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Wie das Polizeipräsidium Oberbayern Süd gegen Trickbetrüger vorgeht

„Perfide und niederträchtig“ - Polizei im Kampf gegen Schockanrufe

Martin Irrgang, Leiter der KPI Oberbayern Süd und der kriminalpolizeiliche Fachberater Karl-Heinz Busch
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Martin Irrgang, Leiter der KPI Oberbayern Süd und der kriminalpolizeiliche Fachberater Karl-Heinz Busch

Im Kampf gegen Trickbetrüger hat das Polizeipräsidium Oberbayern Süd verschiedene Strategien entwickelt, erklären Vertreter bei einem Termin in Bad Reichenhall. Inzwischen ist klar, wie die Täter organisiert sind. Noch bereitet aber vor allem die Strafverfolgung im Ausland Probleme.

Bad Reichenhall/Rosenheim - Legendenbetrug, Enkeltrick, Schockanrufe oder falsche Polizeibeamte: Es gibt viele Ausdrücke für den sogenannten Callcenter-Betrug. Dabei werden über Anrufe – neuerdings auch über Textnachrichten per SMS und Whatsapp – Menschen in einen Schockzustand versetzt, indem ihnen etwa ein schlimmer Unfall vorgegaukelt wird, den angeblich ein Familienmitglied verursacht hat. Dann wird eine Kaution in Form von Bargeld oder Wertgegenständen gefordert. Der Schaden ist immens. Allein im Gebiet des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd lag er im letzten Jahr bei rund 2,4 Millionen Euro. Bei einem Termin in Bad Reichenhall wird klar: Die Polizei geht gegen diese Art von organisierter Kriminalität mit zwei verschiedenen Maßnahmen vor: Prävention und Repression.

Prävention: Sensibilisierung und Aufklärung

Im Polizeipräsidium Oberbayern Süd gibt es für den Bereich Prävention fünf kriminalpolizeiliche Fachberater. Einer von ihnen ist Karl-Heinz Busch, zuständig für die Landkreise Traunstein und Berchtesgadener Land. Busch hält zahlreiche Vorträge zum Thema Trickbetrug. Allein in diesem Jahr waren es schon 67. Obwohl inzwischen die meisten Menschen – die Polizei spricht von etwa 90 Prozent – über die miese Masche des Telefonbetrugs Bescheid wissen, finden die Täter immer wieder Opfer. Woran liegt das? „Es sind immer die Zufälle“, erklärt Busch. „Da muss man keine 80 sein. Manchmal ist zum Beispiel das Kind gerade 18 geworden und mit dem Auto unterwegs und zu Hause liegt im Moment ein größerer Geldbetrag.“ Wenn dann der Anruf zu einem Unfall kommt, schrillen die Alarmglocken.

Daher heißt es für Busch weiter aufklären und sensibilisieren, wo es nur geht, sei es über Flyer, Plakataktionen, Social Media oder das Infomobil. Zudem werden bei neuen Anrufwellen die Medien und Banken mit an Bord geholt. Erst am 20. September hat das Polizeipräsidium in Bad Reichenhall symbolisch ein neues Geldkuvert an die Banken und Sparkassen übergeben, auf dem Warnhinweise stehen. Es soll als „letztes Dazwischengrätschen“ eingesetzt werden, wenn Kunden ihr Sparkonto leerräumen möchten. Zur Prävention zählt auch die Justiz. Inzwischen werden sehr hohe Haftstrafen bei Prozessen zum Callcenter-Betrug verhängt, was andere Täter abschrecken soll.

Repression: Strafverfolgung von Callcenter-Betrügern

Allein in diesem Jahr gab es in der Region bisher 1500 versuchte Schockanrufe, 20 davon gelangen. Der Schaden lag bei rund 500.000 Euro. Im Bereich falsche Amtsträger – also Kriminelle, die sich als Staatsanwälte oder Polizeibeamte ausgeben – waren zehn von 370 Versuchen erfolgreich. Der Schaden hier: 120.000 Euro. Die Dunkelziffer wird deutlich höher angenommen, denn viele trauen sich oft aus Scham nicht, Anzeige zu erstatten.

„Während die falschen Polizisten abnehmen, nimmt der Enkeltrick massiv zu“, erklärt Martin Irrgang. Bei ihm laufen die Fäden zum Trickbetrug in der Region zusammen, denn er ist Leiter der KPI Oberbayern Süd. Seine Aufgabe und die der Mitarbeiter seiner Dienststelle ist die Repression, also die Strafverfolgung. In diesem Jahr wurden 20 Täter überführt, 16 davon kamen aus dem Bereich Schockanruf, vier gaben sich als falsche Amtspersonen aus.

Wie die Polizei konkret gegen die Täter vorgeht, darf Irrgang zwar nicht verraten, damit „die Gegenseite nicht profitiert.“ Er spricht jedoch von einem „intelligenten Fahndungskonzept“, das zu deutlich mehr Aufklärungen und Festnahmen führe. Er will nur so viel verraten: „Menschen machen Fehler, und die nutzen wir. Aber die Gegenseite lernt auch ständig dazu.“

Klare Struktur der Tätergruppierungen

Über die Struktur solcher Callcenter ist Irrgang dann auskunftsfreudiger. „Beim Schockanruf sitzen die überwiegend in Polen, während die falschen Amtsträger in der Türkei angesiedelt sind.“ Eine solche Betrüger-Gruppierung bestehe aus etwa 20 bis 30 Leuten: Die, die im Callcenter die Anrufe tätigen, dann diejenigen, die den Transfer und die Logistik übernehmen und zuletzt natürlich die Abholer, die man noch am ehesten erwischt, weil sie sich am Tatort aufhalten. Die Abholer gäben meist an, gutgläubig gehandelt und nicht gewusst zu haben, was sie da abholen. Doch vor Gericht habe die Masche meist keinen Erfolg mehr.

Die Täter sprächen dabei sehr gut deutsch, häufig sogar Dialekt und hätten „keinerlei Unrechtsbewusstsein. Man schadet ja nicht der eigenen Bevölkerung und denkt, dass die Leute eh genug Geld haben und keinen Schaden davon tragen.“ Irrgang zeigt sich froh, dass nach der Überführung von Tätern inzwischen sehr hohe Strafen erfolgen und nennt diese Art von Betrug ein „perfides, niederträchtiges Kriminalitätsphänomen.“

Die internationale Zusammenarbeit gestaltet sich schwierig

Der Kampf gegen den Callcenter-Betrug ist für Irrgang und seine Kollegen sehr zeitintensiv und anstrengend, denn hinter jedem Fall stecken akribische Ermittlungen. Ein großes Problem ist hierbei die internationale Zusammenarbeit. „Es gibt zwar die Rechtshilfe, aber die ist sehr langwierig“, sagt er.

Rechtshilfe ist die die Unterstützung und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Polizeibehörden oder Justizsystemen, normalerweise in verschiedenen Ländern. Typischerweise beinhaltet die Rechtshilfe den Austausch von Informationen, Beweisen, Zeugenaussagen oder die Überstellung von Verdächtigen oder verurteilten Straftätern. Sie ist ein wichtiges Instrument im Kampf gegen grenzüberschreitende Kriminalität, da sie es den Ermittlungsbehörden ermöglicht, Informationen und Ressourcen von anderen Ländern zu nutzen, um Straftäter zu verfolgen und zur Rechenschaft zu ziehen.

Neben der langen Behördenwege zwischen den Ländern gibt es ein weiteres Problem: „Beide müssen den Willen haben.“ Zusammen mit den Münchener Kollegen sei es zwar gelungen, in der Türkei ein Callcenter auszuhebeln. Selbst hier sei die Zusammenarbeit mit der Türkei nicht leicht gewesen und „die Masche geht dort dennoch weiter. Aber in Polen ist uns das bis dato noch gar nicht gelungen.“ Das Land scheint nicht besonders an einer Zusammenarbeit interessiert zu sein, obwohl dort auch Senioren per Telefon abgezockt werden.

Prävention als wichtigstes Instrument

Werden Täter überführt, sind häufig das überreichte Geld und die Wertgegenstände weg. Nur vereinzelt komme es vor, dass in einem durchsuchten Auto oder einer Wohnung dann doch noch Schmuck und Bargeld auftauchen. „Das sind dann die schönen Momente“, freut sich Irrgang. Gerade Wertgegenstände hätten neben dem materiellen auch noch einen hohen emotionalen Wert.

Fast alle der Geschädigten geben an, vom Phänomen Trickbetrug gehört zu haben. „Aber sie sagen dann, dass sie in dem Moment des Anrufs einfach nicht daran gedacht haben“, so Irrgang. Was kann man tun, um die Bevölkerung noch mehr zu sensibilisieren? „Wir müssen mit der Warnung irgendwie ins Haus, vielleicht mit einem Reminder am Telefon.“ Zudem plant das Polizeipräsidium Oberbayern Süd, demnächst auch Warnhinweise auf Semmeltüten zu drucken, damit das Thema generationenübergreifend quasi auf den Frühstückstisch kommt. „Repression allein reicht nicht, der Haupthebel ist die Öffentlichkeitsarbeit und die Prävention“, erklärt Irrgang. Der Fachberater Karl-Heinz-Busch gibt hierzu als abschließenden Tipp bei einem einschüchternden Anruf: „Leg auf! Und ruf nicht zurück, sondern wähle die 110!“

mf

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