Ältere Dame erhielt „Schockanruf“
„Dachte mir gleich, da stimmt was nicht“ – Taxifahrer rettet Reichenhallerin vor 30.000-Euro-Abzocke
Die Tochter habe beim Autofahren aufs Handy geschaut und eine rote Ampel übersehen, dabei sei eine Frau tödlich verletzt worden. - Eine Schocknachricht für die ältere Bad Reichenhallerin. Nun solle sie eine Kaution hinterlegen. Schnell setzt sie alle Hebel in Bewegung, um zu helfen. Nicht ahnend, dass sie auf den sogenannten Enkeltrick hereingefallen ist. Dass die Betrugsmasche vereitelt wird, hat sie einem aufmerksamen Taxifahrer zu verdanken, der genau richtig reagiert.
Bad Reichenhall – Der Taxifahrer Stefan Heigenhauser kennt die ältere Dame schon länger vom örtlichen Bäcker, bei dem die beiden öfter sitzen. Sie ruft ihn am 5. Juli 2022 an, da sie dringend ein Taxi benötigt. Als Heigenhauser nach zehn Minuten noch nicht bei ihr ist, ruft sie erneut an und macht Druck. „Sie hat aber dann nicht draußen auf mich gewartet. Als sie die Haustür geöffnet hat, habe ich bemerkt, dass gleichzeitig ihr Haustelefon und ihr Handy läuteten“, erklärt Heigenhauser. Schließlich machen sich die beiden auf den Weg. Zur Bank soll es gehen. „Im Auto haben wir dann ein bisschen geredet. Da meinte sie, mit ihrer Tochter ist etwas passiert und sie muss Geld abheben, weil sie für sie etwas bezahlen muss. Ich dachte mir gleich: Da stimmt etwas nicht. Man hört das ja immer wieder, dass Betrüger so vorgehen und sagen, dass etwas passiert ist und sie Geld fordern.“ Der Taxifahrer fährt die Dame anstatt zur Bank direkt zur Polizeidienststelle. - Und verhindert damit, dass die Frau um 30.000 Euro betrogen wird. Für sein aufmerksames Verhalten hat die Polizei den Fahrer nun am 4. Mai geehrt. - Und zwar deswegen erst nach einem Dreivierteljahr, da bei der Bekanntmachung keine Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft mehr laufen dürfen.
Immer die gleiche Masche bei sogenannten Schockanrufen
„Diese Betrüger, oder wie ich lieber sage: diese Grattler sind in der Gesprächsführung sehr geschickt“, erklärt Hauptkommissar Karl-Heinz Busch von der kriminalpolizeilichen Beratungsstelle. Die Masche ist immer dieselbe: Die Kriminellen suchen im Telefonbuch gezielt nach Namen der älteren Generation. Beim Anruf geben sie sich dann als Polizisten oder Staatsanwälte aus und erklären, dass ein Familienmitglied etwas Schlimmes getan – etwa einen Unfall verursacht – hat und nun eine Kaution bezahlt werden muss. Mit ihrer Fragetechnik können sie schnell herausfinden, ob sich Geld, Schmuck oder Gold im Haus befinden oder bei der Bank hinterlegt sind. Ein Übergabeort wird vereinbart, falsche Beamte zeigen gefälschte Dienstausweise und schon ist alles weg.
„Die Schäden sind oft existenzbedrohend“, sagt Peter Huber, Polizeichef der Dienststelle von Bad Reichenhall. Während der Schaden im Jahr 2021 im Gebiet des Polizeipräsidiums Oberbayern Südost noch bei 607.000 Euro lag, stieg er im Jahr 2022 auf 2,392 Millionen Euro. Die Dunkelziffer schätzt man auf das Zwei- bis Vierfache. Dass gerade so viele ältere Leute auf den Trick hereinfallen, liegt laut Busch auch am hohen Respektempfinden gegenüber Autoritäten. „Sie hören die Worte Polizei, Staatsanwalt oder Gefängnis und sind gleich eingeschüchtert.“
Wie geht die Polizei dagegen vor?
Laut Huber gibt es regelmäßige Wellen, bei denen ein bestimmter Vorwahlbereich abtelefoniert wird. Gehen mehrere Meldungen zu Schockanrufen bei der Polizei ein, wird zunächst die Presse informiert, um die Bevölkerung zu warnen. Zudem wird eine Warn-Mail an die örtlichen Banken geschickt, damit die Servicemitarbeiter ihre Kunden auf einen möglichen Betrug ansprechen können, bevor sie das Geld herausgeben. Zudem können die Banken ihren Kunden ein Infoblatt der Polizei aushändigen. Dort sind sieben Fragen aufgelistet. Wenn man auch nur eine davon mit einem Ja beantworten kann, wird empfohlen, noch einmal Rücksprache mit der Bank und der Polizei halten.
Wird ein konkreter Betrugsfall gemeldet, versucht die Polizei, „erst einmal den Weg des Geldes nachzuvollziehen. Die Banken bringen uns aber an die Grenzen“, so Huber. Denn Online-Konten mit ID-Verfahren kann man auch mit einem gefälschten Personalausweis eröffnen. Bei den Tätern spricht Huber von zwei Phänomenbereichen: Es gibt zum einen Gruppen, die von Polen aus agieren und zum anderen von der Türkei aus. Bei den Anrufen sprächen sie perfekt deutsch, manchmal sogar auch Mundart. Zur Geldübergabe werden manchmal auch ahnungslose Lieferanten beauftragt. Zur Aufklärungsrate kann Huber zwar keine Zahlen vorlegen, er betont aber, dass die Strafen hoch seien. So hätte letztes Jahr ein Haupttäter aus Polen zehn Jahre und acht Monate Haft bekommen. Ihm konnten zwölf Fälle nachgewiesen werden.
Wie kann ich mich und andere schützen?
Busch gehört zu den kriminalpolizeilichen Fachberatern und hat in letzter Zeit jede Menge zu tun. Von Mitte Januar bis Ende April hat er in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land 47 Vorträge allein zum Thema Trick- und Legendenbetrug gehalten. „Dabei ist die Präventionsarbeit so wichtig“, bekräftigt er. Neben den Banken versucht er nun auch, Taxifahrer, Ärzte und Apotheker zu sensibilisieren, also Menschen, denen andere ihre Nöte mitteilen. Auch plant er, das Thema Trickbetrug bei höheren Schulklassen zu platzieren. „Denn Oma und Opa gehen zum Enkel, wenn sie am Smartphone etwas nicht verstehen.“ Busch spielt hier auf die Masche an, dass man per SMS oder WhatsApp eine vermeintliche Nachricht von Kindern oder Enkeln bekommt und eine neue Telefonnummer mitgeteilt wird, die man anrufen soll. In seinen Vorträgen teilt Busch wertvolle Tipps mit, mit denen man sich und andere schützen kann:
- Private Telefonnummern sollten nicht im öffentlichen Telefonbuch stehen. Die Polizei hat auch Formulare, mit deren Hilfe man seine Nummer löschen lassen kann.
- Einige Anrufe kommen von einer gefälschten 110-Nummer. Die Polizei ruft selbst nie unter der 110 an. Zwar soll das Problem seit etwa fünf Wochen nicht mehr bestehen, dennoch sei es gut zu wissen.
- „Leg auf! Vorsicht: Trickbetrug!“ ist eine Kampagne der Polizei. Oftmals wird versucht, die Opfer stundenlang am Telefon zu halten. Mitunter können die Täter auch recht forsch, beleidigend und einschüchternd werden. Niemand muss sich das gefallen lassen. Daher am besten einfach auflegen.
- Grundsätzlich gilt: Nicht einschüchtern lassen, keine Auskünfte geben, niemanden in die Wohnung lassen, keine unbekannten Nummern zurückrufen und gegebenenfalls Anzeige erstatten.
- Die 110 anrufen. Hat man einen sogenannten Schockanruf erhalten oder kommt einem sonst etwas verdächtig vor, ist immer die erste Wahl die 110 und nicht die Nummer der örtlichen Polizeidienststelle, denn dort könnte man auch in einer Warteschleife landen. Während das Telefonat über die 110 läuft, können sich schon alle Einsatzkräfte, die den Funkspruch hören, in Bewegung setzen.
- Auch Randpersonen, die im Gespräch etwas von einem möglichen Schockanruf auffangen, können die Kette unterbrechen, indem sie die Menschen ansprechen und wie Heigenhauser mit ihnen zur Polizei gehen.
- Kinder und Enkelkinder sollen ihre Lieben über die Gefahren sensibilisieren.
„Meldungen zu Schockanrufen haben wir mehrmals wöchentlich“, so Busch. „Jeder Jeder Fall, den wir verhindern können, ist ein guter Fall“, erklärt Kollege Huber. Der Fall von der älteren Dame ist dank des aufmerksamen Taxifahrers noch einmal gut ausgegangen, auch wenn die Täter bislang nicht ermittelt werden konnten. Die Dame hat Heigenhauser als Dankeschön für sein couragiertes Eingreifen noch zu Kaffee und Kuchen eingeladen.
mf
