Akute Lieferengpässe bei Medikamenten
Abgelaufenes Ibuprofen vom Flohmarkt? Experten warnen – und das passiert bei Facebook in der Region
Angesichts von bundesweitem Medikamentenmangels schlug der Präsident der Bundesärztekammer Medikamentenflohmärkte vor und erntete viel Kritik. Wie sehen das Ärzte, Apotheker und Patienten in der Region?
Bernau/ Prien - Einen Akt der Solidarität, nennt es Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, wenn jemand unverbrauchte Fiebermedikamente anderen zur Verfügung stellt. „Wer gesund ist, muss vorrätige Arznei an Kranke abgeben“, sagte Reinhardt dem Berliner Tagesspiegel. „Wir brauchen so was wie Flohmärkte für Medikamente in der Nachbarschaft.“ Das tut der edle Spender freilich nicht ganz umsonst, sondern gegen einen Obolus im Rahmen eines Medikamenten-Flohmarkts. Bundesweit vermeldet das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte 300 Lieferengpässe, davon seien 51 kritisch. Insbesondere bei onkologischen Medikamenten und Fiebersäften für Kinder - also Paracetamol und Ibuprofen. Auch seien viele Medikamente nach Ablauf der Haltbarkeit weiterhin nutzbar, so Reinhardt.
Nach dem aufsehenerregenden Interview ruderte die Bundesärztekammer ein wenig zurück: „Selbstverständlich ist damit kein Flohmarkt‚ im wörtlichen Sinne gemeint. In der jetzigen Infektionswelle sollte man sich im Familien- und Freundeskreis mit nicht-verschreibungspflichtigen, originalverpackten Arzneimitteln aushelfen“, aber bei dem grundsätzlichen Vorschlag bleibe man. Kritik gab es unter anderem von der Bundesapothekerkammer: „Arzneimittel gehören in Apotheken, nicht auf den Flohmarkt – schon gar keine abgelaufenen Arzneimittel“, warnte der Präsident Thomas Benkert. Und auch der Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Andreas Gassen, wies den Vorschlag zurück: „Wir warnen davor, gebrauchte oder gar abgelaufene Arzneimittel im Nachbarschafts- oder Freundeskreis zu tauschen oder abzugeben.“
Es drohen harte Strafen
Rechtlich ist ein Medikamenten Flohmarkt freilich schwierig: Nach § 95 des Arzneimittelgesetzes kann derjenige, der „ein Arzneimittel in den Verkehr bringt oder bei anderen anwendet“ mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden. Sollte es sogar gesundheitsgefährdend sein, dann drohen bis zu zehn Jahre Haft.
Aber abseits des juristischen Aspekts gibt es auch andere gute Gründe, Medikamente nicht einfach irgendwo zu kaufen: „Das ist alles andere als unbedenklich“, sagt Eva Tesar von der Marienapotheke in Prien. Und gerade das Beispiel Ibuprofen hat es in sich: Wer blutdrucksenkende Mittel nehme, erklärt sie, und dann Ibuprofen, der könne zum Beispiel Nierenprobleme bekommen. „Wir haben nicht ohne Grund die Beratungspflicht“, hält Tesar fest. Auch abgelaufene Medikamente sollte man nicht einfach so nehmen, das ist ja kein Joghurt, der hinten im Kühlschrank steht und bei dem man erkennt, ob er noch gut ist. Medikamente können sich zersetzen und dabei können giftige Stoffe bleiben, erklärt Tesar. Auch Resistenzen könnten sich ausbilden.
Apotheken als Vermittler mit Expertise?
Die Bernauerin Heike D., die anonym bleiben will, steht dem Vorschlag von Klaus Reinhardt grundsätzlich positiv gegenüber - mit einer Einschränkung. “Nachbarschaftshilfe kann viel Positives bewirken. Dennoch denke ich nicht, dass die Leute jetzt untereinander ihre Herzmittel tauschen sollten.” Statt rein privater Tauschbörsen schlägt sie vor: “Es wäre doch sinnvoll, wenn Leute Medikamente, die sie selbst nicht mehr benötigen oder die abgelaufen sind, zurück zur Apotheke bringen. Und dann kann der Apotheker diese ja kostenfrei oder gegen eine kleine Gebühr an Kunden abgeben.” So bleibe die notwendige fachliche Beratung gewährleistet, so die dreifache Mutter.
Das ist allerdings für die Apotheken wohl kaum machbar. Schließlich können sie nicht gewährleisten, ob die Medikamente wirklich, die sind, für die sie jemand ausgegeben hat. Im Fall der Fälle wären sie rechtlich haftbar - kein Risiko, das eine Apotheke eingehen würde.
Auf Facebook ist es längst soweit
Die Realität sagt sowieso, dass Medikamente bereits fröhlich hin und her getauscht werden. Nicht gleich auf dem Flohmarkt, aber zumindest in der Nachbarschaft und unter Freunden. Wer wurde im Büro oder von Gästen nicht schon mal gefragt, ob er eine Kopfschmerztablette hat? Die Sozialen Medien erhöhen allerdings den Radius weit über Kollegen und Freunde hinaus. In einigen Flohmarkt-Gruppen auf Facebook, gibt es schon mal die ein oder andere Anfrage nach Schmerzmitteln. Auch in Bernau gibt es eine solche Gruppe und am Heiligen Abend suchte eine Familie Schmerzmittel - und fand diese auch prompt.