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„Pulverfass“ in Berchtesgadener SS-Stollen

Bunkerexperte Florian Beierl über ein Geheimgutachten, das eine explosive Gefahr enthüllt 

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Bunkerexperte Florian Beierl vor einer Obersalzberg-Karte.

Der kürzlich verschlossene SS-Munitionsstollen am Obersalzberg und weitere Stollen machten Hitlers ehemaligen Hausberg während des Nationalsozialismus zu einem Pulverfass. Ein Geheimgutachten, das dem Berchtesgadener Obersalzberg-Kenner und Bunkerexperten Florian Beierl vorliegt, beschreibt die Gefahr, die von den Sprengstofflagern einst ausging - und welche Schreckensgestalt hinter dem Gutachten steckt. 

Berchtesgaden – Florian Beierl sitzt in seinem Archiv vor schweren Schränken. Darin: jede Menge Akten, Pläne und Zeitzeugnisse. Beierl ist Experte in Sachen Obersalzberg. In jungen Jahren, als die Bunkeranlagen des Obersalzbergs noch nicht verschlossen waren, erkundete er die kilometerlangen Gänge, die den Berg wie einen Schweizer Käse durchziehen. Er hat Zeitzeugen-Interviews geführt und alles dokumentiert, was ihm vor Kamera und Aufnahmegerät kam. Dutzende Kassetten sind es. Er hat viel Material rund um den Obersalzberg in der Zeit des Nationalsozialismus gesammelt - um Berchtesgadens Hausberg, auf dem einst Hitler residierte.

Beierl hat mehrere Bücher verfasst, eines davon heißt: „Hitlers Berg - Licht ins Dunkel der Geschichte“. Vor 30 Jahren war Beierl das letzte Mal in jenem Bunker drin, den kürzlich die Bayerischen Staatsforste verschließen ließen, nachdem sich durch Ausschwemmungen und geologische Verwerfungen ein Eingang gebildet hatte, in den viele Abenteuerlustige einstiegen. Beierl wagte es nicht mehr. „Viel zu gefährlich.“ Zu dem SS-Munitionsstollen und -Sprengstofflager existiert ein Dokument, das als „Geheim“ eingestuft wird, gerichtet an den Reichssicherheitsdienst.  

Demnach war es ein Sprengstoff-Experte aus Berlin, der im Spätherbst 1944 mögliche Sicherheitsrisiken in Bezug auf die potenziellen Munitionsstollen in direkter Nachbarschaft von Hitler aufdecken sollte, weiß Florian Beierl. Dr.-Ing. Albert Widmann hieß der Mann. Von Berlin aus wurde er auf den Obersalzberg geschickt, um ein Gutachten anzufertigen, das klären sollte, was bei einem Unglück passieren könnte. Denn in den Stollen des Obersalzbergs sollten nicht nur viele Tonnen Sprengstoff gelagert werden. 

Widman ein „abgründiger Technokrat“

Widmann war Leiter der chemisch-physikalischen Abteilung des „Kriminaltechnischen Instituts der Sicherheitspolizei“, einer Unterabteilung des berüchtigten „Reichssicherheitshauptamtes“. „Um Widmann hielt sich ein schauriger Schleier“, weiß Beierl. Widmann war einer jener Schlüsselmänner, die über Jahre Tötungsmechanismen für das Euthanasieprogramm und die Judenvernichtung entwickelt hatte. So entwickelte dieser etwa die Vergasung mit CO-Gas. Widmann war auch jener Verbrecher, der bei einem Menschenversuch 1939 erstmals den „Gashahn“ aufdrehte und in Minsk Menschen mit psychischen Krankheiten in einem Bunker bei lebendigem Leib in die Luft sprengte. Widmann war für die technische Abnahme von Gaswagen zuständig: In der Folge kamen in Tötungslastwagen mehr als eine halbe Million Menschen, vorwiegend Juden, ums Leben. Widmann sei ein „abgründiger Technokrat“ gewesen, der am Obersalzberg gemeinsam mit dem örtlichen Reichssicherheitsdienst-Chef, Kriminalrat und SS-Sturmbannführer Peter Högl, die Bunker-Baustellen inspizierte, weiß Florian Beierl.  

Dass Hitler als Urheber des NS-Schreckens in seinem Berghof selbst in die Luft fliegen könnte, das habe man vor dem Expertenbesuch aus Berlin unterschätzt, sagt Beierl. Das Gutachten belegt: Der Obersalzberg war ein Pulverfass. Schreckgestalt Widmann warnte, dass bei gemeinsamer Lagerung „im Unglücksfall alle 25 Tonnen Sprengstoffe restlos zerstört würden und dabei eine riesige Detonationswelle ausgelöst werden kann“. 

Jener SS-Munitions- und Sprengstoffstollen befand sich bei seinem Besuch gerade im Bau. Die Kritik Widmanns war laut, weil im Unglücksfall „die ganze Kraft der Sprengung aus dem Stolleneingang hinausbläst und Gesteinstrümmer auf große Entfernungen fort geschossen werden“ - genau „auf das Landhaus Göring gerichtet“. Dort residierte Hermann Göring, einer der wichtigsten Vertrauten Hitlers, bekannt für seine Skrupellosigkeit und seinen Luxuslebensstil.

„Einen gefährlicheren Platz gibt es nicht“

Der Leiter des Referats für Chemie und Biologie im Reichssicherheitshauptamt, Albert Widmann, kritisierte bei seinem Obersalzberg-Besuch den gerade im Bau befindlichen Aufbewahrungsstollen für Sprengstoffe und Munition der SS oberhalb der Kaserne deutlich: Die geplante Einlagerung von Sprengmitteln zum Stollenbau einerseits und Munition andererseits käme dort nicht infrage, so Widmann. Als haarsträubende Sicherheitslücke entdeckte er mitten im Hof der unweit des Bunkers befindlichen SS-Kaserne gleich mehrere Holzschuppen, angefüllt mit militärischem Sprengstoff und Sicherheits-Sprengkapseln. Ihm nach stellte dies eine enorme Gefahr dar, da „im Falle des Abwurfs von Brandbomben dabei sogar der Sicherheitssprengstoff zur Explosion kommen kann“. Widmann unterbreitete Vorschläge und Skizzen für ein ihm nach optimal angelegtes Munitionslager. Die Ereignisse kurz vor Ende des Krieges hätten weitere Maßnahmen zum Bau aber überflüssig gemacht, weiß Florian Beierl.

Für die Nachwelt sei der Stollen in jedem Fall nicht geeignet gewesen, sagt er. „Einen gefährlicheren Platz gibt es am Obersalzberg nicht“, so Beierl. Immer wieder würde Gestein in den Stollengang stürzen. Dass der Bunker nun samt Netz und Tonnen an Steinen dicht gemacht wurde, sei eine gute Entscheidung gewesen. (kp

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