gerade Familien mit Kindern mit Behinderung ohnehin schon einen finanziellen Mehraufwand im Alltag. An ein kostspieliges Hobby sei dann oft nicht mehr zu denken. Doch auf das Klettern sollen sie deshalb nicht verzichten müssen.
Konkret bedeutet das, dass die Kinder unabhängig vom Geldbeutel der Eltern zum Klettern kommen können. Die positiven Effekte des Kletterns für Menschen mit und ohne Behinderung seien demnach vielfältig: Es fördert das Selbstbewusstsein und die Selbstwahrnehmung. Das kennt auch Antonia: „Ich merke an der Wand immer, wie es mir wirklich geht.“
„Das hätte ich wohl sonst nirgendwo erlebt“
Das Klettern erfordert Fokus, Konzentration und Lösungsorientierung – so wie viele Situationen außerhalb der Kletterhalle auch. Antonia visualisiere sich Probleme daher oft als Kletterwand. Und klar: Wie jeder Sport hält Klettern fit und fördert Koordination, Ausdauer und Stabilität. Ein wichtiger Ausgleich zum Schul- und Arbeitsalltag eben.
Das Basislager Bad Aibling ist gelebte Inklusion. Hier darf jede und jeder herkommen, samt Stärken und Schwächen, alle sind individuell. Diese Erfahrung sollen die Kinder beim gemeinsamen Klettern machen können. Dadurch werde der Umgang mit Menschen mit Behinderung normal und es entstünden keine Berührungsängste, so das Ziel des Vereins. Und auf der anderen Seite könnten Kinder mit Behinderung erfahren, wie es ist, wirklich dazuzugehören.
„Gerade in unseren inklusiven Gruppen habe ich so viel über Respekt, Wertschätzung, Kommunikation und Offenheit gelernt – das hätte ich wohl sonst nirgendwo erlebt“, fasst Antonia zusammen. Sie ist dankbar, dass sie trotz knapper Kasse ununterbrochen Teil der Klettergruppe sein kann. So wie der Lions Club suchen die Verantwortlichen der Kletterhalle weitere Kletterpaten, die mit ihrer Spende helfen können.
Kletterhalle in „Echelon-Betriebsferien“
Und wie geht es mit der Kletterhalle allgemein weiter? Laut Natascha Haug befinde sich das Basislager derzeit für zwei Wochen in den „Echelon-Betriebsferien“. Diese Zeit wolle man nutzen, um etwa die bauliche Entwicklung voran zu treiben. Denn auch wenn der Betrieb der Kletterhalle schon seit vielen Monaten läuft, ist die Einrichtung parallel an der ein oder anderen Stelle erst noch mitgewachsen. Zuletzt etwa wurde die Terrasse fertiggestellt, auch die PV-Anlage auf dem Dach ist mittlerweile im Einsatz.
