Amtsgericht Rosenheim
Persönliche Angriffe bei Prozess gegen Corona-Demo-Organisatorin – mit kurioser Wendung am Ende
64 Zeugen, vier Beweisanträge: Diese Forderung stellte die Verteidigerin nach sechs Stunden Verhandlung am Amtsgericht Rosenheim. Es ging um Ordnungswidrigkeiten bei Corona-Demos 2021. Ein Prozess mit wirren Fragen, persönlichen Angriffen und einem Befangenheitsantrag.
Rosenheim – Über sechs lange Stunden wurde Anfang der Woche am Amtsgericht Rosenheim verhandelt. Eigentlich schien es eine klare Sache zu sein. Es ging schließlich „nur“ um drei Ordnungswidrigkeiten, über die die Vorsitzende Richterin Nina Strieder an diesem Tag entscheiden sollte. Doch am Ende des Tages blieben mehr Fragen offen, als noch zu Beginn der Verhandlung. Der Betroffenen, die damals die Versammlungsleiterin war, wird vorgeworfen, bei zwei Versammlungen im Dezember 2021 nicht genug Ordner zur Verfügung gestellt zu haben. Bei den Demonstrationen gegen die damaligen Corona-Auflagen im Mangfallpark Nord haben Polizisten den Mangel an Ordnern mit einem entsprechenden Bußgeldbescheid geahndet, gegen den die beschuldigte Versammlungsleiterin allerdings Einspruch eingelegt hat. Zu den zwei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz kommt dann noch eine Ordnungswidrigkeit wegen Parken auf dem Gehweg hinzu.
Voller Gerichtssaal bei Verhandlung zu Corona-Demos
Im kleinen Gerichtssaal des Rosenheimer Amtsgerichts ist es an diesem Tag voll. Die Beschuldigte hatte zuvor in den sozialen Medien dazu aufgerufen, als Zuhörer zu erscheinen und sie bei der Verhandlung zu unterstützen. Zahlreiche Menschen waren dieser Aufforderung gefolgt – einige mussten aus Platzgründen allerdings draußen bleiben. Noch bevor das Verfahren überhaupt richtig starten konnte, beantragte die Verteidigerin Sibylle Killinger die Aussetzung. Hintergrund: Die Betroffene hatte vor dem Verwaltungsgericht München gegen die Versammlungsbescheide der Stadt Rosenheim geklagt. Daher wollte sie erst dieses Verfahren abwarten. Doch Richterin Strieder machte schnell deutlich, dass sie erst am Ende der Verhandlung über die Aussetzung entscheiden würde. Vor Beginn der Zeugenanhörungen machte die Beschuldigte noch deutlich: „Ich möchte nicht weiter Spielball des Ordnungsamtes sein.“ Zum Parkverstoß erklärte sie, dass sie dort nie geparkt habe.
Der erste Zeuge war ein Polizeibeamter, der bei der Versammlung am 12. Dezember 2021 der Verbindungsbeamte, also der Ansprechpartner des Versammlungsleiters, war und den entsprechenden Bußgeldbescheid ausgestellt hatte. „Meine Erinnerung ist sehr mäßig, da das sehr lange her ist“, macht er gleich zu Beginn deutlich. Seinen Daten zufolge seien bis zum Versammlungsbeginn um 16 Uhr noch nicht die erforderlichen 100 Ordner anwesend gewesen. Seine Ausführungen muss er auf Bitte von Killinger des Öfteren wiederholen. „Entschuldigen Sie, ich war gerade geistig abwesend“, begründete Killinger eine Bitte nach Wiederholung. Manche Fragen wurden mehrmals gestellt – bei anderen war nicht einmal klar, was denn nun die konkrete Frage sein soll. Hier musste Richterin Strieder immer wieder nachhaken.
Am Tag der Versammlung wurden gegen 15.45 Uhr laut Bußgeldbescheid nur 40 Ordner gezählt. Allerdings mussten diese laut Versammlungsbescheid bereits eine Stunde vorab vor Ort sein. Doch Killinger zweifelt hier die Rechtsgrundlage dieser Anordnung an. „Haben Sie sich keine Gedanken gemacht, was die Rechtsgrundlage dafür ist?“, fragt sie den Polizeibeamten. „Wenn es jetzt im Bescheid heißt: ‚Essen Sie morgens kein Müsli‘, müssen Sie sich ja auch überlegen, was die Rechtsgrundlage dafür ist.“
Verteidigung wird persönlich: „Haben Sie ein Alkoholproblem?“
Zum Ende der Anhörung des Zeugen wird Killinger sogar persönlich. Sie zeigt ein Foto des Polizisten ohne Maske bei einer Versammlung – Zusammenhang zum aktuellen Verfahren besteht bei diesem Bild keiner. „Hier wird eine Gefahr vorgegeben, die angeblich bestehen soll. Sehen Sie sich als Polizist weniger ansteckend?“, fragt Killinger. Doch damit nicht genug. „Man muss eine gewisse persönliche Veranlagung haben, um so vorzugehen.“ Der Beamte entgegnet hier nur, dass es bei dem Verfahren nicht um Maskenverstöße gehe. Doch Killinger bohrt weiter nach: „Ich will wissen, ob Sie ein Alkoholproblem haben“, fragt sie und begründet dies damit, dass sie eine „Persönlichkeitsstörung“ ausschließen möchte. Es sei merkwürdig, wenn man immer andere Personen belasten wollen würde. Der Polizist verneinte dies und stellte es der Verteidigerin frei, sich etwaige Auskünfte bei seinem Vorgesetzten zu holen.
Schließlich wurden noch zwei weitere Polizeibeamte zu den beiden anderen Ordnungswidrigkeiten in den Zeugenstand gerufen. Von der Versammlung am 8. Dezember 2021 berichtete der Polizist, dass „Störungen nicht behoben werden konnten, weil nicht genug Ordner vor Ort waren“. Sogar Pyrotechnik sei an diesem Abend gezündet worden. Im Anschluss folgten vier weitere Zeugen, die bei den Versammlungen vor Ort und selbst als Ordner tätig waren. Doch als es um die genaue Anzahl der Ordner ging, mussten die Zeugen passen. Schließlich sei das Geschehen auch schon über zwei Jahre her.
Befangenheitsantrag gegen Richterin: „Grob despektierliches Verhalten“
Nach der Anhörung der Zeugen stellte Killinger vier Beweisanträge. Sie forderte die Verlesung mehrerer Artikel aus dem Grundgesetz, sowie die Verlesung des gesamten Infektionsschutzgesetzes. Außerdem forderte sie die Anhörung von 64 weiteren Zeugen und sie beantragte ihre eigene Vernehmung als Zeugin. Zudem rügte sie, dass die Ladung aller Zeugen an diesem Tag nicht ordnungsgemäß war. Es fehlte die „Bezeichnung eines konkreten Tatvorwurfs, wodurch sich die Zeugen nicht auf die Anhörung vorbereiten konnten“, sagt Killinger. Dies sei eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. „Können Sie dafür eigentlich auch einen Bußgeldbescheid bekommen?“, fragt Killinger die Richterin schließlich. „Das ist ja viel schwerwiegender als alles, was wir bisher gehört haben.“
Die Beweisanträge lehnte Richterin Nina Strieder letztlich ab, da diese „zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich“ seien. Auch die Aussetzung des Verfahrens lehnte sie ab. Killinger hatte allerdings noch einen Antrag in petto – mit Folgen für den Ausgang des Verfahrens an diesem Tag. Sie stellte einen Befangenheitsantrag und begründet diesen unter anderem damit, dass die Ablehnung der Aussetzung des Verfahrens rechtswidrig sei. Auch den Sitzungsaushang an diesem Tag nimmt sie in ihre Begründung mit auf. Killinger zufolge wird hier der Fall als Strafsache betitelt. Dies sei ein „grob despektierliches Verhalten“. Ein Blick auf den Aushang bestätigt dies allerdings nicht. Dort ist klar und deutlich von einer Ordnungswidrigkeit die Rede. Auch von Seiten des Amtsgerichts Rosenheim heißt es im Nachgang auf OVB-Nachfrage: „Aus unserer Sicht war der Sitzungsaushang korrekt und es wurde erkennbar, dass der Termin Ordnungswidrigkeiten und nicht eine Strafsache betrifft.“ Mit dem Befangenheitsantrag ist auch klar, dass an diesem Tag keine Entscheidung fallen wird. Sollte der Antrag abgelehnt werden, wird schließlich am 25. März das Urteil fallen.