Renaturierung plus Biber
„Auch Mensch hat Recht auf Natur und Schutz“: Das fordert Raublinger mit 40 Jahren Moor-Expertise
Nach der Flut im Juni 2024 stößt die Renaturierung der Moore bei vielen Raublingern auf Kritik. Denn noch weiß keiner wirklich, ob die Wiedervernässung das Hochwasser verstärkt oder dämpft. Johannes Neiderhell aus Kleinholzhausen beobachtet die Natur seit 40 Jahren. Das sind seine Erfahrungen.
Raubling/Bad Feilnbach – Johannes Neiderhell lebt in Kleinholzhausen (Gemeinde Raubling) seit über 60 Jahren im Einklang mit der Natur. Er ist Waldbesitzer und Naturfreund. Seit 40 Jahren pflegt er ein Waldstück am Rande der Sterntaler Filze. Seit 40 Jahren beobachtet er die Natur. Im OVB-Interview fordert er: „Menschen, Pflanzen und Tiere müssen ausgewogener nebeneinander leben können.“ Und vor allem der Mensch müsse wieder stärker in den Fokus rücken. Das sind seine Argumente.
Sie leben seit über 60 Jahren in Kleinholzhausen, also in direkter Nachbarschaft der Raublinger Stammbeckenmoore. Haben Sie den Torfabbau noch erlebt?
Johannes Neiderhell: Der Torfabbau in unserer Region war bis 2006 erlaubt. Über viele Jahrzehnte wurde der Grundwasserspiegel der Moore abgesenkt, um Torf stechen zu können. Auch die Waldbesitzer, die keinen Torf abbauten, spürten das, denn durch den Wasserentzug trocknete der Moorboden aus und ging zurück. Laubbäume standen mit ihrem Wurzelwerk förmlich in der Luft. Nadelbäume wurden oft vom Käfer befallen. Es entstand also bereits damals ein Schaden für die privaten Wald-Nachbarn der Torfabbaugebiete.
Inzwischen wurden viele Hektar Moor renaturiert. Wie hat sich das auf angrenzende Waldgebiete ausgewirkt?
Neiderhell: Auch die Wiedervernässung führt bei benachbarten Waldbesitzern zu Schäden. Das Wasser drückt in ihre Waldgrundstücke. Ein Teil ihrer Bäume verfault innerlich oder von den Wurzeln her. Durch die Erhöhung des Wasserspiegels stehen diese jetzt förmlich im Wasser, was die meisten Pflanzen auf Dauer nicht vertragen. Diese Schäden sind kurzfristig nicht messbar. Trotzdem fragen sich die Waldbesitzer, ob nun ein Großteil des bestehenden Waldes rund um die Raublinger Filze unter der Renaturierung leiden und ertrinken wird. Aber offenbar stellen nur sie sich diese Frage. Die Staatsforsten als Waldnachbarn scheinbar nicht.
Wie haben Sie im Laufe der Jahrzehnte die Hochwasser-Bedrohung durch die Moore erlebt?
Neiderhell: Ich wohne seit über 60 Jahren in Kleinholzhausen. Seit gut 40 Jahren beobachte ich unsere Natur und unsere Umgebung auch bei Unwettern. Ich denke, dass die Moore bei mittelmäßigem Grundwasserstand bei Starkregen eine gewisse Verzögerung des Hochwassers bewirken und somit tatsächlich zum Hochwasserschutz beitragen. Aber: Ein voller Schwamm kann kein Wasser mehr aufnehmen, das lernt man schon in der Grundschule. Und beim 2024er-Hochwasser waren die Landschaft und die Moore voll. Im Raublinger Gemeindegebiet sind etwa 300 Keller vollgelaufen. Das brachte große Umwelt-, Öl- und Privatschäden mit sich.
Hätte das Ihrer Meinung nach verhindert werden können?
Neiderhell: Bei den Höhenfestlegungen für die Siedlungsgebiete am Rande der Moore wurde nicht berücksichtigt, dass die Grundwasserspiegel in diesen Bereichen durch den Torfabbau erst abgesenkt und dann durch die Wiedervernässung wieder erhöht wurden. In der Raublinger Siedlung „Am Ammer“ beispielsweise lief im Juni 2024 das Wasser direkt aus dem Wald in die Keller. Ich bin der Meinung, dass das durch kluge Bauleitplanung hätte verhindert werden können. Ich selbst habe Anfang der 1990er-Jahre in Kleinholzhausen in der Nähe des Litzldorfer Bachs ein Haus gebaut. Nach den Vorgaben des Landratsamtes als Baugenehmigungsbehörde musste ich meinen Keller 20 Zentimeter tiefer ins Erdreich graben als geplant. So ging es damals übrigens vielen Bauherren. Diese 20 Zentimeter beeinflussen meine Lebensqualität aber noch heute, denn bei Unwettern lebt meine Familie immer mit der Angst vorm Hochwasser.
Sie erwarten also von den Gemeinden und Genehmigungsbehörden, dass sie vorausschauender planen?
Neiderhell: Vorausschauender und flexibler. Man muss in Siedlungsgebieten, deren Grundwasserspiegel durch Moore beeinflusst und durch Renaturierung erhöht wird, eine andere Gebäudehöhe erlauben. Dann braucht man keinen Keller. Früher hat man in solchen Situationen höher rausgebaut, mit Stufen zum Eingang hin. In der Retrospektive war die damalige Praxis des Bauamtes unverantwortlich.
Die Bayerischen Staatsforsten haben die weitere Renaturierung der Hochrunstfilze auf Drängen der Nicklheimer verschoben. Ist das ein erster Schritt für mehr Miteinander und mehr Sicherheit?
Neiderhell: Ich hoffe es. Zumindest kann so anhand der vorhandenen Messpegel und der Kontrolle der Grenzgräben analysiert werden, wie sich der Grundwasserspiegel entwickelt. Und nach der Analyse kann entschieden werden, ob weiter aufgestaut wird oder nicht. Schließlich geht es um die Existenz vieler Familien und Hausbesitzer in der Nachbarschaft. Im Schadensfall tragen sie allein die Verantwortung und die Kosten. Viele von ihnen haben keine Elementarversicherung und können nach vergangenen Hochwassern auch keine mehr abschließen.
Sie wohnen an einem Wildbach und besitzen Wald an der Grenze zur Sterntaler Filze. Sie sind also doppelt betroffen. Warum investieren Sie trotzdem in die Natur?
Neiderhell: Wir sind Naturfreunde, haben uns die Pflege unseres Waldes seit Jahrzehnten zum Hobby gemacht und allein in den letzten Jahren 530 Bäumchen gepflanzt. Jetzt drängt der Biber vor und wir sehen die Gefahr, dass er unsere Pflegemaßnahmen wieder zunichtemacht. Meiner Meinung nach sollten die Schäden, die der Biber anrichtet, wieder stärker in den Fokus rücken. Er wird immer nur als das schützenswerte Tier dargestellt. Und wenn ein Mensch einen Biberdamm entfernt, klingt das in den Medien so, als würden irgendwelche Personenschäden geahndet. Dabei leben wir hier im dicht besiedelten Industriestaat Deutschland und nicht am Amazonas. Das heißt, alles sollte sich mit Maß und Ziel entwickeln dürfen: Tier, Pflanzen und Menschen.
Der Biber steht unter Schutz. Wird ein Biberdamm ohne Genehmigung zerstört, ist das eine Straftat. Was würden Sie daran ändern?
Neiderhell: Naturschutz und angemessene Artenerhaltung sind wichtig, keine Frage. Der Biber war bis vor einigen Jahren vor allem in den Inn-Auen und am Altwasser daheim. Die Tiere haben sich durch den strengen Schutzstatus deutlich vermehrt, dadurch wandern sie jetzt auch an unseren Bächen hoch. Ich bin viel in der Natur und denke, dass es bereits deutlich zu viele sind. Für das Gleichgewicht unseres Ökosystems sind Pflanzen und Tiere wichtig. Bäume sorgen für saubere Luft und frisches Wasser. Pflanzen filtern Kohlenstoffdioxid aus der Luft und lagern es als Kohlenstoff ein. Mit einem bestimmten Wildverbiss muss man zwar rechnen. Doch durch den aktuellen Bestand des Bibers in unserer Region entstehen zu große Schäden entlang der Bäche, werden Wiesen unterhöhlt, Bäume und Sträucher gefällt. Dadurch geht wichtiger Lebensraum für unsere Vogelwelt verloren. Deshalb sollte der Biber genauso wie anderes Wild der Jagd unterstehen. Aufgabe des Jägers wäre es dann, für das Gleichgewicht in unserer Natur zu sorgen.
Ist der Wald im Moor eigentlich noch ein Erlebnis für den Menschen?
Neiderhell: Auch der Mensch hat ein Recht auf Natur. Aber das wird oft vergessen. Nicht weit vom Biberdamm entfernt – direkt am Moorlehrpfad der „Moorerlebnisstation Sterntaler Filze“ – werden seit Jahren keine kaputten Bäume mehr entnommen. Seit langem gibt es dort entwurzelte Bäume und schwere, in sich hängende, verfaulte Bäume. Dort spielen aber auch viele Kinder. Sie klettern auf den Bäumen herum, bauen Lager. Ich halte das für sehr gefährlich und absolut unverantwortlich. Es ist ein Moorlehrpfad, der zum Entdecken auch links und rechts der Wege förmlich einlädt. Das finde ich auch richtig, denn schließlich sollen unsere Kinder den Wald ja kennenlernen dürfen. Doch in diesem Fall sind meiner Meinung nach nicht nur die Eltern für die Sicherheit ihrer Kinder verantwortlich. Hier müssen vor allem die Verantwortlichen der Moorerlebnisstation für mehr Sicherheit sorgen.


