Gedenken an die Opfer des 9. November 1938
„Sind wir unserer Vergangenheit schuldig“: Berchtesgaden gegen Rechts setzt erneut ein Zeichen
Innehalten, an den Schrecken von damals erinnern, an die Opfer gedenken und mahnend auf die Zukunft blicken: Dem Aufruf von Berchtesgaden gegen Rechts zur Gedenkstunde für die Opfer der Reichspogromnacht folgten am Donnerstagabend etwa 150 Teilnehmer. Im Vordergrund stand vor allem eine Botschaft.
Berchtesgaden - Kerzenschein auf dem Weihnachtsschützenplatz und auf dem Weg zum Alten Friedhof. Andächtiges Schweigen bei den Reden. Erinnern an ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte, und die Warnung, es nicht wieder so weit kommen zu lassen: Berchtesgaden gegen Rechts ist es erneut gelungen, ein Zeichen zu setzen, denn zur Gedenkstunde an die Opfer des 9. November 1938 kamen etwa 150 Teilnehmer.
Eine ältere Frau spricht auf dem gemeinsamen Marsch zum Alten Friedhof aus, was wohl viele Menschen in den vergangenen Wochen und Monaten beschäftigt: „Wenn man die aktuellen Umstände verfolgt, wird man hellhöriger. In Berchtesgaden gab es eigentlich nie solche Szenen.” Was sie mit „solche Szenen” meint: den Angriff von „Nazi-Touristen” auf einen Behinderten vor wenigen Wochen.
Chorbeiträge und Reden rüttelten auf
Seitdem versucht Berchtesgaden gegen Rechts, die Bevölkerung zu mobilisieren. Mit Erfolg: Bei einer „Stillen Demo” im September beteiligten sich rund 280 Menschen. Und auch wenn es am Donnerstagabend aufgrund von Dunkelheit und Kälte weniger Teilnehmer waren: Mit dem Zulauf war das Bündnis zufrieden. Und die bewegenden Chorbeiträge und Reden rüttelten zu später Stunde sprichwörtlich wach.
„Wir kommen nicht umhin, mahnend in die Zukunft zu blicken. Wenn wir auf die Schrecken der Vergangenheit blicken, ist es für uns komplett unbegreiflich, dass Menschen jüdischen Glaubens heute wieder Opfer politischer, fremdenfeindlicher, religiös motivierter rechter und antisemitischer Straftaten werden. Dass viele dieser Menschen ihren Glauben nicht mehr öffentlich zeigen wollen, aus Angst vor Anfeindungen und Gewalt”, betonte Michael Gruber von Berchtesgaden gegen Rechts.
Was mittlerweile nicht nur auf der Straße, sondern sogar in den Parlamenten unseres Landes wieder salonfähig ist, macht uns persönlich Angst.
„Das Hass, Hetze und Vorurteile zu Gewalt führen, lässt sich an der Pogromnacht 1938 sehen. Was mittlerweile nicht nur auf der Straße, sondern sogar in den Parlamenten unseres Landes wieder salonfähig ist, macht uns persönlich Angst.” Es gelte in Zeiten vieler Unsicherheiten und Krisen zusammenzustehen, für eine tolerante und pluralistische Gesellschaft. Vorurteile, rechte Hetze und Ausgrenzung müssten von Grund auf untergraben werden. Sie haben keinen Platz in einer modernen und aufgeklärten Gesellschaft, so Gruber.
„Nein sagen zu denen, die unsere Gesellschaft spalten, die diskriminieren und ausgrenzen“
„Wer nicht aus den fatalen Fehlern von damals gelernt hat, läuft Gefahr sie zu wiederholen. Deshalb bitte ich alle: wehret den Anfängen, tretet ein für ein friedliches Miteinander. Traut euch, Nein zu sagen zu denen, die unsere Gesellschaft spalten, die diskriminieren und ausgrenzen. Das sind wir unserer Vergangenheit schuldig, das sind wir den vielen Opfern schuldig”, forderte er zum Abschluss seiner Rede.
Beispiele von Judenverfolgungen im Berchtesgadener Land erläuterte Dr. Andreas Leidinger in seinem Beitrag am Alten Friedhof. Er berichtete, dass Felicitas und Max Moderegger seit 1920 das Strandbad am Königssee betrieben. Felicitas war Jüdin und stammte aus Schlesien. Den gemeinsamen Sohn Rolf erzogen beide katholisch, so Leidinger. „Besonders ab 1933 wurde Familie Moderegger angefeindet und diffamiert. Max musste gegenüber der örtlichen NSDAP schriftlich erklären, seine Frau vom Strandbad fernzuhalten. Sohn Rolf musste als sogenannter Halbjude die Oberrealschule in Passau abbrechen. Die Scheidung von seiner Frau lehnte Max Moderegger ab.”
Nur wenige Stunden für die Flucht
Nach einem Besuch vom Bürgermeister und Ortspolizisten in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde Felicitas gezwungen, den Landkreis bis zum Morgen zu verlassen. Über München flüchtete sie im April 1939 nach Amsterdam. Nach der Besetzung der Niederlande durch die deutsche Wehrmacht 1940 wurde Felicitas ins Ghetto Theresienstadt gebracht. Sie musste dort als Krankenschwester arbeiten. „Felicitas Moderegger überlebte die Kriegszeit und kehrte im Sommer 1945 an den Königssee zurück. Erst zuhause erfuhr sie, dass ihr Mann ein halbes Jahr zuvor im Dezember 1944 gestorben war”, erzählte Leidinger.
Die Beiträge von Anna Stangassinger und Norbert Egger - ein Auszug aus Paul Niedermanns Buch „Auf Hass lässt sich nicht bauen“ und ein Gedicht von Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel - rundeten den berührenden Gedenkabend mitten in Berchtesgaden ab.

