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Bad Aiblings Stadtpfarrer im Interview

„Hemmschwelle ist gesunken“: Was hinter Bad Aiblings Kirchenaustritten steckt

Bad Aiblings Stadtpfarrer Georg Neumaier erklärt im Interview, was hinter den zahlreichen Kirchenaustritten stecken könnte.
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Bad Aiblings Stadtpfarrer Georg Neumaier erklärt im Interview, was hinter den zahlreichen Kirchenaustritten stecken könnte.

Auch in Bad Aibling treten Menschen in rekordverdächtiger Anzahl aus der Kirche aus. Doch woran liegt das eigentlich und wie kann der Trend gestoppt werden? Stadtpfarrer Georg Neumaier spricht im Interview über die prekäre Lage.

Bad Aibling – Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Immer mehr Menschen treten aus der Kirche aus, auch in Bad Aibling. Waren es im Jahr 2020 noch 183 Kirchenaustritte, kehrten im Folgejahr 240 Menschen der Kirche den Rücken. Für 2022 verzeichnete die Stadt Bad Aibling sogar 367 Austritte. In der Kurstadt trifft das zum Großteil die katholische Kirche. Im Stadtgebiet leben rund 10.000 Katholiken, sagt Stadtpfarrer Georg Neumaier. Im Interview mit den OVB-Heimatzeitungen erklärt er, was hinter den vielen Austritten stecken könnte, wie ihn die Entwicklung persönlich trifft und was die Kirche dem Trend entgegensetzen kann.

Herr Pfarrer Neumaier, wie erklären Sie sich die zahlreichen Kirchenaustritte?

Stadtpfarrer Georg Neumaier: Natürlich hängt das immer vom jeweiligen Einzelfall ab. Es gibt jedoch sicherlich eine Reihe von Beweggründen. Für viele Menschen ist das die Kirchensteuer. Sie möchten nichts für die Kirche bezahlen, auch weil sie sich nicht mehr zugehörig fühlen und die Kirche in diesem Sinne nicht mehr nutzen. Andere haben Glaubensschwierigkeiten. Sie können also nicht mehr nachvollziehen, was die Kirche verkündet und lebt.

Welche Rolle spielen die Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche?

Neumaier: Auch der Umgang mit den Missbrauchsskandalen spielt eine Rolle. Ich glaube, diese haben auch dazu geführt, dass die Hemmschwelle, aus der Kirche auszutreten, deutlich gesunken ist. Viele, die vielleicht ohnehin mit dem Schritt liebäugelten, haben dadurch ein entscheidendes Argument, nun tatsächlich auszutreten. Und gegen dieses Argument kann man natürlich nur schwer ankommen. Ich stelle fest: Immer wenn in den vergangenen Jahren ein Missbrauchsgutachten veröffentlicht wurde, folgte eine Welle an Austritten. Ansonsten gab es in der Vergangenheit mal mehr und mal weniger Austritte.

Wie gehen Sie persönlich mit den zahlreichen Kirchenaustritten um?

Neumaier: Um ehrlich zu sein, bin ich schon über jeden einzelnen Austritt traurig. Das trifft einen schon, auch wenn ich natürlich nicht jeden einzelnen kenne. Klar ist: Die Austritte betreffen jeden Gesellschaftsbereich und jede Altersgruppe, ob jung oder alt. Vor der Corona-Pandemie waren es vor allem Menschen im Alter zwischen 28 und 35, die gerade in dieser Lebensphase auch bemerkten, welche finanzielle Rolle die Kirchensteuer für sie spielt. Mittlerweile erstrecken sich die Kirchenaustritte aber auch auf alle anderen Gesellschaftsteile.

Macht die Vielzahl an Austritten deutlich, wie sehr die Kirche an Bedeutung verloren hat?

Neumaier: Früher: Früher war die Kirche in den Familien viel fester verankert. Da hätte es der soziokulturelle Apparat fast nicht zugelassen, dass jemand ausgetreten ist. Wenn überhaupt, dann haben es die Menschen heimlich gemacht. Diese Hürde ist heutzutage natürlich wesentlich niedriger.

„All das, wofür sich die Kirche einsetzt, wäre ohne die Kirchensteuer überhaupt nicht möglich.“

Bad Aiblings Stadtpfarrer Georg Neumaier

Wie landen die Austritte eigentlich auf Ihrem Schreibtisch?

Neumaier: Das ist in Deutschland tatsächlich eine komplizierte Sache. Nachdem ein Bürger beim Standesamt seinen Austritt aus der kirchlichen Steuergemeinschaft erklärt hat, geht dies ans Kirchensteueramt und am Ende bekommen wir einen Austrittsbrief zugeschickt.

Versuchen Sie mit diesen Menschen dann nochmal ins Gespräch zu kommen?

Neumaier: Ja, wir machen ihnen zumindest ein Angebot. Jeder Ausgetretene bekommt von uns einen Brief zugeschickt mit einem Zusatzblatt, auf dem er freiwillig die Gründe für seinen Schritt ausführen kann. Und dort können sie auch vermerken, ob sie ein persönliches Gespräch führen möchten. Von diesen Briefen kommen etwa zwei bis drei Prozent zu uns zurück.

Und kommt es bei dieser geringen Anzahl an Menschen, die sich bei Ihnen zurückmelden, zu besagten Gesprächen?

Neumaier: Ganz selten, aber es gibt diese Gespräche manchmal. Und diese Unterhaltungen sind meist sehr gute Gespräche. Aber dabei geht es nicht mehr darum, die Menschen von ihrer Entscheidung, aus der Kirche auszutreten, abzubringen.

Was könnte die Kirche Ihrer Meinung nach verändern, damit die bedenkliche Entwicklung ausgebremst werden kann?

Neumaier: Eine mögliche Maßnahme wäre meiner Meinung nach, es zwar bei der Kirchensteuer zu belassen, diese aber wie in Italien zu regeln. Dort haben die Menschen die Wahl, ob sie den Beitrag als Kirchensteuer entrichten, als Sozialsteuerabgabe oder als Kultursteuer. Jeder zahlt, kann aber selber entscheiden, für was. Das System ist in meinen Augen deutlich gerechter. Bei uns zahlt man die Kirchensteuer, oder man spart sie sich eben, indem man austritt.

Ganz von der Kirchensteuer abzusehen, ist also keine Option?

Neumaier: All das, wofür sich die Kirche einsetzt, wäre ohne die Kirchensteuer überhaupt nicht möglich. Als Kirche finanzieren wir extrem viel in den sozialen Bereich, in Kliniken oder in Bildung. Was viele nicht wissen: Die Kirche ist immer noch der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Wer würde die unzähligen Arbeitnehmer auffangen, wenn die Kirchensteuer fallen würde? Was dann passieren würde, wissen wir aus Erfahrungen aus dem Jahr 1803. Die sogenannte Säkularisation, also die Aufhebung kirchlicher Institutionen führte zu einem Fiasko. Das ganze System brach zusammen, keine Bildung, keine Krankenhäuser, viel Armut.

Haben die Kirchenaustritte Ihrer Meinung nach eine negative Auswirkung auf das gesellschaftliche Miteinander?

Neumaier: Das würde ich schon sagen. Generell geht dadurch die ethische Bindung verloren. Die Identität, zu einer Gruppe zu gehören, das strahlt schon etwas aus. Und das schwindet dadurch immer mehr. Auf der anderen Seite stellen wir aber auch fest, dass etwa das Bedürfnis, zu beten, noch immer vorhanden ist. Das lässt sich beispielsweise an der Kerzenablage mit Opferstock ganz gut messen.

Dennoch sprechen die Zahlen der Kirchenaustritte im ganzen Land eine deutliche Sprache. Wie sieht die Zukunft der Kirche aus?

Neumaier: Das weiß niemand so recht. Es gibt statistische Untersuchungen, wonach etwa 40 Prozent der Menschen, die austreten wollen, auch austreten. 60 Prozent derer bleiben wiederum. Klar ist: Die Kirche engagiert sich in vielen Bereichen und das Interesse am Glauben ist nach wie vor vorhanden. Das zeigt sich etwa auch daran, dass viele junge Menschen kirchlich heiraten wollen oder ihre Kinder taufen lassen. Oftmals wird dennoch nur das Negative gesehen und das, wofür sich die Kirche einsetzt, übersehen. Wenn das wieder mehr in den Vordergrund rückt, kann die Kirche auch wieder mehr Menschen erreichen.

Wie beurteilt der evangelische Pfarrer Markus Merz die Situation?

Wie schätzen Sie die steigenden Zahlen der Kirchenaustritte ein und wie stark ist die evangelische Kirche in Bad Aibling in den vergangenen Jahren davon betroffen?

Markus Merz: Dass zur Zeit so viele Menschen aus der Kirche austreten, treibt mich richtig um und es belastet mich auch. Die Folgen sind bald mehr und mehr zu spüren. Als Kirche werden wir wenige Möglichkeiten haben, sichtbar nach außen zu treten.

Pfarrer Markus Merz, evangelischer Pfarrer in Bad Aibling.

Was sind Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für die Austritte?

Markus Merz: Die Berichte über Missbrauch von Macht und Geld sind ganz oft Auslöser, die ohnehin lose gewordene Mitgliedschaft zu beenden. Das Schlimme ist ja dass sexueller Missbrauch nicht eindeutig und so zögerlich aufgedeckt wird. Oft geht es eine lange Entfremdung voraus. Zugleich bin ich mir gar nicht sicher, ob das mit einem schwindenden Interesse an Religion zu tun hat. Nur suchen viele Sinn und Spiritualität außerhalb der Kirche. Das müssen wir schlicht auch wahrnehmen.“

Und was kann die Kirche Ihrer Meinung nach tun, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?

Markus Merz: Wichtig ist es mir: Jeder und jede ist in unserer Gemeinde willkommen. Ich schaue nicht auf Konfession und Glauben. Mein persönlicher Beitrag ist die Initiative „Unsichtbare Welt“. Anliegen ist es hier, Angebote zu Sinnsuche und zu Gemeinschaft zu geben. Wir suchen hier nach neuen Formen, um Menschen persönlich anzusprechen. Nehmen auch wir die Initiative „FamilienZeit“ in Großkarolinenfeld, in welcher für Familien Angebote für Glauben und Spielen gegeben werden. Es wird immer wichtiger, ein größeres Augenmerk auf eine gute Öffentlichkeitsarbeit zu richten.

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