Nach Angriff auf geistig Eingeschränkten
„Nie wieder Faschismus“ - Berchtesgadener Bürger positionieren sich gegen rechtes Gedankengut
Bei einer stillen Demo sind rund 280 Beteiligte unter dem Motto „Berchtesgaden gegen Rechts“ auf die Straße gegangen. Dem vorausgegangen war im August ein tätlicher Übergriff von Rechten auf einen geistig Eingeschränkten. Ein großes Polizeiaufgebot sicherte die Veranstaltung im Zentrum Berchtesgadens. „Fast täglich begegnen uns Nazis auf dem Obersalzberg“, weiß Mathias Irlinger, Bildungsreferent der Dokumentation Obersalzberg. „Die sollen sich schleichen.“
Berchtesgaden - Die „dunkle Vergangenheit“ seines Ortes, die kennt Berchtesgadens Bürgermeister ganz genau. Hitler residierte hier an seinem zweiten Regierungssitz auf 1000 Metern am Berg. Das touristisch erschlossene Fleckchen gilt als Täterort. Weit reichende Entscheidungen fällte der Wahl-Berchtesgadener. Kommende Woche soll die Erweiterung der Dokumentation Obersalzberg nach sechs Jahren Bauphase eröffnet werden: als mahnender Ort der Erinnerung und Aufklärung.
Kein Verständnis hat Mathias Irlinger, Mitarbeiter beim Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, deshalb für jene überwiegenden Männergruppen, die den Obersalzberg noch immer besuchen. Wie sie auftreten, was sie im ehemaligen „Führersperrgebiet“ tun, sei „gerade an der Grenze der Legalität“. Hakenkreuz-Sticker, niedergelegte Blumen, brennende Kerzen, in Bäume geritzte, rechtsextreme Symbole: Es sind die Hinterlassenschaften einer rechtsgesinnten Gruppe an Menschen, die auch Berchtesgadens Bürgermeister in seinem Ort nicht sehen möchte. „Jahrzehnte wurden diese Probleme in Berchtesgaden tot geschwiegen“, sagt Bildungsreferent Irlinger.
Bis vor einigen Jahren wurden am Obersalzberg „beschönigende Broschüren und fragwürdige Gegenstände veräußert“. Aus ganz Europa kommen die unerwünschten Gäste mit unerwünschter Gesinnung. Erst kürzlich war Irlinger auf eine Gruppe von elf Personen getroffen, die am ehemaligen Hitler-Berg herumpilgerten. „Ich hätte sie gerne gefragt, wieso sie das tun, aber ich habe mich nicht getraut“, gesteht Irlinger. Er fordert einen Wandel des Klimas: Dass „jeder Nazi“ sofort wisse, dass er in Berchtesgaden nicht willkommen sei.
Anna Stanggassinger ist Mitorganisatorin der Kundgebung: „Ich stehe hier, um Zeichen zu setzen. Das sollte schon lange nicht mehr nötig sein.“ Hass und Kleingestigkeit, sagt sie, bringen niemanden weiter: „Nie wieder Faschismus. Wir müssen klare Kante zeigen“, so die junge Frau. Die Zahl rechter Straftaten steige, „in Debatten und in Parlamenten findet eine Verrohung der Sprache statt“. Der Angriff von drei Rechten auf jenen Berchtesgadener sei der Anlass gewesen, auf die Straße zu gehen: „Gegen Rechts zu sein, ist nicht links, sondern ganz normal“, sagt Anna Staggassinger.
Grenzen setzen, „die nicht verhandelbar sind“, fordert Berchtesgadens Bürgermeister Franz Rasp auf der Bühne am Weihnachtsschützenplatz. „Wir müssen dafür einstehen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist, unabhängig von Hautfarbe oder Herkunft.“
300 Meter Luftlinie vom Veranstaltungsort entfernt liegt Dietrich Eckart begraben. In diesem Jahr jährt sich sein Tod zum 100. Mal. Er brachte Hitler nach Berchtesgaden, war Mentor und Ideengeber zugleich. An seiner zurückgebauten Grabstätte wird noch immer mit Blumen an ihn gedacht. „Wir alle haben die Verantwortung, dass sich das nicht wiederholen darf“, sagt Dr. Bartl Wimmer, Berchtesgadens Cheftouristiker. In seiner Jugendzeit hatte er eine Begegnung mit einer Polin in Krakau, einer Überlebenden, die während des Nationalsozialismus 30 Angehörige verloren hatte. “Sie holte eine Flasche Schnaps und trank mit uns jungen Leuten, stellvertretend für ganz Deutschland, auf die Versöhnung.” Das Ereignis hat er nie vergessen. Die Entwürdigung von Menschen und die zunehmende Verrohung der Sprache ist, laut Wimmer, auf dem Vormarsch: “Wir befinden uns aktuell in einer Zeit, nicht weit entfernt vom Übergang zu Taten”, so Wimmer.
„Dem rechten Gschwerl nicht die Straße überlassen“, will Rudy Kreuzeder. „Ich bin Antifaschist”, so stellte sich der Freilassinger dem Publikum vor. Er unterstütze das Engagement in Berchtesgaden. Der ehemalige Bischofswieser Schulrektor Hans Metzenleitner warnte davor: „Demokratie kann auch an Gleichgültigkeit zugrunde gehen, aus der Geschichtsvergessenheit heraus. Den Kipppunkt dürfen wir nicht erreichen.“ Noch müsste man die Demokratie nicht zurückholen, “aber wir müssen sie verteidigen”, forderte Metzenleitner. Die Veranstaltung soll - ihm nach - nur ein “Auftakt” zu weiterer Bewegung sein.
Überrascht von so viel Zuspruch und Beteiligung rief Organisator Jakob Palm zu einer stillen Demonstration durch Berchtesgaden auf. Mit Plakaten und Bannern ausgestattet (“Faschisten wählen, ist kein Protest”, “Kein Bock auf Nazis”, “Und mein Opa so: ‘Nee, nicht schon wieder Nazis’”) ging es durch den Ort. Laut Polizei gab es dabei keine Zwischenfälle.
Kilian Pfeiffer


