Gewalt-Attacke vor Aiblinger Sparkasse
Brutal angegriffen und beraubt: Hat 89-jähriges Opfer vor Gericht trotzdem keine Chance?
Als der Aiblinger Rentner 500 Euro abhebt und einen Mann hinter sich bemerkt, nimmt das Unheil seinen Lauf. Es folgt eine brutale Tat, die die Überwachungskameras aufzeichnen. Doch vor Gericht hat das Opfer trotz klarer Beweise ein großes Problem.
Bad Aibling – Am 23. Februar 2022 hob der damals 88-jährige Rentner am Automaten der Sparkasse in Bad Aibling 500 Euro ab. Plötzlich bemerkte er einen Mann hinter sich, der eine Pandemie-Maske trug. Beim Hinausgehen bettelte dieser ihn um einen Euro an und fragte nach dessen Handy, um telefonieren zu können. Ein Handy hatte der Senior nicht dabei, er hielt jedoch nach eigenen Angaben die abgehobenen Geldscheine in der Hand. Gesprochen hatte der Mann mit einem ausländischen Akzent, den er zunächst als “südosteuropäisch“ beschrieben hatte, so der Rentner.
Als Tatopferzeuge beschrieb er ihn vor Gericht dann als slawisch oder tschechisch. Vor der Sparkasse habe ihm der Mann unvermittelt und heftig die Faust in dem Bauch geschlagen, so dass er zu Boden stürzte. Als sich der 88-Jährige wieder aufrappelte, war das Geld weg und der Räuber zu Fuß geflüchtet. Zunächst wollte er sich mit seinem Fahrrad auf die Verfolgung machen. Zeugen der Tat hatte er keine. Eine Passantin, der er vom Vorfall berichtete, riet ihm von einer Verfolgung ab. Vielmehr half sie ihm, die Polizei zu verständigen. Später werteten die Ermittlungsbeamten die Videoaufnahmen in der Bank aus. Die Aufnahmen vom eigentlichen Tatort vor der Bank waren jedoch nicht nutzbar, weil sie aus dem öffentlichen Raum aus datenrechtlichen Gründen verpixelt werden müssen – und so als Beweismittel unbrauchbar sind.
Handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Angeklagten
Die Videos aus der Bank wiesen auf einen 49-jährigen Rumänen hin, der wegen einer anderen Strafsache bereits erkennungsdienstlich behandelt worden war. Dieser wurde zur Fahndung ausgeschrieben und im November vergangenen Jahres in Italien festgenommen. Im Dezember nach Deutschland ausgeliefert wurde er nun vor dem Schöffengericht Rosenheim unter dem Vorsitz von Richterin Melanie Bartschat wegen Raubes und Körperverletzung angeklagt. Im Zeugenstand erkannte der inzwischen 89-Jährige den Angeklagten zunächst nicht als Täter. Erst nach einiger Zeit glaubte er, ihn doch zweifelsfrei zu erkennen, ohne allerdings eine nähere Beschreibung des Räubers von damals geben zu können.
Nach drei Schlaganfällen und ebenso vielen Herzinfarkten habe sein Erinnerungsvermögen natürlich nachgelassen, erklärt er. Professor Dr. Jochen Buck war zur Identitätsüberprüfung als Gutachter geladen worden. Dazu wurden die Videoaufnahmen in Augenschein genommen. Dabei stellte sich heraus, dass die Situation in der Bank nicht absolut deckungsgleich mit der Beschreibung des Opfers waren. Dann fotografierte der Gutachter den Angeklagten in den Positionen, welche der Mann auf dem Video eingenommen hatte um diese vergleichen zu können. Weil der Abgebildete eine CoronaMaske trug, beschränkten sich die Vergleichsmöglichkeiten auf Augen, Augenbrauen, Stirn und Ohren. In dem darauf folgenden Gutachten erklärte er, dass es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit bei der abgebildeten Person um den Angeklagten handle.
Was den Schuldspruch „unmöglich machte“
Unwahrscheinlich aber nicht auszuschließen sei, dass es einen möglichen Doppelgänger gebe. Der Beamte berichtete von den Ermittlungen und wie anhand von Quervergleichen der Angeklagte ins Visier der Fahnder geraten war. Der Vertreter der Staatsanwaltschaft war von der Schuld des Angeklagten überzeugt. Er beklagte die hohe kriminelle Energie und die Brutalität, mit welcher der Angeklagte vorgegangen sei. Zu sehr würden die vom Gutachter überprüften Aufnahmen übereinstimmen. Auch glaubte er, dass der Angeklagte mittels der Beschreibung des Tatopfers fraglos überführt sei.
Die Verteidiger, die Rechtsanwälte Dr. Manuel Lüdke und Dr. Josef Blenk, verwiesen darauf, dass es keinen wirklich schlüssigen Beweis für die Täterschaft ihres Mandanten gebe. Neben den Restzweifeln an der Identität mit dem fotografierten Mann in der Bank seien auch die Erkenntnisse des Tatopfers mit großer Skepsis zu bewerten. Zu widersprüchlich und teilweise widerlegt seien dessen Beschreibungen des Tathergangs. Sie beantragten einvernehmlich einen Freispruch für ihren Mandanten. Das Schöffengericht sprach den Angeklagten frei.
„Wir sind nicht überzeugt, dass sie nicht der Täter waren“, so die Richterin, „aber die deutsche Rechtsprechung verlangt, dass ein Angeklagter nur dann schuldig gesprochen wird, wenn seine Schuld zweifelsfrei bewiesen wird. Hier gab es nur zwei belastende Argumente: Die Gesichtserkennung des Gutachters und die unsichere Aussage des 89-jährigen Tatopfers. Beide waren mit Zweifeln behaftet, was uns einen Schuldspruch unmöglich machte.“