Aufwendiger Einsatz
Gilt „Natur, Natur sein lassen“ nicht mehr? „Zoltan“ zwingt Nationalpark Berchtesgaden zum Handeln
Ein Helikopter im Dauereinsatz, fliegende Bäume, Warnschilder, abgesperrte Wanderwege und Parkplätze: In den vergangenen Tagen war einiges los im Nationalpark Berchtesgaden. Passenderweise zu einer Jahreszeit, in der sowieso nicht viele Besucher kommen und das Wetter auch wenig einladend ist, denn: Das Sprichwort „Zeit ist Geld“ trifft den Arbeitseinsatz rund um den Hintersee und das Klausbachhaus besonders gut. Doch warum bleiben die vielen durch Sturmtief „Zoltan“ entwurzelten Bäume nicht einfach liegen, wenn das Motto des Nationalparks doch „Natur, Natur sein lassen“ lautet?
Ramsau - Die mächtigen Windwürfe kurz vor Weihnachten sorgten für zahlreiche entwurzelte Bäume, vor allem am Hintersee und rund um das Klausbachhaus. Am markantesten und deutlichsten war der Schwerpunkt am Fuße des Hochkalters entlang der Staatsstraße 2099. Daniel Müller, der stellvertretende Leiter des Nationalparks, sprach damals kurz nach dem Sturm und einem ersten Überblick über die Lage davon, dass eine groß angelegte Aufarbeitung erst nach dem Winter stattfinden könne. Jetzt ist es so weit: Mit einem mehrtägigen Helikopter-Einsatz werden aktuell die „Zoltan“-Folgen abgearbeitet.
Auf etwa 1200 bis 1300 Festmeter schätzt der Förster Christian Heyer die Menge an Sturmholz, die mit dem Hubschrauber zu den Sammelplätzen transportiert wird. „Das Problem sind vor allem die vielen kleinen Standorte“, erklärt er, „die verteilt im Nationalpark liegen.“ Auch dort wurden Bäume durch kleinere Windwürfe entwurzelt oder umgeknickt, doch diese Stellen können nicht mit einem Schlepper oder einer Seilbahn erreicht werden. Deshalb bleibt dem Nationalpark nichts anderes übrig, als eine Spezialfirma zu beauftragen.
Alles muss passen
Denn die Bäume aus dem Gelände zu befördern, ist im wahrsten Sinne Schwerstarbeit. Über ein Dutzend Forstarbeiter müssen an den betroffenen Standorten die Bäume, teilweise ineinander verkantet, für den herannahenden Hubschrauber zum Abtransport vorbereiten. Der Pilot, der zusammen mit seinem Team von der Schweizer Firma Rotex angereist ist, muss sich stundenlang konzentrieren. Immer wieder fliegt er die Gebiete mit dem Sturmholz an, lässt seine hydraulische Seilwinde hinab, greift sich mehrere Bäume und fliegt diese zu den Sammelplätzen aus.
Auch das Wetter müssen er und sein Team im Auge behalten: Wenn die Witterung zu extrem und zu gefährlich wird, brechen sie den Einsatz ab. Die gesamte Maßnahme verlangt von allen Beteiligten viel Schweiß, Konzentration und vor allem eine gute Koordination. Absprache ist das A und O.
Einsatz für die benachbarten Wälder
Doch warum muss das Holz überhaupt aus den Wäldern raus? Lautet das Motto des Nationalparks etwa nicht mehr „Natur, Natur sein lassen“? In diesem Fall gilt das nur noch bedingt. „Wir sind dazu verpflichtet, uns darum zu kümmern, weil sich der Borkenkäfer natürlich in dem Sturmholz einnisten kann und die Käferpopulationen dann auf die umliegenden Privatwälder übergreifen“, so der Leiter. Das wolle man vermeiden, daher diene der ganze Aufwand zum Schutz der benachbarten Gebiete. Dafür nimmt der Park viel Geld in die Hand.
„Grob geschätzt kostet die Maßnahme zwischen 150.000 bis 200.000 Euro netto“, so Heyer. Pro Flugminute liegt der Preis bei circa 82 Euro. Den letzten vergleichbaren Einsatz gab es 2019 bei einem großen Lawinenabgang an der Halsalm, dem viele Bäume zum Opfer fielen. „Wir versuchen, die Anzahl solcher Einsätze so niedrig wie möglich zu halten, aber es gibt immer wieder Ausnahmejahre“, erzählt Werner Vogel, schon seit über 20 Jahren Revierleiter und zuständig für das Gebiet rund um den Hintersee. Das Sturmholz müsse einfach aus den Wäldern raus. „Und wir können es nicht länger liegen lassen und noch ein paar Monate warten. Das muss jetzt erledigt werden.“
Einschränkungen dienen der Sicherheit
Eigentlich sollte der Einsatz nur von Montag bis Mittwoch andauern, doch das Wetter verlängerte die Maßnahme um mindestens einen Tag. Das bedeutet auch, dass die Einschränkungen für Parkbesucher länger andauern: Mehrere Wanderwege und Parkplätze müssen gesperrt werden, von den Lärmbelästigungen ganz zu schweigen. Die Sicherheitsmaßnahmen sind notwendig - zu groß ist das Risiko, dass sich beim Flug doch etwas löst.
Doch mit dem Transport zu den Sammelstellen ist die Arbeit noch nicht getan: Das Holz muss entrindet werden, damit sich die Borkenkäfer im Inneren nicht mehr weitervermehren. Das Problem: Es gibt immer weniger Unternehmen, die solche Arbeiten übernehmen. „Über die vergangen Jahre ist es immer schwieriger geworden, solche Firmen überhaupt noch zu finden“, berichtet Heyer. Das liegt auch daran, dass sich die Unternehmen schwerer tun, Arbeitskräfte aus dem Ausland zu finden. Und dann kommt noch das Dolmetschen hinzu - für manche Betriebe einfach zu viel Aufwand.
Aus der Not eine Tugend gemacht
„Wir kriegen auch deshalb so schwer Unternehmer, weil wir hier bei uns in Südbayern am Alpenrand sehr wenige Borkenkäfer haben. In Nordbayern herrscht das Gegenteil, daher verteilen sich die Firmen mehr auf diese Gebiete“, erzählt Vogel. Im Nationalpark sind die Mitarbeiter erfinderisch geworden und haben aus der Not eine Tugend gemacht: Statt die Bäume komplett zu entrinden, ritzen sie mit einem Aufsatz auf einer Motorsäge schmale Schlitze in die Rinde. Der Effekt ist derselbe: Durch die Austrocknung können sich die Borkenkäferpopulationen nicht fertig entwickeln.
Auf lange Sicht werden die Schädlinge aber trotzdem vermehrt ihren Weg in die Wälder im Berchtesgadener Land finden. Zwar schützen die steilen Felswände und Gebirge die Wälder vor dem Insekt. Doch die Folgen des Klimawandels sind schon längst spürbar, wie Vogel bestätigt. „Wir müssen uns sicherlich darauf einstellen. Pflanzen wandern in höhere Lagen, das Frühjahr wird tendenziell wärmer und trockener, was natürlich die Ausbreitung des Borkenkäfers begünstigt.“ Dementsprechend werden auch die Bestände der Fichten immer mehr reduziert. Schreckensbilder wie aus anderen Gegenden in Deutschland erwarten die Förster im Nationalpark aber nicht. „Wir sind trotzdem noch auf der Insel der beinahe Glückseligen“, berichtet der Revierleiter.
Die Natur sich selbst überlassen
Da es sich nur um kleine Flächen handelt, in denen der Nationalpark den Borkenkäfer aktiv bekämpft, wird auch künftig weiterhin das Motto „Natur, Natur sein lassen“ durchgeführt. Davon machte sich erst vor wenigen Wochen die Grünen-Politikerin aus dem Landtag, Katharina Schulze, bei ihrem Besuch selbst ein Bild: An mehreren Stellen im Nationalpark wurden vom Borkenkäfer befallene oder vom Sturm beschädigte Baumflächen testweise sich selbst überlassen. Das Ergebnis: Nach mehreren Jahrzehnten zeigt sich, dass sich die Natur von selbst erholt und sogar eine höhere Artenvielfalt und Biodiversität an diesen Stellen herrschen.
Ein Modell für andere Wälder außerhalb des Nationalparks? Heyer stimmt dem zu. „Mit der Wiederbewaldung auf Kahlflächen tut man sich extrem schwer. Wenn der Borkenkäfer einmal draußen ist, geht von ihm keine Gefahr mehr aus. Wenn man das Totholz liegen lässt, anstatt es mit schweren Maschinen aus dem Wald zu holen, ist das besser für den Boden. Für Käferholz sind die Aufwandskosten mittlerweile fast größer als die Erlöse, da kann man es auch gleich liegen lassen.“ Auch für das Mikroklima und die Pflanzenwelt sei diese Vorgehensweise besser.
Und zeitlich kommt es aufs Gleiche hinaus: Bei einer Wiederbewaldung kommen laut Heyer erst Brombeeren und verschiedene Gräser, ehe sich die jungen Bäume durchsetzen. „Die tun sich viel leichter beim Wachsen, wenn das Totholz ihnen Schutz bietet.“ So oder so, es vergehen mehrere Jahrzehnte, bis die Bäume wieder mehrere Meter Höhe gewonnen haben. Und wenn ein Borkenkäfer einmal im Forst ankommt, ist es meistens sowieso schon zu spät.



