Obersalzberg auch von Neuregelung betroffen
Neues Kapitel der Denkmalpflege beginnt – „den Opfern ein Stück weit ihre Würde zurückgeben“
Der Umgang mit materiellen Zeugnissen aus der Zeit des Nationalsozialismus soll neu geregelt werden. Die Denkmalwürdigkeit von Funden und Strukturen aus der NS-Zeit sollen Versäumnisse der Vergangenheit tilgen. Ein länderübergreifendes Positionspapier bestärkt die Zusammenarbeit zwischen Bayern und Deutschland, das Vertreter des Landesamts für Denkmalpflege und des Bundesdenkmalamtes in Wien am Obersalzberg unterzeichnet haben.
Berchtesgaden - Hitlers ehemaliger Hausberg, der Obersalzberg, gilt als einer der bedeutsamsten Täterorte im Nationalsozialismus. Lange Zeit blieb die Vergangenheit unaufgearbeitet. Dann eröffnete Ende der 1990er-Jahre die Dokumentation Obersalzberg. Kurze Zeit darauf räumte der Freistaat alle verbliebenen Baudenkmäler, wie etwa den Platterhof, über den Haufen. Geschichte wurde mit dem Bagger platt gemacht.
So mancher Historiker schaudert heute bei dem Gedanken, dass die letzten erhaltenen Gebäude aus der NS-Zeit einfach der Abrissbirne zum Opfer fielen. Vertreter des Landesamtes für Denkmalpflege hatten damals ein Betretungsverbot.
Vorgänge waren vor der Zeit der allermeisten Beschäftigten
Heutzutage möchte sich das Landesamt für Denkmalpflege über die Zeit Anfang der 2000er-Jahre nicht mehr äußern, wie es auf Anfrage heißt: Man solle Verständnis haben, dass man zu Vorgängen, „die vor der Zeit der allermeisten Beschäftigten des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege liegen, keine Angaben machen“ könne, heißt es lapidar. Als wenn Geschichte etwas mit der Beschäftigungszeit der Mitarbeiter zu tun hätte.
Die Objekte, die Prof. Dr. Claudia Theune, Archäologin an der Universität Wien, und Dr. Susanne Fischer, Abteilungsleiter beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, präsentieren, stammen vom Obersalzberg und aus der Tötungsanstalt Schloss Hartheim bei Linz.
Es sind Taschenspucknäpfchen, Lippenstifte, eine beschädigte Milchkanne, ein beschrifteter Löffel mit Gravur - der Name Josef steht dort in hebräischen Schriftzeichen geschrieben. Im ehemaligen Führersperrgebiet fanden die Archäologen einen Kamm. „Rhenatin“ steht auf diesem, der Eigenname eines Kunststoffes aus den 1940er-Jahren.
Grabungen haben bisher einmal stattgefunden
Seit den 1990er-Jahren finden vermehrt Ausgrabungen statt, vor allem auf österreichischer Seite, in Lagern und Tötungsanstalten, nun auch auf dem Obersalzberg, jenem Täterort. Einmal wurde bislang gegraben, dort, wo einst ein Wohnhaus stand.
Die Funde sollen dazu beitragen, „nicht nur den Alltag der Menschen zu dieser Zeit besser zu verstehen, sondern vor allem den Opfern ein Stück weit ihre Würde zurückzugeben“, sagt Claudia Theune. Die Grundsätze, wie mit solchen Funden aus der Zeit des Nationalsozialismus umgegangen wird, haben Archäologen aus Wien, Vertreter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD) und Universitätsmitarbeiter aus Wien, wie Claudia Theune, erarbeitet. Ein Positionspapier soll nun festigen, was lange Zeit nicht geregelt war.
Großer Denkmal-Schauplatz
Man könnte auch sagen: Der Obersalzberg wird zum großen Denkmal-Schauplatz. Bedeutsame Geschichte fand dort an fast jeder Ecke statt. „Künftig werden wir bei jeder Bautätigkeit ein Auge darauf werfen“, sagt Archäologin Dr. Stefanie Berg vom BLfD. Was noch im Boden schlummert, könnte als materielles Zeitzeugnis wertvolle Erkenntnisse über die NS-Zeit liefern - zur Erhaltung, Erfassung, Dokumentation und zur weiteren Erforschung.
Auch wenn die bayerischen Depots bereits aus allen Nähten platzen, wie Claudia Theune verdeutlicht. Denn Zeitzeugen aus der NS-Zeit sind nur noch wenige am Leben. Archäologische Funde gewinnen daher an Bedeutung. Die Restauratoren des BLfD haben jede Menge zu tun.
Es soll nicht überall umgegraben werden
Tatsächlich könnten schon bald die Obersalzberg-Funde in Zusammenarbeit mit der Dokumentation Obersalzberg zu einer Ausstellung führen - nachdem sie eingeordnet und in einen Kontext gebracht wurden. Bodendenkmäler, wie etwa Hitlers Berghof, gibt es zudem mehrere. „Wir arbeiten aber nicht proaktiv“, sagt Archäologin Stefanie Berg. Man werde nun also nicht überall den Obersalzberg umgraben.
Sammler zahlen weltweit hohe Preise
Dass am Obersalzberg schon viel gefunden wurde, kann man unter den Forschern ahnen. Leute, die mit Schaufel im Wald unterwegs sind, sichtet man immer wieder. „Wo der Obersalzberg-Stempel drauf ist, zahlen Sammler weltweit hohe Preise“, weiß auch Dr. Sven Keller, Leiter der Dokumentation Obersalzberg.
Den Wissenschaftlern geht es aber um etwas anderes: Zeugnisse für die Nachwelt aufzubewahren. Das Unterfangen kommt spät. Österreich gilt den Bayern zudem um Meilen voraus, was die Denkmalpflege betrifft. „Der Freistaat pflegte einen beklagenswerten Umgang mit seiner Geschichte“, sagt ein Berchtesgaden-Historiker am Rande der Veranstaltung. All das könnte sich nun ändern.
Asche und persönliche Gegenstände gefunden
Anfang der 2000er-Jahre war das Schloss der Gedenkstätte Schloss Hartheim umgebaut worden. Bei archäologischen Untersuchungen waren bei einem Massenfund nicht nur persönliche Gegenstände von Opfern entdeckt, sondern auch Asche der Ermordeten in großer Menge gefunden worden.
Bodendenkmalpflege und Archäologie seien sich der Verantwortung im Umgang mit den materiellen Zeugnissen der NS-Zeit „und der Tragweite der Aufgabe auf allen gesellschaftlichen Ebenen bewusst“, heißt es am Schluss des Positionspapiers. (kp)

