Ärzte und Apotheker verärgert über „billige Ausreden“
„Spitze des Eisbergs nicht erreicht“: Apotheker warnen vor weiteren Medikamenten-Engpässen
Fiebersaft, Antibiotika, Schmerzmittel: Die Medikamente werden knapp. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt dafür unter anderem den Apothekern Schuld. Warum das für Wasserburger Ärzte und Apotheker „ganz billige Ausreden“ sind.
Wasserburg - Die Medikamente werden knapp. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte wies jüngst darauf hin, dass sich „manche Apotheken und Großhändler die Lager voll machen würden“, was andernorts zu Engpässen führen würde. Das sei besonders bei Fiebersäften ein Problem. Für Kinderarzt Dr. Marko Senjor aus Wasserburg eine „ganz billige Ausrede“. Die Apotheker würden Vorräte anlegen, weil die Medikamente knapp werden, aber „sie sind nicht Schuld am Mangel der Arzneimittel“, verdeutlicht Senjor. „Weil es knapp wird, wird gehortet. Nicht andersrum. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte schiebt den schwarzen Peter den Apothekern und Großhändlern zu“, schimpft er.
Das sieht Tobias Schlosser, Fachapotheker für Allgemeinpharmazie in der St. Jakobsapotheke Wasserburg, ähnlich. „Von Horten kann überhaupt nicht die Rede sein“, sagt Schlosser. Es gebe einfach große Lieferschwierigkeiten bei vielen Medikamenten. Die Großhändler und Lieferanten hätten ein Kontingent von Bestellmengen. „Mehr bekommen wir nicht. Wir verkaufen, was wir da haben. Wenn nichts mehr nachkommt, bleiben die Regale leer“, stellt er fest. Schwer zu bekommen seien nicht nur Fiebersäfte, sondern auch Herzmedikamente, stärkere verschreibungspflichtige Schmerzmittel oder Magenschutzpräparate, so Schlosser.
„Es fehlen 300 essentielle Medikamente“, bestätigt Kinderarzt Senjor. Amoxicillin, Ibuprofen, Paracetamol: Rezepte, die der Arzt täglich mehrfach ausstelle und bei denen die Wirksamkeit seit Jahrzehnten erprobt und erwiesen sei. Doch sie wären schwer zu bekommen, weswegen der Mediziner auf Medikamente zweiter oder dritter Wahl ausweichen müsse. So würden die Patienten „suboptimale“ Antibiotika bekommen. „Wir machen zweitklassige Medizin, weil keine erstklassigen Arzneimittel zu bekommen sind“, klagt der Kinderarzt. Auch der Hinweis des Instituts, bei älteren Kindern von etwa vier bis sechs Jahren Tabletten zu verschreiben, findet Senjor „nicht praktikabel. Die kleinen Patienten können die Pillen nicht schlucken, auch wenn es nur eine Halbe ist“, erklärt er.
Weiter ärgert sich der Kinderarzt über die Aussage des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte, „dass die erhöhte Zahl der Atemwegsinfektionen bei Kindern die Nachfrage hebe“. „Seit Jahrzehnten steigt die Erkältungs- und Grippewelle im Winter an, das ist keine große Überraschung“, meint Senjor. Zwar sei die Anzahl der Atemwegsinfektionen - nach zwei Jahren Corona - höher als sonst, trotzdem „hätte sich das Institut vorbereiten können. Die große Welle war zu erwarten“, sagt er.
Senjor gibt dem Gesundheitsministerium, beziehungsweise der Bundesregierung die Schuld, die sich schleunigst mit den Lieferschwierigkeiten auseinandersetzen müsste. Auch Schlosser hofft darauf, dass die Problematik „oben angekommen“ sei. Er weiß aber auch: „Die Spitze des Eisbergs ist noch nicht erreicht. Im kommenden Jahr werden wir vermehrt mit Engpässen rechnen müssen“, so der Fachapotheker.
Senjor behandelt heuer besonders oft gegen Influenza und RS-Virus. „Grob geschätzt habe ich zwischen 30 bis 50 Prozent mehr Patienten, auch wegen des RS-Virus“, vermutet er. „Die vergangenen beiden Jahre war Corona sehr präsent, es gab deutlich weniger Grippe- und RS-Virus-Fälle. Doch momentan sind viele Patienten daran erkrankt“, so Senjor. Er behandle täglich zehn bis 15 Kinder gegen den RS-Virus, „normalerweise sind es vielleicht acht“, schätzt der Arzt. Während der Pandemie seien es etwa drei bis vier Mädchen und Buben mit der Virusinfektion gewesen, im Sommer gar keine. Betroffen seien vor allem Neugeborene oder Babys.