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Barrierefreier Steg fertig

Pack die Badehose ein! – In Baierbach gehen Rollstuhlfahrer im Simssee alleine schwimmen

Ein Mann und eine Frau sind an einem behindertengerechten Steg auf dem Weg ins Wasser.
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Flache Stufen und zwei Handläufe in unterschiedlichen Höhen führen in den Simssee. Harald Oberrenner und Sylvia Hampel haben‘s ausprobiert.

30 Grad, Sonnenschein – nichts wie ab in den See. Völlig normal, oder? In Baierbach am Simssee ja. Und zwar für alle! Dank des einzigen barrierefreien Stegs im Landkreis Rosenheim. Ein Selbstversuch.

Stephanskirchen – „Wunderbar“, sagt Harald Oberrenner und strahlt. Er sitzt in seinem Rollstuhl auf dem Badesteg in Baierbach, schaut hinunter zum Wasser des Simssees und freut sich. Seine freundliche Hartnäckigkeit, seine Energie und seine Überzeugungsarbeit haben sich ausgezahlt. Endlich können Rollifahrer selbstständig ins Wasser und wieder hinaus. Ohne auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Das gab es bisher so im Landkreis nicht.

Oberrenner, der Behindertenbeauftragte der Gemeinde Stephanskirchen, sitzt aufgrund einer Erkrankung im Rollstuhl, kann seine Beine nur kurz belasten. Er hat den Bau des barrierefreien Badestegs über Monate und Jahre vorangetrieben.

36 Meter bis zum Glück im See

Es sind 36 Meter bis zum Glück. Vom Anfang des Steges bis zur letzten Stufe im Wasser. 36 Meter, die für jeden zu überwinden sind. Vorausgesetzt, die Arme tun ihren Dienst. Die Beine? Sind ausgebremst. Schlicht nicht nötig.

Nun steht er da in Baierbach, der Steg mit dem Podest am Kopf der Treppe, auf das sich Rollifahrer plan aus ihrem Gefährt schwingen können. Und je nach körperlicher Verfassung die Wahl haben, ob sie sich am oberen Handlauf hinunterhangeln oder am unteren Handlauf auf dem Allerwertesten die flachen Stufen hinunterrutschen.

Rollstuhlfahrer wie Harald Oberrenner können auf gleicher Höhe auf ein Podest am Kopf der Treppe ins Wasser rutschen.

Und natürlich will er ausprobiert werden, der Steg. Treffen mit Harald Oberrenner – ausgerechnet am kühlsten Tag der Woche. Weswegen Harald Oberrenner ein bisschen kneifen muss. Seine Erkrankung ließe es ihn büßen, ginge er schwimmen. Nicht wegen der Wassertemperatur. Die beträgt 22 oder 23 Grad. Der kühle Wind ist schuld. Der Rollifahrer braucht einfach länger, bis er aus der Badehose in trockenen Kleidern ist. Also Versuchsanordnung ändern: Oberrenner übernimmt den Part des Fußgängers, bleibt mit den Füßen im Wasser stehen. OVB-Reporterin Sylvia Hampel – Wasserratte mit maroden Knien – rutscht die Treppe hinunter in den See.

Drin! Ganz bequem. Harald Oberrenner muss leider zugucken, während die Reporterin eine Runde im Simssee dreht

Geht wirklich wunderbar. Zur Gaudi von Harald Oberrenner ertönt von unten ein erschrecktes „Uah!“, als Füße und Kehrseite der Reporterin gleichzeitig Wasserkontakt haben. So ungewohnt. Auf den letzten Stufen noch ausprobiert, ob es einfacher ist, sich mit den Händen auf den Stufen nach unten zu bewegen oder ob der Handlauf kommoder ist. Fazit: Muss jede Wasserratte selbst entscheiden.

Die unterste Stufe der Treppe ins Wasser ist so weit draußen im See, dass der Pegelstand immer ausreicht, gleich loszuschwimmen. „Wichtig für Querschnittsgelähmte, denn die können ja nicht stehen“, erklärt Harald Oberrenner. So aber können sie, ohnehin bis mindestens zum Bauch im Wasser, einfach nach vorne kippen und losschwimmen. Für Fußgänger gilt das Gleiche, sie stehen bis etwa Mitte Oberschenkel im kühlen Nass, sind auch gleich drin. Bei weniger Temperament: auf die untersten Stufen setzen und gemütlich ins Wasser rutschen.

Auf die unterste Stufe schwimmen

Und wie kommt man raus? Einfach auf die unterste Stufe schwimmen. Fußgänger laufen hoch, Querschnittsgelähmte rutschen die wenige Zentimeter hohen Stufen auf dem Allerwertesten rückwärts hinauf und Rollifahrer mit einem Rest Gehfähigkeit haben die Wahl, sich mit der Power der Arme auf den Füßen hoch zu hangeln oder – weniger kraftraubend – Stufe für flache Stufe hoch zu rutschen.

Selbstständig rein und raus

Und dann sitzen da zwei Menschen und freuen sich. Die eine, weil sie dienstlich wässern und den Steg testen durfte. Der andere, weil der Steg alle Erwartungen erfüllt, die er hatte. „Ich finde es genial, dass hier alle selbstständig rein und raus können“, sagt Harald Oberrenner, mittlerweile wieder im Rollstuhl sitzend. „Das ist echte Inklusion.“ Ein Mutter-Tochter-Gespann, mittelalt und jung, spaziert entspannt die Treppe hinunter. „Viel bequemer als von der Wiese ins Wasser“, sind sich die beiden einig. Oberrenner lacht. „Ich wollte kein Ghetto für Behinderte, ich bin gegen diese Separierung“, sagt er energisch.

Eine ältere Frau in Trekking-Sandalen mit Nordic-Walking-Stöcken in der Hand schaut sich den Steg an und schimpft, dass „da so vui Geld“ für Behinderte ausgegeben wurde. Oberrenner bleibt ruhig. Erklärt, dass sich die EU mit 75.000 Euro an dem Steg beteiligt hat, dass rund 1000 Stephanskirchner schwerbehindert sind, und dass der Steg ja auch älteren Menschen, die nicht mehr so sicher auf den Beinen sind, zugute kommt. Die Frau sieht ihre Stöcke an, murmelt etwas Unverständliches, nickt und geht.

Es ist nicht nur der Badesteg, der den Badeplatz in Baierbach für Menschen mit vielfältigsten Behinderungen so praktisch macht. Denn mit dem Schwimmen allein ist es ja nicht getan. Am Ende des Stegs steht eine Dusche mit einem Klappsitz und zwei Armstützen. Aus dem Rolli auf den Sitz, das Gefährt auf Armlänge wegschieben und schon kann, wer will, vorher abkühlen oder nachher das Seewasser abspülen. Aber bitte nicht abseifen – das nehmen der Simssee und seine Bewohner übel.

Großzügige Umkleide an Serpentinen

Der Weg von den Behindertenparkplätzen am Kurvenwirt zum Steg, in Serpentinen angelegt, führt an einer schlichten hölzernen Umkleide vorbei. Die ist so geräumig, dass Rollifahrer problemlos darin navigieren können. Und überall sind Handgriffe, an denen man von den breiten Sitzflächen sich nach rechts, links, oben ziehen kann, um in die Klamotten zu kommen. Oder einfach Halt findet, wenn das Stehen auf einem Bein nicht (mehr) so gut klappt.

Offiziell eingeweiht wird der barrierefreie Badesteg am Freitag, 28. Juli, um 16.30 Uhr. Genutzt wird er schon längst. Zur Freude von Harald Oberrenner. Wie er das findet? „Ganz wunderbar.“

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