Aus dem Nationalpark Berchtesgaden
Oft auf allen Vieren unterwegs: Dr. Sebastian König über seine Faszination für Heuschrecken
Als Sebastian König mit dem Opa auf dem Mähdrescher saß, da bestaunte er immer die vielen flinken Grünen Heupferde. „Ich fand es toll, wenn sie umhergeflogen sind“, sagt der Biologe von der TU München, der im Nationalpark Berchtesgaden für das Biodiversitätsmonitoring verantwortlich ist. Als Nahrungsmittel kommt sie ihm aber nicht auf den Tisch.
Berchtesgaden – Flip, den Grashüpfer aus Biene Maja, kennt so ziemlich jeder. Basierend auf dem Kinderbuch „Die Biene Maja und ihre Abenteuer“ aus dem Jahr 1912 ist Flip einer der berühmtesten Grashüpfer-Vertreter in Deutschland – und durchaus beliebt bei jenen, die heute schon längst erwachsen sind. Auch Sebastian König fand Flip immer ganz gut. Heuschrecken gelten allgemein aber nicht unbedingt als Sympathieträger: „Es gibt Regionen auf der Welt, in denen Heuschrecken destruktiv unterwegs sind“, sagt der Wissenschaftler. Dort springen sie nicht nur auf der Almweide herum, sondern sind auslöschende Plagen mit unersättlichem Appetit. Wanderheuschrecken etwa vernichten in gewissen Erdteilen große Ernten, führen zu Leid und massiven wirtschaftlichen Schäden. Das ist die eine Seite.
„Heuschrecken sind meine absoluten Lieblingstiere“
Die andere ist Sebastian Königs ganz persönliche Faszination für die uralten Tierchen, die es seit mehr als 300 Millionen Jahren gibt und die schon damals prähistorische Wälder mit ihrem Gesang erfüllt haben müssen. Heuschrecken sind meine absoluten Lieblingstiere“, sagt König und lacht. Ins Nationalparkzentrum in Berchtesgaden hat er zum letzten Wintervortrag drei Peruanische Pferdekopfheuschrecken mitgebracht, die an einen laufenden Zweig erinnern. Er hält „das Geschenk eines Freundes“ in einem Terrarium bei sich im Büro. Der Biologe arbeitet für den Lehrstuhl für Ökosystemdynamik und Waldmanagement an der TU und forscht im Nationalpark Berchtesgaden rund um Insekten und Co.
Der 30-Jährige befasst sich schon seit langer Zeit mit den Heuschrecken dieser Welt - und seit rund sieben Jahren mit jenen aus dem Berchtesgadener Land. Die des Nationalparks Berchtesgaden hat er dabei ganz besonders im Blick. Schon als Sechsjähriger bestaunte er die Heuschrecken mit dem Opa, dann machte er sich selbst auf die Suche, knipste Fotos, verfasste Notizen und steckte sie in ein Terrarium.
Weltweit gibt es rund 28000 Heuschrecken – Orthoptera ist der wissenschaftliche Name dafür. Laut Naturschutzbund Deutschland existieren in Deutschland gerade einmal 86 Arten. Mehr als die Hälfte ist so selten, dass sie auf der Roten Liste der gefährdeten Tiere steht. Im Nationalpark Berchtesgaden gibt es einige, die nirgendwo sonst im Land leben, weiß Sebastian König. Sie leben in den Tälern Berchtesgadens, oben in den Bergen, an bestimmten Stellen rund um den Königssee. Das Merkmal, das viele Menschen zum Aufhorchen bringt, sind die Melodien, die sie verbreiten. Für Sebastian König ist es die „Melodie der Alpen“, ein durchaus „komplexer Gesang“, der in ihm Frühlingsgefühle weckt. „Der Gesang motiviert mich“, sagt der 30-Jährige. Das Singen der Heuschrecken wird als Stridulation bezeichnet, ein wissenschaftliches Phänomen, das bei den meisten Heuschrecken durch das Aneinanderreiben der Hinterbeine mit den Flügeln erzeugt wird – „wie bei einem Waschbrett“. Es dient der Abwehr von Fressfeinden, aber auch zur Anlockung von Weibchen.
Almflächen stehen besonderen Fokus
Im vergangenen Jahrhundert war Berchtesgaden wenige Male Teil der Forschungen von Orthoperologen, die hier auf Ausschau gingen und Exemplare sammelten, die nun in der Zoologischen Staatssammlung in München zu bestaunen sind. „Für Insektenforscher ist der Ort ein sehr besonderer“, weiß Sebastian König, der sein Forschungsfeld im südöstlichsten Zipfel Bayerns schätzt. Almflächen stehen dabei im besonderen Fokus.
Auch wenn die Heuschrecken nur ein kleiner Teil seiner Biodiversitätsforschungen ausmachen, sind sie doch von besonderem Interesse, weil auf hochmontanen und subalpinen Flächen spezielle Arten auftauchen, oft mit spektakulärer Namensgebung: der Warzenbeißer auf der Bindalm etwa. Oder die Sibirische Keulenschrecke, die mit ihren „Popeye-Armen“ den Weibchen immer zuwinkt. Die Alpen-Strauchschrecke, die Alpine Gebirgsschrecke, der Nachtigallgrashüpfer, die für ihre Klicklaute bekannte Sumpfschrecke oder die Rotflüglige Schnarrschrecke, die im Flug einen Schmetterling imitiert – zur Räuberverwirrung. Der Klimawandel beschäftigt die Heuschrecken-Forscher zunehmend. Denn Erhebungen aus dem Berchtesgadener Land zeigen, dass ein Wandel der Gesellschaften stattfindet. Thermophile, also höheren Temperaturen zugeneigte Arten, „gewinnen über lange Zeiträume“, thermophobe Arten nehmen ab. Die Lebensräume sind oft verinselt, weil nicht jede Art mobil ist und diese deshalb nur in kleinen Gebieten vorkommen.
„Man sieht mich oft auf allen Vieren auf einer Weidefläche“
Im Jahr 2017 gelang den Orthopterologen eine Neubestätigung für Deutschland, direkt am Königssee, „eine besondere Überraschung“: Der Südalpen-Nachtigall-Grashüpfer, der mit seinen roten Hinterschienen nur in felsigen Bereichen vorkommt. Solche Funde spornen auch Sebastian König an.
Mit Streifnetzen und Keschern ist der Heuschreckenforscher häufig unterwegs, manchmal erfasst er Lang- und Kurzfühlerschrecken auch nur auditorisch oder im Isolationsquadrat. „Man sieht mich oft auf allen Vieren auf einer Weidefläche. Ich bin in der Lage, das tagelang zu tun“, sagt er mit einem Schmunzeln.
kp
