Chronisches Fatigue-Syndrom im Fokus
Mit nur 34 Jahren: Mehmet Cetin ist neuer Chefarzt im Medical Park Loipl
„Ich wollte entweder Profi-Fußballer werden oder Arzt. Es ist dann leider doch nur der Arzt geworden“, scherzt Mehmet Cetin bei unserem Besuch im Medical Park Loipl. Der gebürtige Halleiner war bisher in der Bischofswieser Reha-Klinik als leitender Oberarzt tätig und hat am 1. April Peter Rieckmann als Chefarzt abgelöst – eine Erfolgsgeschichte. Was ihm besonders am Herzen liegt: Menschen mit dem Chronischen Fatigue-Syndrom zu helfen.
Bischofswiesen - Im Jahr 1971 zieht Cetins Großvater als sogenannter „Gastarbeiter“ von der Türkei nach Österreich. Er selbst besucht das Gymnasium in Hallein und wechselt dann zum Medizinstudium nach Innsbruck. Schnell merkt er, dass ihm besonders die Neurologie liegt. Seine Facharztausbildung macht er in Rosenheim. Für den psychiatrischen Teil wechselt er zeitweise auch in die Klinik in Freilassing. 2019 entdeckt er schließlich die Stellenanzeige des Medical Parks. Er steht zu dieser Zeit zwar kurz vor der Übernahme einer Praxis, entscheidet sich aber dann doch für die Reha-Klinik.
In der Reha-Klinik ist man näher am Patienten
Was er dort besonders schätzt, ist die Tatsache, dass einiges anders läuft als in der Akut-Neurologie. In der Notaufnahme behandle man fast nur Schlaganfall-Patienten, und das wie am Fließband. „Die Patienten müssen sehr schnell entlassen oder auf Reha geschickt werden. Das hat mir irgendwann keinen Spaß mehr gemacht. Hier habe ich gesehen, dass man viel mehr Zeit für den Patienten hat. Man kann mehr mit ihm reden und auf seine Bedürfnisse eingehen. Man kann die Probleme wirklich bearbeiten. Man sieht, dass die Menschen wieder zurück zu den Dingen kommen, die sie lieben.“
Zudem habe man in der Reha mit einem breiteren Spektrum an Krankheiten zu tun, neben Schlaganfällen auch etwa mit Multipler Sklerose (MS) oder Parkinson. „Ein MS-Patient arbeitet in der Regel und kommt nicht zur Akutbehandlung, sondern direkt zur Reha. Auch bei Parkinson-Patienten kann man einiges in der Reha machen. Hier kann man ein Medikament einstellen und man sieht den Patienten am nächsten Tag wieder.“ Ein weiterer Vorteil für Cetin: „Beruf und Familie lassen sich besser koordinieren.“
Das Chronische Fatigue-Syndrom im Fokus
Während seiner Arbeit in der Reha-Klinik stellt der Arzt fest, dass ihm auch Führungsthemen gefallen. Der zweifache Familienvater beginnt daher im Jahr 2022 zusätzlich ein Fernstudium in Nürnberg. Das Masterstudium „Health Business“ hat er gerade erfolgreich abgeschlossen. „Ich war schon als Nachfolger von Herrn Professor Rieckmann vorgesehen, aber nicht so früh“, erklärt er. Da Rieckmann nun doch schneller als erwartet seine Position an Cetin abgegeben hat, stehen nun ein paar Veränderungen an. „Ich werde die Expertise mit MS übernehmen. Herr Rieckmann ist ja weltweit bekannt dafür und eine Koryphäe auf dem Gebiet und hat ein exzellentes, an MS-Erkrankte angepasstes Therapieprogramm etabliert. Dieses möchte ich stetig nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen optimieren und im Bereich der Fatigue ausbauen. Aber ich habe auch noch Projekte von meiner Seite vor.“
Ein besonderes Anliegen ist ihm die neurologische Erkrankung ME/CFS, die vielen erst seit Corona unter dem Namen „Chronisches Fatigue-Syndrom“ bekannt ist. Betroffene leiden nach nur geringer Anstrengung an einer extremen Erschöpfung auch an weiteren Krankheitszeichen wie Kopfschmerzen, grippalen Symptomen, Herzrasen, Benommenheit und Blutdruckschwankungen. CFS kann durch eine Viruserkrankung ausgelöst werden. „Diese Krankheit ist zwar seit den Sechzigerjahren von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt, wurde aber bis vor ein paar Jahren als psychisch abgestempelt. Die betroffenen Menschen haben Probleme mit dem Energiehaushalt. Sie müssen lernen, wie weit sie an die Grenzen gehen können und wann es zu einer Überforderung kommt“, erklärt Cetin.
Im Moment gibt es nur zwei Spezialambulanzen in Deutschland, die die Krankheit behandeln, nämlich eine in München sowie die Charité in Berlin. Doch beide sind völlig überlastet. Vor der Pandemie sind etwa 200.000 bis 300.000 Patienten betroffen gewesen, inzwischen spricht man von 400.000 bis 500.000. Der neue Chefarzt arbeitet daher gerade ein Therapiekonzept aus. „Nur ein Viertel dieser Menschen kann arbeiten. Manche stehen morgens auf, machen Frühstück und liegen dann den ganzen Tag oder sogar wochenlang im Bett. Wir wollen sie wieder in den Beruf bringen. Wir haben dazu eine starke Neuropsychologie im Haus und auch ein sehr gutes Physiotherapie-Team.“
Zugute kommt solchen Patienten auch die besondere Lage der Klinik, die von Bergen umringt auf einer Höhe von 850 Metern liegt. Bewegung in dieser Höhe hat eine positive Wirkung auf Durchblutungsstörungen. Doch die recht steile Anfahrt zur Klinik hat es im Winter in sich. Das hat der Arzt zu Beginn selbst erlebt, wie er lachend erklärt. „Ich hatte ein heckangetriebenes Auto. Zweimal habe ich versucht, hier herauf zu fahren. Das war eine Blamage, weil die Autos hinter mir es geschafft hätten. Aber die mussten wegen mir auch wieder rückwärts runter fahren. Aber sonst ist das eine wunderschöne Gegend. Wir arbeiten da, wo andere Urlaub machen.“
„Eine Pflegekraft macht den Unterschied im Leben eines Patienten“
Im Januar hat Mehmet Cetin erfahren, dass er den Chefposten übernehmen soll. Nervosität sieht man ihm jedoch nicht an. „Ich war schon zuvor als leitender Oberarzt bei vielen Themen dabei“, sagt er. Neben dem Ausbau von Projekten ist er nun auch mit Personalthemen konfrontiert. „Wir konnten kürzlich noch zwei Ärzte anstellen, damit wir eine gute Basis haben.“ Wie überall im medizinischen Bereich fluktuiere auch im Medical Park das Personal, „aber wir halten die Baseline und die Motivation. Eine Pflegekraft macht den Unterschied im Leben eines Patienten.“
Seit 2022 stellt die Klinik auch Pflegekräfte aus den Philippinen ein. Cetin war unlängst selbst Prüfer und betont, dass das Know-How in diesem Land sehr gut sei. Es gehe nun eher darum, die Sprachbarriere abzubauen. Um solche Berufe wieder attraktiver zu machen, ist für ihn klar: „Man muss ganz, ganz früh anfangen. Man muss schon den Kindern klar machen, dass man so Menschen helfen kann. Vielleicht kann es ja auch neben dem ‚Feuerwehrmann Sam‘ die Figur ‚Krankenschwester Sally‘ geben.“
Ein weiterer Ansatz für mehr Personal sind für Cetin Assistenzberufe. Diese Mitarbeiter können sowohl Pflegern als auch Ärzten zur Hand gehen. Die Krankenhausreform werde den Medical Park „auf jeden Fall indirekt treffen, weil sich die Strukturen der Zuweisungen ändern.“ Die Zentralisierung werde dazu führen, dass man sich mehr nach den großen Krankenhäusern richten muss. „Ich bin aber eher dafür, dass man Patienten aus der Region hat, weil ich einen regionalen Versorgungsauftrag sehe“, betont er.
Partizipation statt Integration
Mit seinen 34 Jahren hat Mehmet Cetin schon sehr viel erreicht. Vorurteile wegen seines türkischen Namens erlebt er kaum noch. In Deutschland zähle eher die Leistung. Was ihm aber immer noch auffällt: „Die junge Generation lebt ja schon deutsch. Aber Menschen aus der Migrationskultur haben schon deutlich mehr Schwierigkeiten, Karriere zu machen.“
Er selbst fühlt sich voll integriert, wobei ihm das Wort Partizipation besser gefällt als Integration. „Man muss mitmachen und die Gesellschaft mit entwickeln. Wenn ich jetzt warte, dass mich jemand integriert, dann kann ich jahrelang warten. Man muss auf die Leute zugehen und sozial aktiv werden“, schließt der sympathische Arzt unser Gespräch.
Die Klinikgruppe Medical Park betreibt 13 Fachkliniken und fünf ambulante Reha- und Therapiezentren in verschiedenen Regionen Deutschlands, darunter Bayern, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Mit Schwerpunkten in Neurologie, Orthopädie, Innere Medizin, Geriatrie, Onkologie und Psychosomatik bietet sie medizinische Rehabilitation und Prävention an. Etwa 70.000 Patientinnen und Patienten werden jährlich von rund 3.650 Mitarbeitenden betreut.
mf
