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Ausverkauf beginnt

Bad Endorfer Geschäft schließt: Warum Ruth Krumme ihren „Lebens-t-raum“ beerdigen muss

Ruth Krumme ist eine leidenschaftliche Einzelhändlerin. Trotzdem muss sie ihren „Lebens-t-raum“ in Bad Endorf beerdigen.
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Ruth Krumme ist eine leidenschaftliche Einzelhändlerin. Trotzdem muss sie ihren „Lebens-t-raum“ in Bad Endorf beerdigen.

Sie hat gekämpft, vier Krisenjahre überstanden, viele Ideen verwirklicht: Trotzdem muss Ruth Krumme jetzt ihren „Lebens-t-raum“ beerdigen – zumindest in Bad Endorf. Die Hoffnung, dass der Einzelhandel mit neuen Konzepten überlebt, gibt sie trotzdem nicht auf. Dafür sucht sie Partner.

Bad Endorf – Der Ausverkauf hat begonnen. Im September läuft der Mietvertrag für den Laden in der Bahnhofstraße 8 aus. Einen neuen will Ruth Krumme für ihren „Lebens-t-raum“ nicht mehr abschließen. Sie hält das Sterben auf Raten nicht mehr aus, das 2020 mit der Corona-Krise begann, durch die Energiekrise und Inflation verstärkt wurde und 2023 in der halbseitigen Sperrung der Bahnhofstraße gipfelte.

Baustellen lassen Handel ausbluten

Alle Revitalisierungsversuche scheiterten. Mit einem Blick in die Zukunft wird ihre Existenzangst groß: Voraussichtlich 2025 soll der Kreisverkehr an der Bahnhofstraße, in den Folgejahren dann die komplette Straße ausgebaut werden. Am heutigen Standort sieht Krumme für ihr Geschäft keine Überlebenschancen mehr. Ende Oktober ist Schluss.

Im Oktober wird das Geschäft von Ruth Krumme in der Bahnhofstraße in Bad Endorf geschlossen, weil zu viele Kunden im Internet und zu wenige vor Ort einkaufen.

Ihre Augen füllen sich mit Tränen, wenn sie auf den Ausverkauf ihres „Lebens-t-raumes“ angesprochen wird, denn eigentlich ist Ruth Krumme leidenschaftliche Einzelhändlerin. Im Alter von vier Jahren klebte sie im Geschäft ihrer Mutter schon die Preisetiketten auf die Waren. Fast 50 Jahre später muss sie sich geschlagen geben – von Internet und neuen Kaufgewohnheiten.

2012 kam Ruth Krumme mit ihren beiden Töchtern nach Bayern, weil sie Land und Leute liebt und Freunde ihr sagten: „So eine wie dich brauchen wir hier.“ In Halfing eröffnet sie ihr erstes Geschäft. 2017 wechselt sie nach Bad Endorf. „Es lief sehr gut“, erzählt die 53-Jährige. Bis zur Corona-Krise. Stabile Kosten, null Einkünfte. Sie präsentiert die Waren vor der Tür, näht Masken, lebt von ihren Reserven. „Ich war dumm, hätte daheim bleiben sollen“, weiß sie heute, denn wie viele Einzelhändler soll auch sie einen Großteil der Corona-Beihilfen zurückzahlen.

Handel seit vier Jahren in der Dauerkrise

Nach dem Überfall auf die Ukraine wächst die wirtschaftliche Unsicherheit der Menschen. Sie ächzen unter der Inflation, müssen sparen. Laut einer Prognose des Handelsverbandes Bayern (HBV) sinken die Umsätze auch 2024 weiter. „Durch die Corona-Pandemie und den Ukrainekrieg sind wir seit vier Jahren in einer Dauerkrise gefangen, wie wir sie in der Nachkriegszeit noch nie hatten. Viele Betriebe stehen am Rande der Existenz und kämpfen um das wirtschaftliche Überleben“, warnt HBV-Präsident Ernst Läuger.

Im Schaufenster ihres Geschäftes „Lebens-t-raum“ macht sie auf die existenzbedrohende Situation des Einzelhandels und die traurige Zukunft ausgestorbener Innenstädte aufmerksam.

Parallel dazu boomt der Internet-Handel. Die Menschen haben sich ans kontaktlose Einkaufen und Billigwaren aus China gewöhnt. Ruth Krumme setzt auf hochwertige und nachhaltige Waren, die unter menschenwürdigen Arbeitsbedingungen hergestellt werden. Die bunte Vielfalt ihres „Lebens-t-raums“ – Babykleidung, Küchen- und Geschenkartikel, Wolle, Spielwaren für Groß und Klein – kommt zum größten Teil aus Europa. Während sie Einkaufserlebnisse kreiert und vor Ort Steuern zahlt, bringt der Internetumsatz den Kommunen nichts. Hier sei die Politik gefragt, meint Ruth Krumme: „Internet-Handel müsste ganz anders besteuert werden, damit die Steuern dorthin fließen, wo die Produkte gekauft werden.“

Noch gibt es in Bad Endorf „alles, was man braucht“

Not macht erfinderisch. Ruth Krumme versucht, ihre Kunden immer wieder zu überraschen. Sie nimmt neue Waren ins Sortiment auf, kreiert übers Jahr sechs Postkarten, verteilt sie überall dort, wo sich Menschen treffen. Sie lädt nach Bad Endorf zum Einkaufserlebnis ein, denn: „Hier gibt es alles, was man braucht.“ Nicht nur bei ihr, auch bei den anderen Händlern.

Not macht erfinderisch: Insgesamt sechs Karten für jede Jahreszeit und Gelegenheit kreiert Ruth Krumme für Händler, Gastronomen und Hoteliers in Bad Endorf. Doch der Werbeeffekt ist nur von kurzer Dauer.

So funktioniert ein „digitales Schaufenster“

Dann wird sie auf ein Start-up aus Mindelheim aufmerksam, lädt den Entwickler Dejan Nikolajevic zu Vortragsveranstaltungen nach Bad Endorf ein, um mit seinem Konzept den Einzelhandel zu retten. Nikolajevic hat ein digitales Schaufenster entwickelt, um stationären Handel und digitale Gewohnheiten zu verknüpfen. „Die App ist wie ein lokaler Marktplatz. Jeder Händler kann hier seine Waren präsentieren. Wenn der Kunde am Abend auf der Couch online geht, kann er sein Wunschprodukt auch in seiner Stadt suchen und reservieren. So bleibt der Klick in der Stadt und der Kunde kann trotzdem das Abenteuer Einkauf erleben“, beschreibt Krumme die Idee.

Mehr Menschen zum Einkauf animieren

Ziel ist es, wieder mehr Menschen in die Innenstädte zu locken. Kombiniert wird das digitale Schaufenster mit einer Bonuskarten-App. Sie funktioniert online genauso wie eine traditionelle Stempelkarte und belohnt Kundentreue mit Rabatten in den einzelnen Geschäften. Außerdem können Bonuspunkte für einen Einkaufsgutschein für den gesamten Ort gesammelt werden. „Unsere Kunden fanden die Idee super“, erinnert sich Krumme. Einige Bad Endorfer Geschäfte beteiligen sich. Doch es sind zu wenige.

Baustelle kostet Umsatz

Ruth Krumme kauft auf der Spielwarenmesse nun auch für junge Erwachsene ein, um die Zielgruppe des digitalen Schaufensters zu erreichen. Parallel dazu entwickelt und verteilt sie neue Flyer. Doch dann wird die Bahnhofstraße halbseitig gesperrt. Wer von August bis Weihnachten 2023 durch Endorf fährt, muss geduldig an der Ampel warten. „Da fährt keiner freiwillig raus, um einzukaufen und sich dann wieder in die Schlange einzufädeln“, beobachtet Ruth Krumme. Sie rettet sich über den Sommer, doch das Weihnachtsgeschäft bricht weg. „Diese unangekündigte Baustelle hat mich mindestens 50.000 Euro Umsatz gekostet.“

Zwei Apps sollen die Kunden in die Bad Endorfer Innenstadt locken: Das digitale Schaufenster – ein lokaler Marktplatz, auf dem der Händler seine Waren präsentieren kann – und eine Bonuskarten-App, die wie eine traditionelle Stempelkarte funktioniert. Doch nur wenige Geschäfte machen mit.

Als am traditionellen Marktsonntag (5. Mai) die 1100-Jahr-Feier von Bad Endorf offiziell beginnt und die Bahnhofstraße mal wieder voller Menschen ist, ist ein Schaufenster des „Lebens-t-raumes“ mit Packpapier abgeklebt: „SOS – der Einzelhandel stirbt. Wenn nicht mehr regional gekauft wird, sieht es hier bald so aus.“ Ruth Krumme will aufrütteln, damit die Innenstadt nicht ausblutet. Sie selbst hat ihre Entscheidung bereits getroffen. „Wir haben den Kampf gegen das Internet verloren“, resümiert sie vier intensive Krisenjahre und stellt klar: „Ich bin nicht insolvent, sondern immer noch handlungsfähig.“ Doch sie muss akzeptieren: „In Bad Endorf kann ich nicht überleben.“

Hoffnung auf Neustart

Ein Fünkchen Hoffnung ist ihr geblieben: Vielleicht gibt es in einem anderen Ort ein kleines, freies Ladenlokal für sie und dazu eine Händlergemeinschaft, die gemeinsam mit ihr ein digitales Schaufenster gestalten will, um mehr Menschen ins Zentrum zu locken, denn: „Wenn jeder in seinen Heimatorten nur einen Bruchteil dessen kauft, was er im Internet bestellt, könnten alle Einzelhändler überleben.“

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