Am Landgericht Traunstein
Hanna-Prozess: Verteidigerin Rick startet Generalangriff auf Zeugen aus der U-Haft
Tag 28 im Mordprozess um den gewaltsamen Tod von Hanna W. am Landgericht Traunstein: Zwei Sachverständige sprachen Klartext. Verteidigerin Rick startete einen Großangriff auf einen Hauptzeugen. Und das Gericht setzte eine Frist.
Aschau/Traunstein – Der 28. Prozesstag war noch keine 20 Minuten alt, da hatte sich die Unfallthese sozusagen im Wasser der Prien aufgelöst. Prof. Dr. Andreas Malcherek, Gutachter für Wasserdynamik, und Prof Dr. Jiri Adamec, sein Kollege aus der Rechtsmedizin in München, waren erneut geladen. Ihre Schlüsse, zusammengefasst: Hannas Verletzungen sind durch das Dahintreiben in der Prien nicht wirklich darstellbar.
Hannas Verletzungen: Die Prien kann sie nicht verursacht haben
Gutachter Prof. Dr. Andreas Malcherek sagte es nach eingehender Untersuchung auch des letzten Rechens in der Prien bei Kaltenbach: Durch ein Dahintreiben in dem Hochwasser führenden Fluss lassen sich die symmetrischen Brüche an Hannas Schulterdächern auch an diesem letzten Hindernis nicht erklären. Schon wegen der Abstände der Stäbe des Rechens, der Treibgut aufhalten soll: Hanna habe eine Schulterbreite von 31 Zentimetern gehabt, die Stäbe seien aber gut 60 Zentimeter auseinander.
Die Verletzung einer Schulter: vielleicht noch möglich durch die Folgen des Treibens in der Prien. Die Fraktur der zweiten Schulter: ausgeschlossen, der Körper hätte sich nach dem ersten Aufprall gedreht und wäre mit dem Unterarm oder noch tiefer gegen die Eisenstange gestoßen. Auch die Verletzungen am Kopf seien nicht auf den Absturz über eine Stufe in der Prien zurückzuführen. Ebenso die Kopfwunden: Durch Wasserwalzen, Wellen oder dergleichen könnten sie kaum entstanden sein.
Gerichtsmediziner: Gesamtbild der Verletzungen entscheidend
Auch Rechtsmediziner Prof. Jiri Adamek äußerte sich bei seinem dritten Auftritt während dieser Verhandlung klar: Es sei nicht vorstellbar, dass das Dahintreiben in der Prien die Verletzungen in dieser Kombination verursacht haben könne. Jede einzelne Verletzung – die fünf Rissquetschverletzungen am Kopf, die gebrochenen Schulterdächer, der gebrochene Halswirbel – könnte für demnach mit einiger Anstrengung noch als Treibeverletzung interpretiert werden. Aber das Gesamtbild, die Kombination der Verletzungen spreche gegen die Folgen eines Unfalls und des Dahintreibens im Hochwasser. Das fasste er noch klarer zusammen, als er das zuletzt formuliert hatte.
Auch den Größenunterschied lässt der Gutachter nicht gelten
Kann ein nicht einmal durchschnittlich groß gewachsener Heranwachsender eine 1,86 Meter große junge Frau zu Boden gerissen haben? Nichts, was von Gutachterseite auszuschließen ist. Auch Ricks Versuche, den Größenunterschied geltend zu machen, verfing nicht - im Gegenteil. Professor Adamec streckte zur Demonstration die Arme aus: „Selbst wenn Sie 20 Zentimeter kleiner sind, sind Sie, wenn Sie die Hand ausstrecken, weit über dem Kopf des anderen.“ Adamec äußerte auch, dass die Geschwindigkeit, mit der Hannas Körper durch die Prien getragen wurde, nicht hoch genug gewesen sei, die Verletzungen zu erklären.
Das Gericht arbeitet Beweisanträge ab
Es sind Beweisanträge der Verteidigung, die das Gericht nunmehr abarbeitet. Mal mit mehr, oft mit weniger Überzeugung, was die Begründung angeht. Aber immer genau und ernsthaft. Da fragte Richterin Jacqueline Aßbichler auch mal im Sinne der Verteidigung.
Es ging dabei um die entscheidenden, die fatalen Minuten des frühen Morgens des 3. Oktober 2022. Hanna W. soll kurz nach halb drei Uhr morgens ums Leben gekommen sein. Der Angeklagte Sebastian T. dürfte um 2:42 Uhr, ins Heimnetzwerk eingeloggt, auf seinem Smartphone „Clash of Clans“ gespielt haben. Vom mutmaßlichen Tatort unweit des Clubs „Eiskeller“ zu seinem Elternhaus sind es etwas über 600 Meter, kein Problem, das laufend in vier Minuten zurückzulegen. Also fragt die Verteidigung: War er schon in den Minuten davor im Internet zugange? Das ließe sich eventuell anhand der Benutzerkonten nachprüfen. Darum fragte Aßbichler Vater und Mutter des Angeklagten um die Zugangsdaten. Die Eltern verweigerten diese aber ohne Rücksprache mit einem Rechtsbeistand.
Rechtsanwältin Rick startet Großangriff auf Hauptzeugen
Zu entscheiden sein wird am kommenden Donnerstag, 1. Februar, auch noch über weitere Anträge der Verteidigung. Ein Antrag zielt darauf hinaus, die Glaubwürdigkeit der Schwester der Hauptbelastungszeugin zu erschüttern. Die hatte behauptet, dass Sebastian T. bereits am Abend des 3. Oktober 2022 eine verräterische Frage gestellt habe: Ob sie wüssten, dass „heute“ in Aschau eine junge Frau umgebracht worden sei? So früh hatte noch nicht einmal die Polizei abschließend geklärt, ob es sich um ein Gewaltverbrechen handelte. Und auch der Tatort Aschau dürften nur Ermittler und Täter gekannt haben. Schließlich war Hannas Körper vom mutmaßlichen Ort des Angriffs zwölf Kilometer weit von der Prien mitgerissen worden.
Regina Ricks Hauptangriff am Dienstag (30. Januar) galt allerdings dem JVA-Zeugen. Der hatte kurz nach Prozessbeginn mitteilen lassen, dass Sebastian T. ihm während der U-Haft die Tötung von Hanna gestanden habe. Rick trug Auszüge der Unterlagen vor, die den Prozessbeteiligten im Selbstleseverfahren überlassen worden waren. Demnach habe der Zeuge gestanden, Kinder durch falsche Behauptungen zu sexuellen Handlungen getrieben zu haben. Rick verlangte Blätter unter anderem der Prozessakten, die sie noch nicht habe einsehen können. Ein kritischer Punkt des Prozesses: Die Aussage des Mithäftlings von Sebastian T. stellte sich im Laufe der Verhandlung als vermutlich größte Bedrohung für die Verteidigung heraus.
Wann geriet Hannas Smartphone ins Wasser?
Zudem will sie geklärt haben, mit welcher Verzögerung der Temperaturfühler eines Smartphones den Abfall der Temperatur registriere. Hanna W. hatte um 2:32.09 Uhr noch einen Notruf getätigt. Wenige Sekunden darauf sank die Temperatur des Smartphones rapide. Die Ermittler gehen davon aus, dass dieser Temperatursturz den Zeitpunkt markiert, an dem das Handy ins Wasser des Bärbach gelangt ist. Doch wird sich womöglich nie mehr sagen lassen, ob Hanna tatsächlich zusammen mit ihrem Smartphone ins Wasser gestürzt ist. Wie viele Sekunden einem Täter zur Verfügung gestanden hatten, seinen Angriff auszuführen, wird sich kaum mehr berechnen lassen. Sicher scheint nur, dass Hanna kurz nach ihrem Notruf in Bärbach oder Prien ertrank.
Viele Beweisanträge wird die Verteidigung nicht mehr stellen können. Richterin Aßbichler drückte am 28. Prozesstag nochmals auf die Tube: Vom Gericht her sei man mit der Beweisaufnahme durch. Bis 8. Februar müssen die letzten Beweisanträge verfasst und abgegeben sein.