Das muss sich bei Betreuung von Kindern mit Handicap ändern
Fachkräftemangel beim HPZ Piding: „Ich sehe mit Bauchschmerzen in die Zukunft“
Fachkräftemangel – ein Wort, das man inzwischen aus fast allen Branchen hört. Brisant wird er aber da, wo es um die Betreuung von Menschen mit Behinderung geht, insbesondere von Kindern. Das HPZ Piding ist eine Fördereinrichtung im Landkreis Berchtesgadener Land.
Piding – Im Gespräch mit BGLand24.de erklärt die Leitung, was geschehen muss, damit das Arbeiten mit Kindern, die ein Handicap haben, wieder attraktiv wird. „Ich sehe mit Bauchschmerzen in die Zukunft“, sagt Diana Hell. Sie leitet zusammen mit Susanne Korounig die Heilpädagogische Tagesstätte des HPZ. Die Tagesstätte ist stark vom Fachkräftemangel betroffen. Doch woran liegt es, dass es so schwer ist, Personal zu finden? Hell sieht den Hauptgrund in der langen Ausbildungszeit. In der Tagesstätte arbeiten vorwiegend Heilerziehungspfleger (HEP) und Erzieher. Die Ausbildung zum HEP dauert fünf Jahre. „Man macht ja zunächst den Kinderpfleger oder den Heilerziehungspflegehelfer und hat danach auch noch Ausbildungszeit, bis man fertige Fachkraft ist“, erklärt Hell. „Als HEP ist man drei Tage in der Einrichtung und verdient schon etwas Geld. Beim Erzieher ist das Ausbildungsmodell ein ganz anderes. Da ist teilweise wirklich so, dass die Schüler während der Ausbildung nichts verdienen. Viele schrecken da natürlich zurück.“
Was ist das HPZ Piding?
Das Heilpädagogische Zentrum Piding (HPZ) gehört zum Behandlungszentrum Aschau und fördert Kinder mit Entwicklungsverzögerungen sowie geistig und mehrfach behinderte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 0-21 Jahren. Das HPZ teilt sich in verschiedene Bereiche: Die Frühförderstelle bietet Hilfe für Kinder von 0-6 Jahren, wenn Entwicklungsprobleme vorliegen oder vermutet werden. Kindergartenkinder besuchen die Schulvorbereitende Einrichtung. Im Anschluss gehen sie in die Rupertusschule, die sich in Grund-, Mittel- und Berufsschule aufteilt. Am Nachmittag werden die Kinder und Jugendlichen in der Heilpädagogischen Tagesstätte betreut. Hier finden auch medizinische (Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie) und pädagogische Therapien (Psychologie, Heilpädagogik, Kunst- und Musiktherapie, Motopädagogik) statt. Für Kinder, die inklusiv Regeleinrichtungen besuchen, gibt es seitens des HPZ noch den Mobilen sonderpädagogischen Dienst sowie die Mobile sonderpädagogische Hilfe.
Unwissenheit sorgt für Berührungsängste
Ein wenig aufatmen lässt die Leiterin allerdings, dass es nun auch eine Heilerziehungspflegeschule in Traunstein gibt. Zuvor mussten die Schüler nach Wasserburg oder sogar nach Niederbayern fahren. Und auch die neue Fachakademie für Sozialpädagogik in Freilassing wird dem Landkreis mehr Erzieher bescheren. Die langjährige Ausbildung und der damit verbundene finanzielle Aspekt sind aber nur ein Grund. Hinzu kommt, dass viele gar nichts über das Berufsbild wissen. „Gerade in unserem Bereich trauen sich das viele auch nicht zu. Sie sagen gleich: Das könnte ich nicht. Da gibt es eine große Hemmschwelle. Viele gehen auch lieber studieren. Und einige wollen dann nicht mehr so viele arbeiten. Ich glaube, dass sich die Arbeitsmoral in eine andere Richtung entwickelt.“ Für ihre Work-Life-Balance würde vor allem die jüngere Generation weniger Verdienst in Kauf nehmen, ergänzt Korounig, die auch Chefin des Fachdienstes ist. Der Fachdienst kümmert sich um die Therapien im Haus. Dieser ist personell gut aufgestellt, was auch daran liegt, dass es sich bei der Arbeit der 15 Therapeuten im HPZ nicht um Fließbandarbeit handelt. „Die Arbeitsbedingungen in unserem Haus sind ein Zuckerl. In der freien Praxis heißt es: Acht Stunden, acht Patienten. Es gibt bei uns auch die Möglichkeit, dass jemand Teilzeit arbeitet und zusätzlich eine Praxis hat.“
Die Schule hat keinen Fachkräftemangel - noch nicht
Auch in der Schule sieht es in Sachen Personal besser aus als in der Tagesstätte. Das HPZ profitiert hier von der Nähe zu Salzburg. Denn auch Lehrer, die in Österreich studiert haben, können im Förderzentrum arbeiten. Sogar Zweitkräfte wie Kinderpfleger oder Hilfskräfte hat die Schule genug. „Das ist von der Arbeitszeit her attraktiv, weil es eine Vormittags-Arbeit ist“, so Direktor Gerhard Spannring. Dennoch mahnt er, dass es an anderen Förderschulen bereits anders aussehe. Dafür gebe es mehrere Ursachen: „Die Geburten sind zurückgegangen und damit das Angebot an arbeitenden Menschen. Deswegen klagen ja alle Branchen. Der Punkt, der uns weh tut, ist aber vor allem der, dass es keinen Zivildienst mehr gibt. Früher sind viele über den Zivildienst oder das Freiwillige Soziale Jahr hergekommen und dann geblieben. Auch das sonderpädagogische Studium kennt keiner.“ Er selbst wollte ursprünglich Grundschullehramt studieren und sei auch nur durch Zufall dazu gekommen.
Hinzu käme die Unsicherheit, dass man nicht weiß, wohin man nach dem fünfjährigen Studium versetzt wird. „Man wird in ganz Bayern zum Referendariat geschickt und kann später überall eingesetzt werden. Persönlich gesehen ist das eine Katastrophe. Was auch einen ganz schlechten Ruf hat, ist das Referendariat an sich. Viele Leute wollen es sich nicht mehr antun, zwei Jahre lang ‚geknechtet‘ zu werden.“ Zudem gäbe es wenig Flexibilität, seinen Arbeitsplatz frei zu gestalten. Teilzeit werde aufgrund des Lehrermangels fast gar nicht mehr angeboten.
Auch ein Sabbatjahr, das viele junge Leute anstreben, gibt es nicht mehr. „Für eine Schule ist so etwas wie ein Sabbatjahr eine Katastrophe. Ein Kontinuum an den Schulen hat man dann nicht mehr. Das passt auch nicht zur Beziehung zwischen Kindern und Lehrern.“ Wie alle Kinder brauchen vor allem diejenigen, die ein Handicap haben, eine klare Tagesstruktur. Hierzu gehört auch eine gewisse Beständigkeit beim Personal. Die Kinder bekommen im HPZ jeden Tag viele Gesichter zu sehen: Am Vormittag im Kindergarten oder in der Schule, am Nachmittag in der Tagesstätte und dann noch einmal bei den Therapien. Unter einem häufigen Personalwechsel leiden die Kinder dann natürlich.
Quereinsteiger haben es schwer
Die Hürden für berufliche Quereinsteiger sind sehr hoch. Man müsste zunächst als Hilfskraft einsteigen. „Aber sonst ist man dann genauso drei Jahre in der Schule, da wird nichts angerechnet. Die Fachkraftausbildung bleibt die gleiche“, erklärt Hell. Spannring ergänzt, dass der Träger hier aber etwas sehr Gutes plane: „Leute, die sich gut entwickeln, steigen nach einer gewissen Zeit eine Gehaltsgruppe höher, ähnlich wie die Kinderpfleger. Das gab es bisher nicht. Das finde ich eine tolle Geschichte, wenn das so kommt. Gerade in der Schulbegleitung ist das eine schöne Anerkennung. Und die arbeiten auch gut.“ Hell wünscht sich neben einer verkürzten Ausbildungszeit und mehr finanzieller Unterstützung durch den Staat vor allem eines: „Das Ansehen von diesen Berufen müsste einen höheren Status bekommen in der Gesellschaft.“ Beim Besuch der Einrichtung merkt man sofort: Die rund 110 Mitarbeiter leisten für die 80 Kinder und Jugendlichen eine bewundernswerte Arbeit.
Mit chronisch kranken Kindern durch die Pandemie - eine Herausforderung
Das HPZ besuchen auch einige Kinder, die chronisch krank sind. Somit war zu Beginn der Pandemie klar, dass erhöhte Vorsicht geboten ist. „Anfangs herrschte große Unsicherheit und Angst bei den Eltern und Mitarbeitern. Manche Lehrer hatten so Angst, dass sie nicht mehr zu den Kindern hingegangen sind. Das war wirklich furchtbar“, so Spannring. „Wir haben uns auch irgendwann nicht mehr ausgekannt mit den Vorgaben. Wir haben wirklich nicht mehr gewusst, was vom Gesundheitsministerium vorgeschrieben war und was von der Kultusbehörde und was vom Träger.“ Besonders die Umsetzung der Maskenpflicht sei bei den Kindern ein großes Problem gewesen. Auch die Impfpflicht wurde unter einigen Mitarbeitern heiß diskutiert. Mit der Zeit habe sich aber die Notbetreuung immer mehr gefüllt und ein halbwegs normaler Betrieb konnte gewährleistet werden.
Glücklicherweise gab es unter den Kindern keine schweren Verläufe von Covid-19. „Unsere Kinder sind wohl genauso geschützt wie andere Kinder auch. Bei einer Schülerin dachten wir zuerst: Wenn die das bekommt, stirbt sie. Es sind aber alle gut durchgekommen“, freut sich der Direktor. Leider habe es aber unter den Mitarbeitern einzelne schwerwiegendere Fälle gegeben. Drei von ihnen mussten ins Krankenhaus und hatten lange zu kämpfen. Die große Krankheitswelle kam dann erst im letzten Jahr mit dem Ende der Beschränkungen. Die Hälfte der Kinder und der Mitarbeiter war krank. „Ich musste teilweise Gruppen schließen“, sagt Hell. „So langsam beruhigt es sich aber wieder.“
Immer mehr Kinder inklusiv an Regelschulen
Die Psychologin Korounig erklärt, dass sich auch die Klientel im Förderzentrum verändert habe. „Inzwischen geht es sehr stark in die Verhaltensauffälligkeiten hinein. Am Anfang lässt sich oft noch gar nichts über die Schwere sagen. Ist es nur eine Verhaltensauffälligkeit oder eine leichte Behinderung? Viele Eltern, die nicht Komplikationen bei der Geburt hatten, haben ja nicht den ersten Gedanken, dass es sich um eine Behinderung oder Entwicklungsverzögerung handeln könnte.“ Bei Unsicherheiten steht den Eltern hier die Frühförderstelle zur Seite. Während die Kinder in den Förderzentren generell immer mehr werden, ist die Zahl im HPZ allerdings fallend. Spannring führt dies vor allem auf die Inklusion zurück: „Wir haben fast 20 Kinder inklusiv an den Grund- und Mittelschulen. Das sind zwei Klassen, die vor zehn Jahren noch bei uns gewesen wären.“ Wie das HPZ zum Thema Inklusion steht, erfahrt Ihr bald in einem gesonderten Artikel.
mf
