Damals einen Traum erfüllt
Der „Kehlstein-König“ im Ruhestand: Georg Winkler hört nach 45 Jahren als Busfahrer auf
260.000 Kilometer, fast 20.000 Fahrten und knapp eine halbe Million Passagiere: Es sind beeindruckende Zahlen, die Georg Winkler aus Berchtesgaden vorzuweisen hat. Als „Kehlstein-König“ lebte er seinen Traum und fuhr auf der höchsten Buslinie Deutschland rauf und runter. Ein Rückblick auf Abenteuer-Reisen in Teheran und Bagdad, Sightseeing im Linienbus, Todesfälle und Konkurrenzdenken.
Berchtesgaden - Sechseinhalbmal um die Welt: 260.000 Kilometer ist Kehlstein-König Georg Winkler auf den gleichnamigen Berg gefahren - mit dem Bus. Fast 20.000 Mal hoch und runter. Knapp eine halbe Million Passagiere hat er zu einem der beliebtesten Tourismusziele Bayerns transportiert - fast so viele, wie Duisburg Einwohner hat. „Natürlich habe ich überlegt, über meine Erlebnisse ein Buch zu schreiben”, sagt der 76-Jährige.
50 Jahre lang arbeitete er als Busfahrer, seit drei Wochen ist er im Ruhestand. Als Georg Winkler das erste Mal in einen Bus stieg, gab es noch die gelben Post- und die roten Bahnbusse. Es waren die 1970er-Jahre und Georg Winkler wollte unbedingt Busfahren. Es war sein großer Traum. „Ich hatte schon immer Lust auf große Autos, auf große Lenker und Räder”, sagt der leidenschaftliche Chauffeur, der als Reisebusfahrer startete und dafür viel Fahrpraxis brauchte.
Von Reutlingen zum Schah von Persien
Die sammelte er unter anderem in Teheran und Bagdad - als Fernfahrer. Über eine Annonce stieß der damals 31-Jährige auf eine Ausschreibung, die ihn neugierig machte. Der Schah von Persien hatte zu dieser Zeit 5000 Lkw gekauft. „Die mussten unter anderem von Reutlingen überführt werden”, schildert Winkler. Für ihn war das ein großes Abenteuer. Er, der junge Fahrer mit Drang auf Neues. Mehr als 6000 Kilometer für die einfache Strecke. „Der Fahrzeugschein hatte nur 21 Tage Gültigkeit. Für die Reise waren 19 Tage geplant”, erinnert sich Winkler.
Viel Geld gab es für den abenteuerreichen Ausflug zwar keines, dafür 500 Mark Provision, falls es gelingt, den Lkw schadenfrei ans Ziel zu bringen. Daraus wurde aber nichts: Nicht nur die Räder wurden bei dem Trip geklaut, sondern auch Diesel abgepumpt. Einmal wurde sogar der Außenspiegel gestohlen. Von Vorteil war: Die Lkw-Transporteure rund um Winkler fuhren im 15er-Konvoi: „Wenn einer ein Problem hatte, waren die anderen da, um zu helfen.”
Als Post-Reisebusfahrer ging seine Karriere los
Winkler startete seine Busfahrer-Karriere zunächst als Reisebusfahrer für die Post in Berchtesgaden. Ins Gedächtnis ruft er sich die Übernachtungsfahrten. Das waren die, bei denen Busfahrer, die etwa auf das Roßfeld fuhren, die Buchenhöhe ansteuerten oder den Hintersee und schon mal am Zielort übernachteten - nicht im Bus, sondern in einer für die Fahrer angemieteten Wohnung. Am Morgen des nächsten Tages ging es dann im Bus weiter, weiß Winkler. „Das waren noch Zeiten“, erinnert er sich.
Der Kehlstein war schon immer der große Traum des heute 76-Jährigen, noch immer quietschfidelen Berchtesgadeners. Der Berg lockte. Die Strecke galt und gilt als Unikum und als besondere fahrerische Herausforderung. „Für die Busfahrer war die Tour, die seit 1952 befahren und von der Deutschen Bundespost betrieben wurde, immer ein Privileg.“
Begehrte Linie
Zu Anfangszeiten dauerte die Fahrt noch 35 Minuten, heute sind es 15 - bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von Tempo 30. Tatsächlich herrschte unter den Busfahrern Konkurrenzdenken, weil sie nicht jedem Eintritt in die Riege der Kehlstein-Auserwählten gewährten. „Außerdem konnte den Kehlstein nicht jeder Busfahrer fahren. Allein schon deshalb, weil es welche gibt, für die die Höhe nichts ist”, sagt er.
Heute besuchen den Kehlstein jedes Jahr rund 280.000 Gäste. Der Berg gilt als eines der Top-Ausflugsziele in Bayern. Die Fahrt mit dem Bus auf den Berg ist zudem die höchstgelegene Buslinie Deutschlands.
Corona kam dazwischen
Georg Winkler hat diese in seinen 45 Dienstjahren so häufig befahren wie kein Zweiter. „Eigentlich wollte ich die 20.000er-Marke knacken”, sagt er. Geschafft hat er das auf der 6,5 Kilometer langen Strecke, die knapp 800 Höhenmeter überwindet, aber nicht. Auch, weil ihm Corona einen Strich durch die Rechnung machte. Zwei Jahre musste er während der Pandemie auf das Fahren verzichten.
Dennoch sind es beeindruckende Zahlen, die sein Busfahrer-Lebenswerk krönen: 260.000 Kilometer Kehlstein. „Da kam was zusammen”, sagt er. Mehr als 400.000 Fahrgäste brachte er in die Höhe. Insgesamt vier Todesfälle hat Georg Winkler im Laufe der Jahre miterlebt, weil Menschen in und um den Bus ums Leben kamen.
„Lass mich raus“ auf offene Strecke
„Busfahren ist in Berchtesgaden häufig ein ziemlicher Massentourismus geworden”, weiß Winkler. Vor allem, seitdem die Fahrten für Urlauber in Berchtesgaden kostenlos geworden sind. Zwar gilt das nicht für den Kehlstein, hingegen aber bei den anderen Buslinien. Es gebe einige, die im Bus sitzen bleiben, manchmal sogar den ganzen Tag, um sich herumkutschieren zu lassen. Sightseeing aus dem Bus heraus. „Lass mich raus”, soll ein Fahrgast auf offener Strecke mal gesagt haben. Bei der nächsten Fahrt nehme er den Viehtransport.
Die Zeiten haben sich aber geändert, seitdem die Verantwortlichen noch deutlich mehr Besucher auf den Kehlstein fahren ließen - bis zu 400.000 tummelten sich dann in einer Saison dort oben. Mit zusätzlichen Brandschutzauflagen wurde die Zahl der Gäste begrenzt - somit auch die Kapazität der Busfahrten. Sowieso, seitdem die Busse auf einen elektrischen Betrieb umgestellt wurden. Wie Winkler das E-Bus-Fahren gefällt? „Kein Kommentar“, sagt er lapidar.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
Er ist viel länger Bus gefahren, als er das hätte tun müssen. „Jetzt ist es aber wirklich vorbei”, ist sich der Berchtesgadener sicher. Der ursprüngliche, nicht ganz ernst gemeinte Plan, „vom Lenkrad direkt in den Sarg“ befördert zu werden, wird nicht aufgehen. Winkler muss nun lernen, dass er in der Früh nicht mehr gebraucht wird.
Klar ist: Ihm wird die tägliche Fahrt in die Bus-Zentrale im Stangenwald in Bischofswiesen fehlen. Langweilig wird ihm dennoch nicht sein. „Ich habe aber auch so genug zu tun”, meint er. Als Musikant will er sich weiter seinem Kontrabass widmen und öfter mal im Fitnessstudio vorbeischauen. Sein Sohn ist ebenfalls Busfahrer geworden. Die Leidenschaft muss er vom Vater mit in die Wiege gelegt bekommen haben. „Er ist genauso verrückt wie der Papa”, ergänzt Winklers Frau. (kp)

