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Eine Schicht im Blaulicht-Milieu

Alkoholiker tyrannisiert Familie: Was eine Reporterin auf Streife mit der Wasserburger Polizei erlebt

Auf Streife: Redakteurin Anja Leitner mit dem stellvertretenden Polizei-Chef Christian Gollwitzer.
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Auf Streife: Redakteurin Anja Leitner mit dem stellvertretenden Polizei-Chef Christian Gollwitzer.

Häusliche Gewalt und Suizid-Androhung: Redakteurin Anja Leitner war mit der Wasserburger Polizei auf Streife. Was die Reporterin erlebt hat und wie es sich anfühlt, verhaftet zu werden.

Wasserburg - Schichtbeginn um 12.30 Uhr: Christian Gollwitzer, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Wasserburg, wartet schon auf mich. Er hat heute das Vergnügen mit mir, der neugierigen Reporterin, auf Streife zu gehen. Das ist zumindest der Plan. Doch Gollwitzer warnt mich schon vor: „Heute ist es anscheinend sehr ruhig. Manchmal ist gar nichts los und dann bricht auf einmal die Hölle über uns herein“, sagt der 46-Jährige. Langweilig sei es aber nie. „Wir haben immer was zu tun. Wenn wir nicht zum Einsatz müssen, erledigen wir Papierkram oder fahren Streife“, erklärt er.

Wir gehen in den Aufenthaltsraum der Polizeiinspektion und warten auf den ersten Einsatz. In der Ecke steht das Funkgerät, das sich immer mal wieder meldet. Doch für die Wasserburger Kollegen ist nichts dabei, erklärt Gollwitzer.

Kurzerhand festgenommen

An seinem Gürtel sehe ich Waffe, Handschellen und Schlagstock. Wie es wohl ist, festgenommen zu werden? Kurzerhand probiere ich es aus. Die Handschellen sind kalt und schwer, sehen auch schon mehrfach benutzt aus: Das Metall ist stumpf, überall sind kleine Kratzer zu erkennen. Gollwitzer zeigt mir, wie er Täter damit festnimmt. Ein Schlag mit den Eisen aufs Handgelenk, schon bin ich gefesselt. Er arretiert die Schellen, damit sie nicht weiter einrasten. „Es gibt auch einen bestimmten Griff, falls sich jemand gegen die Festnahme wehrt. Das ist dann sehr schmerzhaft“, erklärt er.

Kurz mal festgenommen: Redakteurin Anja Leitner in Handschellen.

Festgenommene kommen in die Arrestzelle im Untergeschoss. In dem kleinen, kühlen Raum ist ein Bett mit Matratze und Decken. Es gibt noch eine Toilette aus Stahl, das war´s. Ich setze mich auf die Liege, es ist eigentlich ganz bequem. Doch mit der Gemütlichkeit ist es schnell vorbei, wenn sich die Insassen nicht benehmen. „Dann werden Matratze und Decken weggenommen und die Gefangenen sitzen auf dem blanken Gestell“, erklärt Gollwitzer. Auch die Toilettenspülung funktioniert nicht. Nach dem Geschäft wird ein roter Knopf gedrückt, der sich über dem Klo befindet. Damit werden die Beamten in der Station informiert. Dann erst wird gespült - von außerhalb. „Es gibt Leute, die sonst die Toilette verstopfen und den Raum fluten“, sagt der stellvertretende Polizei-Chef.

Redakteurin Anja Leitner hinter schwedischen Gardinen: Im Untergeschoss der neuen Polizeiinspektion Wasserburg befindet sich die Arrestzelle.

Einsätze, die im Gedächtnis blieben

Weiter geht es in den ersten Stock. Dort befindet sich Gollwitzers Büro. Der 46-Jährige ist vor drei Jahren nach Wasserburg gekommen, davor war er in München stationiert. 2016 war er beim Amoklauf im Olympia-Einkaufszentrum dabei, 2022 beim G7-Gipfel in Elmau. Der Polizist hat schon viel erlebt. „Es gibt nichts, was es nicht gibt“, sagt er. Welche Erlebnisse sind ihm besonders eindrücklich im Gedächtnis geblieben? Er denkt nach, sieht dabei nach oben an die Decke. „Da gibt es viel“, berichtet er. „Ich weiß noch, dass wir zu einer Suizid-Androhung einer 13-Jährigen gerufen worden sind. Als wir ankamen, ist sie mir von der Brücke direkt vor die Füße gesprungen“, sagt er. „Ein anderes Mal sind mein Kollege und ich Streife gefahren. Wir sind gerade um die Ecke gebogen, da haben wir zwei Gestalten wahrgenommen, eine davon lag am Boden. Als wir dort ankamen, wollte einer der beiden gerade flüchten, wir konnten ihn aufhalten. Auf der Erde lag seine Frau, verletzt mit 20 Messerstichen. Sie verstarb noch vor Ort“, so Gollwitzer.

Doch es gibt auch gute Erfahrungen: „Wenn ich jemanden festnehmen kann, ist das für mich etwas Schönes“, sagt er lachend. „Das hört sich so an, als wäre ich nur zufrieden, wenn ich Leute einbuchten kann. Das stimmt so nicht“, erklärt er. „Aber: Wenn ich einen Ehemann wegsperren kann, der immerzu seine gesamte Familie terrorisiert, dann macht mich das glücklich.“

Christian Gollwitzer, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Wasserburg an seinem Schreibtisch.

Einsätze des Tages

Dann der erste Einsatz für mich an diesem Tag: Es ist 14.43 Uhr. „Ein Mann in einer Betreuungseinrichtung droht mit Suizid“, sagt Gollwitzer. Er bleibt ganz ruhig, zieht währenddessen seine Jacke an. Wir gehen zum Auto und fahren zum Einsatzort in Wasserburg. Auf dem Weg dorthin ziehen wir viele Blicke auf uns. Ich bin erst verwundert, dann fällt mir wieder ein: „Ach ja, ist ja ein Streifenwagen.“ Im Inneren des Gefährts merkt man davon wenig. Nur der Funk ist zu hören, im Cockpit gibt es ein paar Knöpfe mehr und auf der Beifahrerseite steckt eine orange Kelle, auf der zu lesen ist „Halt Polizei“. „Dass die Leute schauen, fällt mir schon gar nicht mehr auf“, meint Gollwitzer. „Anfangs schon. Als ich angefangen habe, Streife zu fahren, war ich so stolz - praktisch drei Köpfe größer“, sagt er lachend.

Als wir ankommen, sind die Kollegen schon vor Ort. Der Mann, der angedroht hat, sich umzubringen, ist stark alkoholisiert. Eine Betreuerin bringt uns rein und erklärt die Lage: „Er hat immer wieder gesagt, er will nicht mehr. Er bringt sich um“, erklärt sie ruhig, aber sichtlich mitgenommen. „Er hat sich von seiner Aussage nicht distanziert, da haben wir keine andere Wahl, als die Polizei zu holen und ihn ins Inn-Salzach-Klinikum einzuweisen“, erklärt sie. Das weiß auch der betrunkene Mann, der laut der Betreuerin 2,7 Promille hat, und dem langsam dämmert, dass er nun von den Beamten in die Klinik eskortiert wird. „Nein, nein“, sagt er immer wieder. „Ich will nicht“. Doch ihm bleibt keine Wahl. Die Polizisten führen ihn zum Bus, der Mann steigt ein. Einer der Beamten fährt hinten mit.

Die Polizisten eskortieren den alkoholisierten Mann von der Erstaufnahme zur Station des Inn-Salzach-Klnikums.

Der Betrunkene bleibt ruhig, es kommt zu keinen Handgreiflichkeiten. Laut Gollwitzer „nicht selbstverständlich“. Er selbst habe auch schon „eine gezimmert“ bekommen, weil er die Situation unterschätzt habe. „Von jetzt auf gleich rasten die Leute aus, wehren sich mit Händen und Füßen. Das muss man sich immer vergegenwärtigen“, verdeutlicht er. Nach der Aufnahme des alkoholisierten Mannes und der Unterbringung in der Station - bei der die Beamten zur Eskortierung des Patienten dabei bleiben - fahren wir zurück zur Inspektion.

Der nächste Einsatz lässt nicht allzu lange auf sich warten: Um 17.03 Uhr werden wir zu einem Vorfall von häuslicher Gewalt gerufen, ebenfalls in Wasserburg. „Die Adresse kennen wir schon, das könnte Herr Müller (Name von der Redaktion geändert) sein“, meint der stellvertretende Polizeichef. Im Wagen erklärt Gollwitzer, dass Herr Müller als gewalttätiger Alkoholiker bekannt sei, der seit Jahren seine Familie tyrannisiere. Deswegen wären auch zwei Streifen dabei, da es schon oft zu Handgreiflichkeiten gekommen sei.

Im vierten Stock des Gebäudes erwartet uns bereits die Nachbarin. Sie habe Schreie bei den Müllers gehört. Sie deutet auf die gegenüberliegende Wohnungstür. Die Beamten klopfen bei der Familie, es öffnen eine Frau im mittleren Alter und ihre heranwachsende Tochter.

Die Beamten fragen nach, was passiert sei. Zwei der Polizisten gehen in den hinteren Teil der Wohnung, um mit Herrn Müller zu sprechen und ihn zu beruhigen, die anderen bleiben im Eingangsbereich stehen. Die Tochter erklärt, dass die Schreie von ihr gekommen seien, weil der Vater „sehr nahe“ an sie herangetreten sei. Sie habe Angst bekommen und angefangen zu kreischen. Die Mutter tritt ein paar Schritte zurück, sie humpelt schwer. „Da ist mir mein Mann auf den Fuß getreten“, sagt sie. Sie erklärt den Beamten, dass ihr Gatte einen Prozess vor sich habe und deswegen heute schon „zwölf Halbe“ getrunken habe. „Außerdem hat er noch nichts gegessen. Deswegen benimmt er sich so“, versucht sie ein Verhalten zu erklären. Die Tochter schüttelt langsam den Kopf. „Ich halte das nicht mehr aus“, sagt sie mehrfach. „Was ist das an Ihrem Hals?“, fragt einer der Polizisten und deutet auf rote Stellen im Dekolleté der Frau. Sie erwidert, sie habe Ausschlag. Wieder schüttelt die Tochter fast unmerklich den Kopf. „Du verteidigst ihn immer“, wirft sie der Mutter vor.

Die Polizei spricht weiter mit der Ehefrau, eine Anzeige gegen ihren Mann lehnt sie ab. Müller selbst verhält sich ruhig. „Dann können wir weiter nichts machen“, sagt Gollwitzer. Die Polizei rückt wieder ab. Unten angekommen, beraten sich die Beamten kurz. „Da müssen wir heute mit Sicherheit noch einmal kommen“, meint einer der Kollegen. Die anderen nicken zustimmend. Unverrichteter Dinge fahren wir zurück zur Wache.

Schichtwechsel um 18 Uhr: Nach und nach treffen die Kollegen der Nachtwache ein, manche sehen noch ein wenig verschlafen aus. Die Polizisten besprechen, was heute auf der Inspektion los gewesen ist. Da es ein ruhiger Tag war, gibt es nicht viel zu erzählen. „Wir waren vorher beim Müller“, berichtet Gollwitzer. „Da werdet ihr bestimmt nachher noch einmal hinfahren müssen.“ Sämtliche Beamte im Raum nicken. Müller ist jedem bekannt - und auch andersrum. Der Wasserburger kenne jeden Polizisten mit Vornamen, so die Beamten.

Damit geht mein Tag bei der Polizei zu Ende. Obwohl heute wenig los war, weiß ich: Das wäre kein Beruf für mich. Die einzelnen Schicksale der Leute gehen mir viel zu nahe. Die von Ehemann Müller tyrannisierte Familie und das Schicksal des Betrunkenen kann ich lange nicht vergessen. „Das muss man lernen“, sagt Gollwitzer. „Davon muss man sich distanzieren können.“ Für den 46-Jährigen nach 28 Dienstjahren keine große Sache mehr.

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