Raubgräber ein großes Problem
Vergessen, vergraben, freigelegt: Bayerns Archäologen suchen am Obersalzberg nach NS-Überbleibseln
Die Entscheidung des Freistaats, Überreste der NS-Zeit am Obersalzberg weitgehend zu beseitigen, wirkt bis heute nach. „Raubgräber und Schatzsucher mit Metalldetektoren sind aber das Letzte, was wir brauchen“, betont Bernd Päffgen, Vorsitzender der Gesellschaft für Archäologie in Bayern, im Berchtesgadener AlpenCongress. Dort präsentiert sein Team die archäologischen Errungenschaften des vergangenen Jahres. Was in den Böden Bayerns - auch am Obersalzberg - noch so schlummert, weiß kaum niemand. Doch eins ist klar: Ohne ehrenamtliche Kräfte wird mancher Fund wohl nie entdeckt.
Berchtesgadener Land/Berchtesgaden - Für Bayerns Archäologen ist das Buch „Das archäologische Jahr in Bayern 2023” (Verlag Schnell & Steiner) wie eine Leistungsbilanz. Auf 200 Seiten präsentieren sich all die zahlreichen Projekte in Bayern, an denen Archäologen im vergangenen Jahr beteiligt waren: Projekte der Neuzeit ebenso wie aus dem Mittelalter. Ob Römische Kaiserzeit, Bronzezeit oder Neolithikum: In Wort und Bild haben Experten Fortschritte bei Grabungen und Arbeiten an Bodendenkmälern zusammengetragen.
Im Berchtesgadener Land widmeten sich die Fachleute dem Schiffmeisterhaus an der Rottmayrstraße in Laufen. Bestimmungen des Holzalters legen nun nahe, dass das Gebäude um das Jahr 1400 errichtet wurde. Ein Beispiel dafür ist die Restaurierung von Fragmenten der Hauptsynagoge in München, die während Bauarbeiten an einem Isarwehr entdeckt wurden. „Es ist eine wichtige Frage, wie wir mit solchen Funden umgehen“, betont Päffgen. Auf der Fraueninsel am Chiemsee entdeckte man einen mittelalterlichen Zentralbau bei Bodenradaruntersuchungen.
Präventive Grabungen
Mehr als 875 Grabungen hat das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege im vergangenen Jahr beauftragt. Ein Großteil davon präventiv, weiß Stefanie Berg, Abteilungsleiterin am Landesamt für Bodendenkmalpflege. Bedeutet: Im Zuge von geplanten Bauarbeiten oder Sanierungen im Umfeld von Bodendenkmälern wird das Landesamt hinzugezogen. „Im Landesamt ist oft zunächst nichts bekannt. Dann wird ein Bauantrag geprüft und plötzlich kommen Gebeine zum Vorschein”, erklärt sie. Ein proaktives Vorgehen kennt man dort aber nicht. Archäologin Berg sagt: „Kaum einer weiß, was in Bayerns Böden noch so alles schlummert.”
Tatsächlich sind an bekannten Orten viele Dinge ohne Kenntnis der Fachleute aus dem Boden geholt worden. Gutes Beispiel: der Obersalzberg in Berchtesgaden. Der Hausberg Adolf Hitlers lag lange Zeit nicht im Fokus der Bodenforscher. Dort waren noch vor etwa einem Vierteljahrhundert die letzten übrig gebliebenen Gebäude der NS-Zeit platt gemacht worden. Davon betroffen war auch der Platterhof - während des Nationalsozialismus eine Herberge für Nazigrößen.
Schwieriger Umgang mit NS-Themen
Der Berufsstand hatte es zu dieser Zeit schwer - vor allem, wenn es um NS-Themen ging. „Vor 20 Jahren hätte man als Archäologe solche Themen nicht einmal ansprechen dürfen”, sagt Jochen Haberstroh, Referatsleiter Oberbayern/München und stellvertretender Abteilungsleiter Bodendenkmalpflege beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege. Indirekt ist das eine Kritik am Freistaat Bayern. Am Obersalzberg galt das Motto, Überbleibsel der verseuchten NS-Zeit „abzuräumen”, sagen die Archäologen heute. Es herrschte das Prinzip „Weg damit”, schildern Berg und Haberstroh. Heute würde das so nicht mehr passieren, sind sich die Fachleute sicher. „Die Generation ist eine andere”, meint Haberstroh.
Die Wenigsten wissen, dass am Obersalzberg gegraben wird.
Denn klar ist auch: Nicht nur der Obersalzberg - mit all seinen historisch bedeutsamen Orten - gilt als ein interessantes Untersuchungsfeld für Bayerns Historiker und Bodenforscher. Seit einigen Jahren wird hier wieder gegraben, etwa am Hintereck, weiß die Expertin Berg. Dort waren Arbeiter im Zuge von Bauarbeiten auf alte Fundamente gestoßen. In der Folge konnten Archäologen zahlreiche Alltagsgegenstände aus der NS-Zeit bergen. Der Nationalsozialismus rückt immer weiter in den Fokus der Experten - auch, weil die Zeitzeugen größtenteils verstorben sind. „Die Wenigsten wissen, dass am Obersalzberg gegraben wird”, sagt Berchtesgadens stellvertretender Bürgermeister Josef Wenig.
Umstrittener Abriss des Platterhofes
Er hat insgesamt zehn Jahre lang im Platterhof-Betrieb am Obersalzberg gearbeitet. Den Beschluss, den gewaltigen Bau abreißen zu lassen, habe nicht nur er, sondern auch die Bevölkerung abgelehnt. „Die Berchtesgadener wollten ihn behalten“, ist sich Wenig sicher. Das „Go für die Abrissbirne” sei dann schließlich aus höchsten Kreisen der Politik gekommen.
Dass Raubgräber und Schatzsucher ein großes Problem für Bayerns Bodendenkmalpfleger darstellen, weiß auch Stefanie Berg vom Landesamt. Denn früher gehörte ein Fund zu einer Hälfte dem Finder, zur anderen dem Staat. Den Fund aufzuteilen, klappte nur unter der Bemessung des Wertes, etwa bei Münzen. Seit vergangenem Juli gilt für die 50.000 Bodendenkmäler Bayerns - immerhin 1,4 Prozent der Gesamtfläche des Freistaates - eine Gesetzesnovellierung. Dort zu graben, ist seitdem verboten und wird unter Strafe gestellt - wenn man nicht gerade ein Archäologe ist. Das Problem: Eine Überwachung gibt es nicht.
Dass Archäologie dennoch durchaus etwas für das Ehrenamt ist, bestätigt Berg. Rund 300 Mitglieder hat die Gesellschaft für Archäologie in Bayern. Ohne deren Zutun und ohne Einsatz von Ehrenamtlern kämen die Bodendenkmalpfleger nur schlecht zurecht. „Es existiert ein großes Sammelbecken an der Landesarchäologie Interessierter”, sagt Berg. So sollen auch künftig Projekte gestemmt werden - ganz ohne Raubgräber -, damit die wertvollen Funde aus bayerischen Böden erhalten bleiben. (kp)
