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Entdecker-Interview nach Sensationsfund

„Ein magischer Ort“: Wie Hightech-Archäologie die Fraueninsel in ein neues Licht rückt

Nach dem Fund auf der Fraueninsel verrät Matthias Pfeil, Generalkonservator des BLfD, die Hintergründe zu der Untersuchung.
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Nach dem Fund auf der Fraueninsel verrät Matthias Pfeil, Generalkonservator des BLfD, die Hintergründe zu der Untersuchung.

Nach 1000 Jahren im Erdboden machte jetzt ein Forscherteam des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD) einen Sensationsfund: Unter den Grundmauern der im 19. Jahrhundert abgerissenen Kirche St. Martin auf der Fraueninsel tauchten mittels Bodenradar-Untersuchungen die Fundamente eines bisher unbekannten Memorialbaus auf. Wie es zum Fund kam und was das für die Forschung und die Fraueninsel bedeutet.

Fraueninsel – Sie rückten aus, um die Kirche St. Martin zu finden. Mit Bodenaufnahmen untersuchten Geophysiker die höchste Stelle der Fraueninsel und fanden das Fundament der Saalkirche in 50 bis 70 Zentimeter Tiefe. Doch die Aufnahmen des Erdreichs bargen eine unerwartete Überraschung: Direkt unter den Überresten des Gotteshauses tauchte in 80 bis 100 Zentimetern Tiefe eine Struktur auf. Das Fundament eines vermeintlichen Memorialbaus für die selige Irmgard. Im Interview mit der Chiemgau-Zeitung verrät Matthias Pfeil, Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD), was das für ihn und sein Team bedeutet und welchen Stellenwert der Fund für die Geschichte und die Fraueninsel hat.

Herr Pfeil, erstmal herzlichen Glückwunsch zu dem Fund. Wie fühlt man sich denn da, wenn man da so etwas Unerwartetes entdeckt?

Matthias Pfeil: Mittelalterlich. Das ist schon was Besonderes. Also letztlich ist ja die Fraueninsel sowieso schon eine, ich sage jetzt mal, eine bayerische Perle. Und jetzt ist die Fraueninsel ja auch relativ dicht besiedelt, aber an dem höchsten Punkt ist nichts. Dort haben wir jetzt die Fundamente eines Memorialbaus gefunden, der gar nicht mal so klein ist, mit 19 Metern Länge je Seite, der doch ein neues Licht auf diese Insel wirft.

Seltener Bau nördlich der Alpen

Inwiefern wirft der Fund ein neues Licht auf diese Insel?

Pfeil: Naja, dort gibt es die bekannten Bauwerke, wie die romanische Torhalle und das Kloster. Und jetzt haben wir aus der Zeit etwas gefunden, was dem sicherlich nicht nachstehen würde, sondern im Gegenteil: Man überlegt sich, warum wurde genau an der Stelle, also dem Hochpunkt der Insel, eine bis dahin absolut nicht bekannte Bauform errichtet, die ja per se schon etwas Besonderes ist. Ein Oktogon mit innerem Säulenumgang, mit acht Säulen und Anbauten zu jeder Seite und mit wahrscheinlich relativ steilen Dächern. Das war ein Gebäude, das sicherlich so eine Art bauliche Überhöhung der Insel war, die man von Weitem gesehen hat und auf Wirkung bedacht war. Wir wissen zwar nicht genau, ob es überhaupt fertiggestellt worden ist, denn bisher kennen wir bloß die Fundamente, aber wenn es gebaut worden ist, dann war es ein spannender Bau für die damalige Zeit.

Matthias Pfeil, Generalkonservator des BLfD ist begeistert über den sensationellen Fund auf der Fraueninsel.

Sie sprechen von einer Bauform, die damals nicht so bekannt war. Kam sie nicht an anderen Stellen vor?

Pfeil: Nicht in Bayern. Das ist ein spezieller Bau, den gibt es an ganz wenigen Stellen. Wir kennen nördlich der Alpen zwei vergleichbare Bauten: in Bamberg St. Andreas, um 1050, und St. Gallus in Würzburg, um 1130. Aber mehr kennen wir nicht, und die sind nur archäologisch nachgewiesen und nicht mehr vorhanden.

Schematische Rekonstruktion des Grundrisses des romanischen Fundes.

Woher kommt dieser Baustil generell, gibt es einen Ursprung?

Pfeil: Der Ursprung ist sicherlich die Grabeskirche in Jerusalem und San Vitale in Ravenna um 547 mit dem Memorialbau der Galla Placidia. Aber das ist südlich der Alpen. Im mediterranen Raum war diese Art von Gebäuden durchaus häufiger. Aber wenn man dann so etwas nördlich der Alpen auf einer Insel im Chiemsee sieht, dann ist das außergewöhnlich.

„Magischer Ort“ auf der Fraueninsel

Sie haben ja ursprünglich nach der Kirche St. Martin gesucht und diese auch gefunden. Warum hat man die Kirche an dieser Stelle errichtet?

Pfeil: Ich glaube ganz ehrlich, dass diese höchste Stelle auf einer Insel im Chiemsee einfach eine Art magischer Ort ist. Dort war immer was. Da bin ich mir sicher. Wir wissen bloß nicht genau, wann und was. Aber dass dort eine Kirche errichtet worden ist, das ist ein Zeichen, dass dieser Ort damals schon für Andacht geeignet war und etwas Spirituelles in sich trägt. Und jetzt findet man unter diesen Fundamenten der Kirche nochmal tiefer eine sehr, sehr spannende Architektur. Ich glaube, dass es ein Ort ist, der die Menschen immer berührt hat. Letztes Jahr hat die Gemeinde dort ein Peace-Zeichen in den Rasen gepflanzt, übrigens genauso groß wie die Fundamente der Kirche. Das zeigt, dass man sich mit diesem Ort in irgendeiner Form auseinandersetzt.

Das Peace-Zeichen, das im Spätsommer 2023 auf der Fraueninsel blühte: Unter ihm tauchte jetzt der seltene Fund auf.

Sie haben ja bereits an dieser Stelle die St. Martinskirche vermutet. Wie gehen Sie vor, um Fundamente zu entdecken und eventuell auch freizulegen?

Pfeil: Das ist Hightech. Am Beginn steht zunächst mal die Quellensuche. Man überlegt sich, was gibt es für Aufzeichnungen, gibt es Pläne, gibt es Stiche, gibt es textliche Darstellungen, und das sammelt man zusammen. Daraus kommt man auf einen Vermutungsort, an dem man intensiver suchen muss. Wir haben dazu ein Bodenradar, mit dem man elektromagnetische Wellen in den Boden senden kann. Dort werden diese Wellen an Materialänderungen, wie zum Beispiel an Mauern, reflektiert und kommen zurück. Sie können sich das so ähnlich vorstellen wie Sonarortung beim Boot. Nur dauert es beim Bodenradar sehr viel länger, und Sie können die Sachen auch nicht vor Ort auswerten.

Mitarbeiter des BLfD bei der Bodenradarmessung auf der Fraueninsel im Juli 2023.

Ich hatte das romantische Bild einer Ausgrabungsstätte vor mir, bei der man direkt einen spektakulären Fund bestaunen kann. Das ist demnach bei Ihren Forschungen nicht der Fall?

Pfeil: Also das ist schon eine Aufgabe, die braucht Zeit: Sie brauchen mindestens drei Leute und den richtigen Tag, damit die Temperatur nicht zur Veränderung im Boden führt. Wenn es dunkel wird, wird es kälter, und der Boden verändert sich. Da muss man sehr genau aufpassen. Danach haben Sie auf jeden Fall noch im Büro einige Tage Aufwand, das auszuwerten. Also vor Ort sehen Sie nichts. Das ist nicht so, wie wenn Sie fotografieren, sondern es ist sehr viel unschärfer. Erst in der Summe der Messungen ergibt sich dann im Nachhinein ein Bild.

Vorerst keine Ausgrabungen vorgesehen

Und ist es jetzt auch geplant, dass man die Funde weiter untersucht, also dass zum Beispiel Ausgrabungen vorgenommen werden?

Pfeil: Die Archäologen sind bei Ausgrabungen sehr vorsichtig. Bei Grabungen gehen sie natürlich in die Substanz hinein, und mit dem Erreichen dieser Substanz wissen sie nie genau, was sie alles kaputt machen. Also letztlich ist das Belassen im Boden die beste Möglichkeit, nichts zu zerstören. Aber wenn man mehr wissen will, wenn man eine genauere zeitliche Einordnung haben will, wenn man durch Begleitfunde zum Beispiel auch mehr über die Leute wissen will, dann wird das sicherlich im Rahmen einer wissenschaftlichen Grabung erfolgen. Aber es besteht überhaupt keine Eile. Das Ding ist seit über 1000 Jahren da unten. Jetzt beginnt zunächst mal eine wissenschaftliche Diskussion, und dann werden wir weitersehen.

Wie viele Untersuchungen macht denn das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege in dieser Art im Jahr?

Pfeil: Das sind jetzt relativ wenige. Wir haben ungefähr mit geophysikalischen Verfahren 20 bis 30 Projekte im Jahr und mit Bodenradar etwa nur die Hälfte davon. Diese sind, wie erwähnt, auch sehr arbeitsintensiv und nur bei bestimmten Witterungsverhältnissen möglich.

Radarmessbild des Grundrisses zwischen 80 und 100 cm Tiefe.

Diese Projekte werden ja aufgrund vorausgegangener Quellenanalyse und gezielter Vermutungen durchgeführt. Wie oft kann es dann überhaupt vorkommen, dass man einen so bedeutenden Zufallsfund macht?

Pfeil: Einmal in einem Archäologenleben. Alle fünf bis zehn Jahre kommt mal etwas Unerwartetes zutage, aber dass es dann so etwas ist, das ist einmalig. Der Fund hier auf der Fraueninsel ist einmalig. Ich weiß nicht, ob man jemals herauskriegen wird, was es denn wirklich war. Aber das ist ja auch in der Archäologie genau das Spannende, dass wir Geschichten haben. Und die müssen nicht bewiesen werden. Was wir wissen, ist, dass hier etwas errichtet worden ist, auf einer kleinen Insel in einem oberbayerischen See, was auch in der damaligen Zeit ganz weitreichende Bedeutung hatte.

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