„Hätten bei ‚Wetten, dass …‘ auftreten können“
19 Menschen in Neun-Sitzer gepfercht: Schleuser begeht „Wahnsinnsfehler“ durch TikTok-Anzeige
Im Kampf gegen den drohenden Wohnungsverlust wählt ein verzweifelter Mann einen riskanten Ausweg: Illegale Schleuserfahrten für schnelles Geld! Doch das Abenteuer endet hinter Gittern, wie am Laufener Amtsgericht nun entschieden wurde. Die skurrile Odyssee eines Schleusers.
Walserberg/Laufen – Die Wohnungsräumung vor Augen, sah der 45-Jährige keinen anderen Ausweg mehr: Er reagierte auf eine TikTok-Anzeige, die schnelles Geld versprach. So chauffierte er vier Türken von der serbisch-ungarischen Grenze nach Wien. Einen Tag später lud er 19 türkische Staatsangehörige in einen Neun-Sitzer-Opel, um sie nach Deutschland zu bringen. Diese Taten brachten ihm am Laufener Schöffengericht nun eine Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten.
19 Menschen in Neun-Sitzer wegen TikTok-Anzeige
Der niederländische und türkische Staatsbürger lebt seit 2009 im deutschen Ratingen. Corona soll die Firma seiner Frau, wo der Angeklagte angestellt war, in Schieflage gebracht haben. Anträge und Unterlagen auf Arbeitslosengeld sollen verschwunden oder nicht bearbeitet worden sein. Schließlich stand die Wohnungsräumung an. „Es bestand Gefahr, bald obdachlos zu werden“, schilderte der 45-Jährige im Gerichtssaal die „Notlage“. Per Internet will er dann an den Fahrerjob gekommen sein.
Für die Fahrt der vier Türken nach Wien seien ihm 2000 Euro versprochen worden. Weil er das Geld nicht bekommen habe, wollte er sich sofort selbst darum kümmern. Doch stattdessen gabs einen neuen Auftrag: 19 Türken zu je 500 Euro nach Deutschland zu bringen. Von der Anzahl will der Angeklagte selbst überrascht gewesen sein. „Ich habe nur 12 oder 13 Personen gezählt.“ Genau gezählt haben dann die Beamten am Grenzübergang Walserberg. Geld erhielt der Mann für seine Dienste letztlich keins.
„Hellhäutige sollten vorne sitzen“
„Hellhäutige sollten vorne sitzen“, berichtete eine Polizeihauptkommissarin, 14 Menschen drängten sich auf den beiden Sitzreihen dahinter und drei im Kofferraum, darunter ein unbegleiteter Minderjähriger. Bilder und Verbindungen auf seinem Mobiltelefon bestätigten das umfassende Geständnis des Mannes. Erkenntnisse über weitere Taten hatte die Beamtin nicht finden können, weshalb Staatsanwalt Severin Köpnick nicht von gewerbsmäßigem Handeln ausgehen mochte. In seinem Antrag betonte Köpnick den generalpräventiven Aspekt einer Bestrafung, der Menschen möglichst von solcher Anwerbung abschrecken soll.
Rechtsanwalt Florian Georg Eder würdigte das „überschießende Geständnis“ seines Mandanten, den allein die „Wahnsinnsbelastung“ in dieser Notsituation zu einem „Wahnsinnsfehler“ getrieben habe. „Das Auto wird einfach vollgemacht“, wollte der Pflichtverteidiger eine Verantwortung des Angeklagten für die Überbelegung abmildern, bei dem Minderjährigen sei zweifelhaft, „ob er das wusste“. Eder hielt 20 Monate für ausreichend, beantragte aber ebenfalls keine Bewährung. „Jeder Mensch verdient eine zweite Chance“, bat der 45-Jährige um eine milde Strafe und versprach: „Nie wieder.“
„Hätten bei ‚Wetten, dass …‘ auftreten können“
Vorsitzender Martin Forster kommentierte die Fahrt mit dem „bummvollen Auto“ so: „Mit 20 Leuten im Opel hätten sie bei ‚Wetten, dass …‘ auftreten können.“ Der Richter wertete die Gefahr für die nicht gesicherten Mitreisenden als beträchtlich, denn auch der Bremsweg werde durch das Mehrgewicht „dramatisch länger“. Die drei Richter folgten dem Antrag des Staatsanwaltes und entschieden auf 27 Monate. Forster zeigte dem Niederländer die Perspektiven auf: „Vermutlich werden sie nach Verbüßung der Halbstrafe in die Niederlande abgeschoben und erhalten ein zehnjähriges Einreiseverbot in die Bundesrepublik.“ Der Mann zeigte sich einsichtig und nahm das Urteil an: „Für diese Taten muss ich büßen.“
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